Emanzipation auf der Bühne

Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Selbstbild und Gesellschaftsentwurf im Konflikt. Mit seiner Inszenierung von Henrik Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“ bringt Regisseur Hüseyin Michael Cirpici einen Klassiker auf die Bühne, der aktuelle Themen anspricht. Die Emanzipation der jungen Frau Nora steht im Mittelpunkt des Stücks, das am 4. Dezember im Landestheater Tübingen (LTT) seine Premiere feierte.

Sieben Treppenaufgänge führen von der in Schwarz gehaltenen Bühne, in deren Mitte eine Säule steht.  Reduziertheit prägt das Bühnenbild. Lediglich ein kleiner Tannenbaum im Topf erinnert am Rande daran, dass das Geschehen in der Weihnachtszeit spielt. Viele Requisiten braucht es jedoch auch nicht, denn im Zentrum steht der innere Konflikt der jungen Frau und Mutter Nora.

Frau mit zwei Gesichtern

„Ist das meine Lerche?“ Mit diesen Worten begrüßt Ehemann Thorvald Helmer (Raphael Westermeier) seine Frau Nora (Jennifer Kornprobst). Es ist eine Ehe mit „klassischer“ Rollenverteilung: Er, der starke Mann, der die Familie versorgt und sie, die mädchenhaft, unbeholfene Frau, die auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen ist. So scheint es zumindest, denn Nora hat ein Geheimnis, das ihr wahres Wesen birgt.

Sie hat einen Kredit aufgenommen, um ihrem kranken Mann  zu helfen. Ihr Kreditgeber wird allerdings zum Problem, als er von Noras Mann aus seiner Anstellung entlassen wird. In seiner Verzweiflung erpresst er Nora daraufhin: Er weiß, dass sie die Unterschrift ihres Vaters, der für ihren Kredit angeblich gebürgt hatte, gefälscht hat.

Mit dieser Erpressung nimmt die Geschichte ihren Lauf. Noras innerer Konflikt, ihre zwei Gesichter, scheinen immer unvereinbarer. Die junge Frau steht ihrer inneren Zerrissenheit gegenüber.

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Nora steht zwischen zwei Welten – ist sie folgsame Ehegattin oder eine eigenständige Frau?

Psychedelische Tanzeinlage

Viele Worte werden in der Inszenierung nicht darauf verwendet, die Entwicklung Noras vom klassischen Weibchen zur sich neu erfindenden und emanzipierten Frau darzustellen. Das Stück setzt eher auf non-verbale Elemente. Nora tanzt, psychedelisch umkreist von all ihren Beeinflussern, oder steht lachend auf der Bühne, während es auf sie herunter schneit.

Neben diesen Effekten sind es auch fast gruselig anmutende Szenen, in denen alle aus Noras Umfeld schweigend die Treppenaufgänge herunterkommen und wieder gehen. Im Gegensatz dazu steht die fast schon tragische Komik, die die Dialoge der Figuren erzeugen: „Ich bin gerettet!“ – „Und ich?“ – „ Joa…, du auch.“

Der entscheidende Entschluss

Während Nora sich also vor den Augen der Zuschauer verändert, bleibt „das Wunderbare“, das die ganze Zeit über ihr Wunsch war, jedoch aus. Ihr Geheimnis kommt ans Licht und Thorvald reagiert genau so, wie sie es befürchtet hatte. Selbst als Noras Kreditgeber die Erpressung aufgibt, entwickelt sich Thorvald nicht zu dem Mann, den sie sich wünscht. So fasst Nora den Entschluss, Mann und Kinder zu verlassen. Sie hat erkannt, dass diese Art der Ehe nicht das ist, was sie sich wünscht.

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Thorvald entpuppt sich nicht als der wunderbare Ehegatte, für den Nora sich eingesetzt hatte.

Brüche teilweise unpassend

Mit „Nora oder ein Puppenheim“ bringt das LTT ein Stück auf die Bühne, dass die Zuschauer mit seiner Thematik packen kann. So fiel die Resonanz des Abends insgesamt positiv aus. Viele Zuschauer konnten etwas wieder erkennen, das sich auf das eigene Leben beziehen lässt.

So empfanden die drei Studentinnen Eva, Elena und Frederike den Inhalt als gut umgesetzt und konnten sich mit der Identitätssuche einer jungen Frau identifizieren. Nur die teilweise auftretenden Brüche des Stücks, wie beispielsweise der Tanz Noras, wurden von den Zuschauern als etwas störend empfunden. Nach dem Stück wurde die Premiere passend zur Adventszeit noch mit Punsch gefeiert.

Wer sich den Weg Noras zur emanzipierten Frau noch anschauen möchte, kann dies bei weiteren Vorstellungen des Stücks im LTT tun. Es läuft noch bis zum 05.02.2016. Karten hierfür können unter www.landestheater-tuebingen.de reserviert werden.

Fotos:  Pressefotos des LTT (Landestheaters Tübingen).

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