Interview Knut Kircher: Von Tübingen in die Bundesliga (1)

Knut Kircher hat viele Aspekte des Lebens gesehen: Der gebürtige Tübinger war lange Zeit in drei verschiedenen Lebenswelten unterwegs. Am bekanntesten ist er wohl für seine frühere Tätigkeit als Bundesligaschiedsrichter. 

Knut Kircher hat viele Aspekte des Lebens gesehen. Der gebürtige Tübinger war lange Zeit in drei verschiedenen Lebenswelten unterwegs: Am bekanntesten ist er wohl für seine frühere Tätigkeit als Bundesligaschiedsrichter, die er bis zum Erreichen des Alterslimits im Jahr 2016 ausübte. Den Familienvater aber darauf zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht. Sein dritter prägender Lebensbereich neben Fußball und Familie ist die Arbeit als Entwicklungsingenieur bei einem großen deutschen Automobilhersteller.

Sie sind gebürtiger Tübinger und in Hirschau aufgewachsen. Was verbinden Sie mit diesem Ort hier? Haben Sie spezielle Erinnerungen?

Es sind verschiedene Dinge, die mich mit Hirschau verbinden. Zum einen wohnen meine Eltern hier. Zum anderen hat man natürlich auch aus der gemeinsamen Jugend noch viele Bekannte und Freunde, die hier wohnen. Und jetzt wo wir hier am Sportplatz sind: natürlich auch viele gemeinsame Erinnerungen an Fußballspiele und Dinge, die man hier draußen erlebt hat. Nach Schulschluss war mittags immer das große Treffen auf dem Bolzplatz. Klar, Fußball gespielt, aufgewachsen hier in Hirschau – das prägt natürlich.

Sie haben also früher selbst Fußball im Verein gespielt?

Ja klar! Hier habe ich in der E-Jugend angefangen und den Verein bis zu den Aktiven durchlaufen. Am Ende meiner Fußballerkarriere war ich dann im Bereich der Bezirksliga unterwegs. Als ich schon Oberligaschiedsrichter war, gab es hier in Hirschau mal ein Torwartproblem. Da habe ich dann mal für zwei, drei Spiele ausgeholfen. Tatsächlich haben wir den Nichtabstieg geschafft – das war eine tolle Sache!

Wie kam es dann zu Ihrer Schiedsrichterkarriere?

Letztendlich ist es ja so: Jeder Verein sucht Jahr für Jahr Schiedsrichter. In Hirschau war das genauso. Es gibt eine Regel im Verband, die besagt, dass ein Verein eine gewisse Anzahl von Schiedsrichtern stellen muss. Je nachdem, wie viele angemeldete Mannschaften er im Spielbetrieb hat. Wenn er diese erforderliche Anzahl nicht erfüllt, dann zahlt er am Ende eine Strafe an den Verband. Wenn er mehr als die erforderliche Anzahl hat, dann bekommt er Geld. Da ist natürlich jeder Verein bemüht, Schiedsrichter zu finden. So spricht man die Menschen an, und so wurde auch ich angesprochen. Das war damals in der B-Jugend –irgendwie bin ich hängen geblieben.

Also war es nicht Ihr Traum, Schiedsrichter zu werden?

