Vom 14. bis 23. August 2011 fuhr eine Gruppe Tübinger auf der schwimmenden Universität „Peace Boat“ mit. Ihre Reise führte sie von Jordanien über Ägypten bis nach Griechenland. Währenddessen standen sowohl Veranstaltungen zu friedenspolitischen Themen als auch ein eigenes Theaterstück auf dem Programm.
von Hannah Kommol
Je nach Nervenkostüm des Schauspielers kann die Aufführung eines Theaterstücks schon eine enorme Herausforderung darstellen. Kommt zur normalen Nervosität noch der Wellengang des Mittelmeers und eine Fremdsprache hinzu, wird manch einer weit vom Ruhepuls entfernt sein. Wie hoch der Puls der 20 Tübinger Studenten bei der Aufführung ihres Theaterstücks „65 Years of Dealing with the Past in Germany“ an Bord eines Schiffes tatsächlich war, ist nicht überliefert. Allerdings kann man bei schwankendem Untergrund schon einmal weiche Knie bekommen.
Bereits weit vor der Theateraufführung begann die Reise der Tübinger Gruppe. Die japanische NGO „Peace Boat“ hatte zur Teilnahme an der „74th Global Peace Voyage“ geladen. Mehrmals im Jahr umrundet die NGO mit dem gleichnamigen Kreuzfahrtschiff die Welt. Auf den Reisen werden auch ehemalige und aktuelle Konfliktherde angesteuert. Durch ein vielfältiges Bildungsprogramm an Bord sollen die Passagiere für Themen wie Menschenrechte, Frieden oder Umweltbewusstsein sensibilisiert werden. Ihren Ursprung nahm die NGO 1983 als japanische Studenten ein Schiff charterten. Sie wollten, wegen Zensur im eigenen Land, von ihren Nachbarn erfahren, wie diese Krieg erlebt hatten. Tübingen schickt seit 2005 alle zwei Jahre eine Gruppe auf die schwimmende Universität. Für die 20 Tübinger StudentInnen ging es am 11. August mit zwei Betreuerinnen in das jordanische Amman. Bereits am nächsten Tag stand der Besuch des Flüchtlingscamps Madaba an.
Das Camp ist ein Resultat des Sechs-Tage-Krieges von 1967. Heute noch leben dort 104.000 palästinensische Flüchtlinge. „Äußerlich macht die Siedlung den Eindruck eines normalen Stadtteils“, so Jerome Kuchejda, 27, Masterstudent der Friedensforschung und internationalen Politik. „Einige Häuser haben Strom und fließend Wasser, allerdings nicht alle und der Wohlstand der Familien ist doch sehr unterschiedlich“, erklärt er. Im Camp trafen sich die Tübinger mit Vertretern der Verwaltung und mit Frauen des Women Centers, die zum Beispiel selbst Schmuck herstellen. Die Nacht verbrachten sie jeweils zu zweit bei einer Familie.
Dabei ist Jeromes Kommilitone Patryk Grudzinski, 26, besonders die Gastfreundschaft der ihrigen in Erinnerung geblieben. Dies ist jedoch nicht das Einzige: „Die Bewohner sind stark von der Vertreibung beeindruckt, auch die jüngere Generation, die bereits im Camp geboren ist.“ Gerade Letztere sprechen noch von ihrem Recht auf Rückkehr in das Land der Vorfahren, obwohl sie „jordanische Pässe haben und in diesem Land teils zur Uni gehen“, erzählt Patryk von seinen Erfahrungen.
Erst später erfuhren die Studenten von ihrem Übersetzer Rami, dass es beim Treffen mit der Campverwaltung die Vermutung gab, die kritischen Fragen der jungen Tübinger seien diesen zuvor aufgetragen worden. Nach einem beeindruckenden Beginn führte die Reise der Mitteleuropäer bis nach Aqaba weiter. In der jordanischen Hafenstadt ging es endlich an Bord des Schiffes „Peace Boat“. Mit Pools, einem Fußballfeld und zwei Restaurants wusste das Schiff aus den 70ern durchaus zu gefallen. Allerdings war man nicht zum Ferienschippern angetreten und so standen in den folgenden Tagen Workshops auf See an.
Diese reichten vom „Arabischen Frühling“ bis zur Arbeit über „das Internationale Straftribunal für das frühere Jugoslawien“. Geleitet wurden die Workshops von Mitgliedern der NGO oder von Gastdozenten, die schon mehrmals auf dem „Peace Boat“ mitgefahren sind. Ebenfalls an Bord waren mehrere hundert Passagiere, hauptsächlich aus Japan, aber auch aus China und Korea. Der hohe Altersdurchschnitt ist wohl den Kosten der Reise geschuldet, die für 100 Tage bei circa 10.000 US-Dollar liegen. Mit ungefähr 1.100 Euro pro Kopf schlug die Reise für die Tübinger zu Buche. Einen Teil mussten sie selbst finanzieren, der Rest wurde durch Stipendien oder mit Geld aus Fundraising-Aktionen bezahlt.
