Klischees gibt es nicht ohne Grund, sagt man. Deshalb schauen wir uns die Studiengänge mal genauer an. Heute tritt die klischeebelastete Germanistik auf die Trauerspiel-Bühne.

Den typischen Germanistik-Studenten erkennt man vor allem an den vielen Wälzern, die er stets fest an seine Brust gedrückt mit sich herumschleppt. Er ist meist im Brechtbau der Universität Tübingen anzutreffen, wo er sich in Pausen manchmal mit seinem „Werther‘“ beschäftigt, um ihn vor den Augen anderer Studierender nur erhaben zu präsentieren.

30 Minuten vor der Zeit, ist die Germanistik-studentische Pünktlichkeit

Wenn die mit Büchern bepackte Luise sich erfolgreich in den eh schon überfüllten Aufzug drängelt, um 30 Minuten vor Vorlesungsbeginn in ihrem Hörsaal zu sitzen, dann kann man sich sicher sein, dass man eine Germanistik-Studentin gesichtet hat. Wenn man neben ihr sitzt und nicht still vor sich hin vegetieren möchte, entsteht meist ein sehr zögerlicher Small Talk, bei dem nicht mehr als über die eigenen Seminare ausgetauscht wird. Wer beim ersten Kennenlern-Versuch nicht gleich kapituliert, kann mit viel Geduld durchaus Freundschaften schließen. Falls man jedoch eine Freundschaft mit viel Partyausgang wünscht, ist man hier schlecht bedient. Nach einer Weinschorle bei nun fortgeschrittenem Small Talk ist der Abend für den Germanistik-Studenten auch schon wieder vollendet.

Grammar-Nazi

Ein weiteres Merkmal des Germanistikstudenten ist seine Verbesserungsfreudigkeit. Vor Verbesserungen in Wortschatz und Satzbau von Freunden oder Familie macht er keinen Halt. Das kann schon einmal nach hinten losgehen, denn beliebt macht er sich dadurch keineswegs – höchstens unter seinesgleichen. Den ironischen Meme-Spruch „You must be fun at parties“ bekommt der Germanistik-Student durch diese Aktionen regelmäßig zu hören. Und selbst wenn er einmal seine unerwünschten Verbesserungen unterdrücken kann, alarmiert ihn stets sein zuverlässiger, tiefsitzender innerer Trigger, dass er sein Gegenüber jetzt eigentlich unbedingt verbessern sollte.

Buchtitel-Dropping

Nachdem der Germanistik-Student das erste und letzte Mal in der universitätseigenen Mensa dinierte, präpariert er sich gelegentlich für seine Vorlesungen. Überdies frohlockt es ihn regelrecht, unergiebig salbungsvoll im Alltag zu konversieren. Nicht selten, um zu kompensieren, dass er das Buch in seiner Hand eigentlich gar nicht gelesen hat, sondern nur dessen Einband. Wenn der Germanistik-Student sich einmal hochmotiviert fühlt, dann liest er auch schon einmal eine Wikipedia-Zusammenfassung durch oder schaut sich ein dreiminütiges Video auf YouTube an, in dem der Fünfakter, den er eigentlich schon im ersten Semester gelesen haben sollte, lückenhaft und zusammenhangslos erläutert wird.

So zu tun, als hätte man einen Plan, wo garkeiner vorhanden ist, ist ja bekanntlich ein allgemeines Studenten-Klischee. Jedoch wird dies vom Germanistik-Studenten noch getoppt: Nicht selten kommt es vor, dass er sogenanntes Name-Dropping betreibt – oder sollte man sagen ‚Buchtitel-Dropping‘ – obwohl er weder Kenntnisse über den genannten Autor besitzt, noch den Inhalt der Lektüre studiert hat.

Vom Massenfach zur Taxifahrt

Der Germanistik-Student fährt oft in seine Heimat. Wenn dann auch noch ein großes Familientreffen ansteht, merkt er auf seiner Hinfahrt schon die sich langsam anschleichende, aber stets zuverlässige Panik aufkommen. Grund dafür: Die Verwandten möchten hören, wie es im Studium denn so läuft, und früher oder später tritt die Frage „Und was kannst du denn nochmal mit deinem Studium später machen?“ zum Vorschein. Wer sich im Voraus nicht schon ein wenig über Google informiert hat, was die Germanistik nach dem Studium eigentlich zu bieten hat, wird seine Familie in diesem Moment mit leeren Worten abfertigen müssen. Um Zeit zu gewinnen, gibt der Germanistik-Student ein „Ähm, naja, …“ von sich oder beteuert, dass er mit seinem Studium für die Zukunft breit aufgestellt ist. Wenn vom Onkel dann auch noch die Bemerkung ertönt, dass nach dem Studium eine große Karriere in der Taxibranche ansteht, gibt der Germanistik-Student seine Rechtfertigung meist endgültig auf und schenkt sich stillschweigend noch mehr Wein ein.

Titelbild: Michelle Pfeiffer

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