Nein, gar nicht! Ich habe Fußball gespielt, bin geritten – mein Vater hat Pferde – und habe Akkordeon gespielt. Ich habe auch im Theater gespielt und mein Abitur gemacht, also die Woche war an sich voll und ausgelastet. Ich habe mir dann gedacht: Okay, das probieren wir auch noch! So kam das zustande.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Spiel?
Ja. Ich meine, das war ein D-Jugend-Spiel bei der TSG Tübingen. Das war irgendwie komisch, denn man macht die Schiedsrichterprüfung nur in der Theorie. Man hat da ja keine praktischen Prüfungen, außer eine konditionelle vielleicht. Man ist zwar als Fußballer auf dem Feld zu Hause, aber nicht als Schiedsrichter. Da muss man anders laufen, stellt sich ganz anders und sieht die Dinge auch ganz anders an. Auf einmal muss man sie auch bewerten und Entscheidungen treffen. Das fällt einem am Anfang natürlich schwer. Man hat da eine Pfeife und zum Glück noch keine gelben und roten Karten, aber Zeitstrafen. Wie spricht man so was aus? Wie geht man damit um? Das war spannend.
Daran anschließend: Sie galten als einer der freundlichsten und humorvollsten Schiedsrichter. Man könnte auch sagen, Sie waren „beliebt“. Wann haben Sie Ihren eigenen „Stil“ entwickelt?
Ich weiß nicht, ob man da einen bestimmten Stil entwickeln kann, soll oder muss. Oder ob das einfach eine ganz normale Entwicklung des Lebens ist und man dabei authentisch ist. Man spielt im Grunde genommen keine Rolle, deshalb halte ich von „Stil entwickeln“ gar nichts. Das ist eine gewisse Authentizität, die dann entsteht. Und da spürt man: ‚Hey, das kommt an manchen Stellen gut an‘. Da kannst du das dann anwenden, an manchen Stellen sollte man es vielleicht auch nicht. Aber das ist eine Bandbreite einer Person. Vielleicht war das eines meiner persönlichen Erfolgsgeheimnisse, dass ich authentisch war und keine Rolle gespielt habe. Es ist aber nicht das Ziel eines Schiedsrichters, beliebt zu sein. Im Grunde genommen ist es das höchste Ziel eines Schiedsrichters, akzeptiert zu werden.
Das hat aber auch nicht immer funktioniert. Ihr Blick und die kleine Auseinandersetzung mit Christoph Schindler aus dem Relegationsmatch von 1860 München gegen Holstein Kiel im Jahr 2015 sind legendär. War das Ihr härtestes Spiel?
Ich glaube nicht. Das war einfach eine Situation. Du hast 90 Minuten lang unterschiedliche Charaktere zu bedienen, die sich in unterschiedlichen emotionalen Lagen befinden. Da ist es natürlich so, dass man sich auch unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten suchen muss. Da kam eben die zustande. Sie steht in keinem Regelbuch, es steht in keiner Anweisung, dass Schiedsrichter so agieren dürfen und handeln sollen – ganz im Gegenteil. Aber es wurde einfach als Lösung auf den Platz gebracht. Am Schluss hat es geholfen, aber in der Nachbetrachtung gibt es doch zwei Dinge. Einerseits: Oh, das darf niemals in ein Schiedsrichterlehrbuch, so wollen wir mit Spielern nicht umgehen. Auf der anderen Seite: In den Foren abgefeiert. Endlich mal ein Schiedsrichter, der sich nichts gefallen lässt. Zwei völlig widersprüchliche Wirkungen in der Öffentlichkeit – damit muss man auch umgehen.
 

Muss man sich für die Tätigkeit als Schiedsrichter also ein besonders dickes Fell zulegen?
Auf der einen Seite ja. Bezogen darauf, dass viel von außen kommt, ja. Auf das Thema von innen her bezogen, nein. Da braucht es einfach das Fell, um sich den Respekt zu erarbeiten und zu sagen, was für einen auf dem Feld noch geht und was ein absolutes No-Go ist. Und das dann auch zu verdeutlichen und nicht einfach zu schlucken. Da muss man sich nicht sagen: ‚Ich packe einen Panzer um mich und die dürfen alles machen.‘ Nein, gar nicht.

Dieser Job kann einen manchmal auch an die eigenen Grenzen, sowohl physisch, als auch psychisch bringen, oder?

Wir sind ja so trainiert, dass wir viermal im Jahr eine Leistungsprüfung absolvieren müssen. Dazwischen bewegen wir uns nicht in einer Sinuskurve, sondern halten einen hohen Level der Fitness. Man hat auch an sich selbst den Anspruch, bei einem Spiel immer bis zum Schluss dabei sein zu können. Aber da gab es schon Spiele, wo du sagst: ‚Wow, das war schon ein cooles Ding.‘ Ist es dann auch noch eine Mischung aus physischer Beanspruchung und vielen schwierigen Situationen, dann ist das auch psychisch. Zusätzlich kommt noch der Druck von außen, wenn es ein besonderes Highlight war. Das stimmt schon, daran erinnere ich mich natürlich auch. Stress und Adrenalin im Vorfeld, das beansprucht den Körper am Schluss schon. Zum Beispiel das Pokalendspiel 2008: Dortmund gegen Bayern, inklusive Verlängerung. Wenn man dann am Ende abpfeift, dann ist man froh, wenn man nicht großartig in der Kritik steht. Da weiß man, was man getan hat. Andererseits schießt da auch wieder das Endorphin ein, das einen froh macht: ‚Ja, super! Du hast was geleistet.‘

Fotos: Marko Knab

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