Die Zukunft der Gartensia 7

Seit einem Monat besteht die Besetzung der Gartenstraße 7 nun. Wie sieht der ehemalige Gemischtwarenladen heute von innen aus? Und wie wird es weitergehen für das Haus und die BesetzerInnen? Wir waren vor Ort und haben uns durch das Haus führen lassen.

„Nur noch Pflanzen fehlen“ ist die fettgedruckte Überschrift eines Zeitungsartikels, der an einer Wand des Gartensia-Cafés prangt. Mittlerweile wirkt dieser Satz fast schon ironisch, denn das Haus quillt vor Pflanzen in allen Ecken fast über, manche stecken gar in Ermangelung von Blumentöpfen in alten Milchkartons. Sie alle stammen von anonymen Spendern und Spenderinnen, wie das meiste des Inventars: Die Couch im zweiten Stockwerk, die Feuerstelle im Garten, das Essen in den Vorratsregalen, sogar der große Kühlschrank. Selbst ein Handy wurde ihnen geschenkt, mit dem sie nun ihre Social-Media-Kanäle bedienen. Es gehöre zur „Magie der Gartensia“, dass immer wieder Leute mit Spenden vorbeikommen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, erklärt der 22-jährige Kolibri.

Er und Emmi, 25 Jahre, gehören zu den „GärtnerInnen“, wie sich die BesetzerInnen der Gartensia selbst nennen. Sie haben vor einigen Wochen das verlassene Gebäude der Gartenstraße 7 besetzt, geputzt, und in ein kostenloses Café mit Wohnfläche im zweiten Stock verwandelt. Mit der Besetzung protestieren sie gegen die in Tübingen herrschende Wohnungsnot und den Mangel an öffentlichen Orten ohne Konsumzwang.

Im Gartensia-Café gibt es keine Bedienung: Jeder kann etwas mitbringen, Geschirr müssen die Gäste selbst spülen.

Das kostenlose Café ist das Herzstück des Hauses. Die Vision dahinter ist ein Begegnungsort für Menschen aller Alters- und Gehaltsklassen, so Emmi und Kolibri. Gerade für Tübinger Familien sei das ein sehnsüchtig erwartetes Angebot. „Hier wurden schon viele wichtigen Telefonate getätigt“, meint Kolibri schmunzelnd mit Blick auf das ausrangierte Schnurtelefon in der Kinderecke. Besonders wichtig sei es, dass man sich nicht gezwungen fühlen darf, hier Geld auszugeben, obwohl Spenden gerne erwünscht sind.

Der Ofen in der alten Küche im zweiten Stock ist noch immer betriebsbereit. In ihm werden die Kuchen für das Café gebacken.

Räumung wird nicht erwartet

Wer sich als Erstes Zugang in das alte Gebäude verschafft hat, wisse man laut Emmi nicht: „Die Tür war eines Tages offen, Banner hingen aus den Fenstern, und dann sind immer mehr Leute gekommen“. Der Makler sei natürlich nicht sehr erfreut darüber, sei aber dennoch gegenüber den BesetzerInnen höflich geblieben. Die Stadt ist hierbei der Vermittler zwischen beiden Seiten.

„Gärtnerin“ Emmi ist seit den Anfängen der Gartensia mit dabei, schläft allerdings nicht dort. Sie hat bereits ein Zimmer in einem Wohnprojekt, welches auch aus einer Hausbesetzung heraus entstanden ist. Tübingen hat seit den 70er Jahren eine ganze Historie an Hausbesetzungen hinter sich. Diese nehmen sich die „GärtnerInnen“ als Vorbild. Durch die vorhergegangenen Besetzungen wisse man, dass die Stadt in solchen Fällen die sogenannte „Tübinger Linie“ fahre. Diese sei auf Deeskalation durch Verhandlungen und Gespräche ausgerichtet, erklärt Kolibri. Deshalb sehen die BesetzerInnen einer möglichen Räumung eher entspannt entgegen. Auch Emmi ist dahingehend zuversichtlich: „Man hat uns auch nicht den Strom und das Wasser abgedreht, das werten wir als gutes Zeichen“.

Schuhe bitte ausziehen!

Oben im zweiten Stock macht ein Schild neben der Wohnzimmertür BesucherInnen klar: Hier ist schuhfreie Zone! Einige Meter weiter finden sich noch mehr Plakate mit den Hausregeln wie Klo putzen, das Treppenhaus fegen, und so weiter. „Viele Leute, die hierher kommen, sagen, sie hätten noch nie so eine spießige Hausbesetzung erlebt“, erzählt Emmi lachend. Dadurch, dass die Besetzung auf längere Zeit ausgelegt sei, brauche man nun mal Regeln für das Zusammenleben. Und das trage auch dazu bei, dass sie vonseiten der Stadt und des Maklers ernst genommen werden in ihren Absichten. Generell scheinen die „GärtnerInnen“ viel Wert auf sorgfältige Organisation zu legen: Die Website ist stets aktuell, ein Verein wurde bereits gegründet, Entscheidungen trifft man grundsätzlich gemeinschaftlich im Konsensverfahren.

Kehrwoche statt Hausrandale: Wer sich den „GärtnerInnen“ anschließt muss mithelfen und einige Regeln beachten.

Wie geht es nun weiter?

Was wird nun also aus dem großen Haus mit direktem Blick auf den Neckar? Die BesetzerInnen stehen in Kontakt zu dem Makler, der die Besitzerin vor Ort vertritt, denn die betagte Dame wohnt nicht in Tübingen. Verhandlungen sind für September geplant, es hätten bereits „konstruktive Gespräche stattgefunden“, so die beiden. Der Plan sei aus dem Haus ein soziales Wohnprojekt zu machen. Dazu hätten sich VertreterInnen des Mietshäusersyndikats in der Gartensia bereits vorgestellt. Der Tübinger Baubürgermeister sowie Architekten hätten sich vom Haus bereits auch selbst ein Bild gemacht.

Die grüne Terrasse offenbart einen direkten Blick auf den Neckar.

Eine weitere Option wäre laut den BesetzerInnen auch aus dem Gebäude ein Kulturzentrum zu machen, in dem kostenlose Angebote wie Konzerte veranstaltet werden könnten. Doch all das bedarf einer Renovierung des alten Gebäudes – frühester Bezugstermin wäre grob geschätzt in anderthalb bis zwei Jahren. Tatsächlich werden derzeit noch mögliche MieterInnen gesucht, denn viele der aktuellen BesetzerInnen wohnen bereits in Wohnprojekten. Wer Interesse an einem potenziellen Zimmer hätte, solle sich den „GärtnerInnen“ anschließen, um in die Planungen involviert zu werden.

Bis dahin werden die BesetzerInnen wohl noch in den Mauern der Gartensia verharren. Nachdem das Haus begrünt wurde, ist der verwilderte Garten eines der nächsten Projekte der „GärtnerInnen“, wobei sie ihrem Namen alle Ehre machen können.

Fotos: Leonie Müller

 

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