Warum ist es erlaubt, dass bei der Produktion von Gütern die Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört werden? Und warum werde ich als KonsumentIn dafür verantwortlich gemacht? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Kathrin Hartmann in ihrem Buch „Die grüne Lüge“.
Die Zerstörung unserer Umwelt findet derzeit in nie dagewesenem Ausmaß statt. Die Weltbevölkerung lebt so, als stünden ihr eineinhalb Erden zur Verfügung. Soweit, so erschütternd, so bekannt. Das Internet ist voll mit Dokus, die diese katastrophalen Entwicklungen beleuchten und versuchen, die KonsumentInnen aufzurütteln, sie zum nachhaltigen Einkauf zu animieren.
Doch das greift zu kurz, findet Kathrin Hartmann. Die Journalistin und Autorin war am Dienstagabend bei Attac Tübingen zu Gast und las im Schlatterhaus aus ihrem Buch „Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“.
Greenwashing: Ein Machtinstrument, das echte Veränderung verhindert
Hartmann prangert an, dass es den Konzernen selbst überlassen wird, sich um mehr Nachhaltigkeit zu kümmern. Denn dabei herausgekommen seien anstatt substantieller Verbesserungen vor allem scheinheilige Marketingstrategien. Alles, was einmal schädlich war, dient heute anscheinend der Weltrettung. Diese Beschönigungen, die von Monsanto, Nestlé, Unilever und den anderen Großkonzernen betrieben werden, nennt man „Greenwashing“: Die Konzerne geben vor, sich im Namen der Umwelt und der Menschenrechte selbst zu kontrollieren. Die Überlegung dahinter ist, dass sich die Gesamtsituation bereits verbessert, wenn sich die Global Player auch nur ein bisschen ändern. Den KundInnen wird damit vermittelt, dass es sehr gut und sehr nachhaltig sei, Produkte dieser Konzerne zu konsumieren.
Und doch sind diese Greenwashing-Strategien laut Hartmann nichts weiter als ein Machtinstrument, um echte Veränderungen zu verhindern. Es werde verkannt, dass dieses System, das von Profitmaximierung getrieben werde, niemals wirklich nachhaltig sein könne und immer auf irgendeiner Form von Ausbeutung beruhe.
Von „Arschloch-Kaffee“ und Fair-Trade
Hartmann beschäftigt sich seit etwa zehn Jahren mit der vorgeblichen Nachhaltigkeit der Großkonzerne und deren Auswirkungen. Die Autorin ist extrem gut mit der Thematik vertraut; die Fragen des Publikums an diesem Abend sind sehr klug.
So fragt zum Beispiel einer der Anwesenden, ob das Hauptproblem nicht darin liege, dass die KonsumentInnen die Probleme ganz genau kennen, aber einfach nicht entsprechend handeln. „Das lässt sich so nicht einfach sagen“, antwortet Hartmann. Der Fleischkonsum in Deutschland sei zum Beispiel rückläufig, es finde durchaus eine Verhaltensänderung statt. Dennoch sei die Fleischproduktion gestiegen – wenn es hier keiner wolle, werde es eben exportiert. „Das System wurde noch nie durch individuelle Verhaltensanpassung verändert, so funktioniert Konsum einfach nicht.“ Deshalb brauche man kollektive Bewegungen, aber auch verbindliche Regeln.
Ein weiterer Zuhörer macht auf die absurde Situation in Supermärkten aufmerksam: „Da stehen ein oder zwei Fairtrade-Kaffees neben all den anderen. Aber was sind die dann? Arschloch-Kaffees oder was?“ Hartmann pflichtet ihm bei: „Ich verstehe nicht, warum es eine Wahl sein muss, andere Menschen auszubeuten oder nicht. Niemand will andere Menschen ausbeuten.“
„Wir haben noch viel Arbeit vor uns“
In dieser ganzen Misere gibt es aber natürlich Hoffnungsschimmer. Hartmann bezeichnet den Tag als historisch, an dem das Oberlandesgericht Hamm die Klage des peruanischen Kleinbauern Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE annahm. Lliuya fordert, den größten CO2-Emmitent Europas dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass die Gletscher in den Anden, nachweislich aufgrund von Emissionen, rapide abschmelzen. Es geht hier also um die Frage: Kann ein einzelner Konzern für Umweltschäden zur Kasse gebeten werden?
„An diesem Tag sind im Oberlandesgericht Welten aufeinandergeprallt“, findet Hartmann: die westliche Welt, die sich in ihrer Scheinheiligkeit eingerichtet habe, und die Menschen, die sich genau das nicht mehr gefallen lassen wollen.
.Um diese scheinheilige Vorherrschaft der Großkonzerne zu untergraben, appelliert Hartmann an jedeN EinzelneN: „Wir müssen zuallererst aufhören, diese grüne Lüge der Konzerne zu glauben und uns dieser gemeinsam entgegenstellen.“ Man solle jede kleine Chance ergreifen, die bestehenden Machstrukturen zu erschüttern, wenn nötig auch mit Aktionen des zivilen Ungehorsams. Es gebe noch viel zu tun. Doch trotz allem ist Hartmann nicht pessimistisch: „Das wäre ja entsetzlich!“
Kathrin Hartmanns Buch „Die grüne Lüge“ entstand im Rahmen der Recherche zu dem gleichnamigen Film, der ab März in den Kinos war. Den Trailer gibt’s hier.
Fotos: Beitragsbild – Stephanie Füssenich/ Random House, Bild 2 – Verena Teuber Buchcover – Pressestelle Random House