An sich ist die Teilnahme an der Exkursion für Tübinger unterschiedlichster Studienfächer offen. Allerdings haben Studenten des Masters Vorrang, den Patryk und Jerome studieren. Ihren ersten Landgang absolvierte die 22-köpfige Gruppe in Kairo. Während die anderen Passagiere touristischen Aktivitäten nachgingen, besuchte sie das „Egyptian Council for Foreign Affairs“.
An der Seite der Europäer war ein Fremdenführer sowie ein Sicherheitsmann der ägyptischen Touristenpolizei. Nachdem in den 90ern nach einem schweren Anschlag in Luxor die Tourismusbranche einbrach, werden größere Gruppen von einer Sicherheitsperson begleitet. Ein weiterer Programmpunkt sollte ein Treffen mit Mitgliedern der „Bewegung 6. April“ sein. Diese waren entscheidend an den Protesten beteiligt, die zum Sturz Mubaraks führten. Nach mehrstündigem Warten im vereinbarten Restaurant wurde jedoch klar, es würde kein Treffen geben. „Wir wissen nicht, warum niemand aufgetaucht ist“, berichtet Jerome. Die Organisation dieser Verabredung hatte die „Peace-Boat“-Mitarbeiterin Jasna drei Monate gekostet. Auf die Frage, ob Einheimische Interesse an der offensichtlich fremden Gruppe hatten, erwidert er: „Ja, sehr viel. Ich habe mit mehreren gesprochen.“ Am Ende eines ereignisreichen Tages musste es schnell wieder zum „Peace Boat“ gehen. Wer nicht rechtzeitig zum Ablegen da war, hatte die längste Zeit an Bord der „Friedensuniversität“ verbracht.
Den Wechsel von der muslimischen Welt an Land auf das asiatisch geprägte Schiff beschreibt Patryk als krass. „Das sind definitiv mehr als zwei Welten.“ Besonders intensiven Kontakt mit der japanischen Kultur genossen die Tübinger an einem Nachmittag an Bord. Engagierte Passagiere halfen beim Origamifalten oder zeigten, wie man Namen auf Japanisch schreibt. „Die Japaner sind sehr freundlich und entgegenkommend. Aber auch ihre Demut und Bescheidenheit sind sehr beeindruckend“, erinnert er sich. Jerome pflegt auch einige Monate nach Ende ihrer Reise noch Kontakte nach Asien.
Am Abend des 19. August war die Stunde der eigenen Präsentation gekommen. Das Theaterstück beschäftigte sich mit der deutschen Bewältigung der Nazi-Vergangenheit. Der Programmpunkt war den Passagieren angekündigt worden. Nach einer Generalprobe machten sich die Studenten an eine, auf Englisch gehaltene, 40-minütige Präsentation. Diese wurde schlussendlich doppelt so lange, da zwischendurch immer wieder von Englisch in Japanisch übersetzt wurde. Vor ungefähr 150 Gästen kamen auch Power Point, Musik und Videos zum Einsatz. In späteren Gesprächen stellte sich die japanische Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit als sehr anders zur deutschen heraus. So lernen japanische Schüler viele Fakten, aber reflektieren und kritisieren weniger.
Die Vorbereitung auf die Exkursion samt Theaterstück begann ein halbes Jahr vorher. Verpflichtend musste ein Seminar zur Bürgerkriegsanalyse besucht werden. Außerdem gab es ein Blockseminar, welches die beiden Betreuerinnen als Kooperation zwischen dem Institut für Politikwissenschaft der Uni und dem Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V., durchführten. Es diente Organisatorischem, wie der Planung einer Fundraising-Party. Auch das Theaterstück entstand hier. Ob dieser Arbeit war Jerome froh über die Exkursion: „Die Vorbereitung war rein wissenschaftlich, da ist der praktische Einblick wichtig und gut.“ Die Route des „Peace Boat“ führte die Tübinger noch über einen zweitägigen Aufenthalt in Istanbul schließlich bis in den Hafen von Piräus.
Nach großer Verabschiedung gingen die Zweiundzwanzig in Griechenland von Bord. Die schwimmende Universität setzte ihre Reise fort, die sie unter anderem noch nach Frankreich, Russland und Mexiko bis in den Heimathafen Yokohama brachte. Derweil hatten es die Studenten und ihre Betreuerinnen zurück nach Deutschland geschafft, mit vielenErinnerungen im Gepäck. Einen Teil dieser haben sie Neugierigen in einem Blog hinterlassen.