Die Angst vor dem Vergessen

1906 stellte Alois Alzheimer auf einer Fachtagung in Tübingen die später nach ihm benannte Krankheit zum ersten Mal vor. Heute wird sie am Tübinger Hertie-
Institut erforscht.
von Hendrik Rohling

Was hat sich auf dem Gebiet der Alzheimer-Forschung in den letzten 100 Jahren getan?
M. Jucker: Bereits Alzheimer erkannte die Eiweißablagerungen im Gehirn, die die Krankheit kennzeichnet. Lange Zeit blieb das der Stand der Forschung. Die Gründe sind zweierlei: Erstens sind früher die Menschen nicht so alt geworden, die Krankheit spielte gesellschaftlich eine geringere Rolle. Zweitens sah man nur das Ende der Krankheit,
nicht aber den Verlauf.
Was brachte die Forschung in Schwung?
M. Jucker: Vor 20 Jahren konnte ein Gendefekt identifiziert werden, den zwar wenige Alzheimerpatienten in sich tragen, der jedoch mit Sicherheit Alzheimer verursacht. Dieses Gen lässt sich in Tiere, nämlich in Mäuse, Würmer, Fliegen, einschleusen, sodass diese
die defekten Proteine im Gehirn ausbilden.
Mit diesen Modellen war es nun auch möglich, den Verlauf der Krankheit zu untersuchen.

Sie beschäftigen sich mit Ihren Kollegen zur Zeit auch mit der Frage, ob Alzheimer ansteckend sein könnte. Wie ist da der Stand?

M. Jucker: Alzheimer entsteht durch missgefaltete Eiweiße. Diese sorgen dafür, dass andere Eiweiße die fehlerhafte Information übernehmen. Eine Kettenreaktion ist die Folge. Im Labor lassen sich diese defekten Eiweiße experimentell von Tier zu Tier übertragen.
Eine solche Übertragung findet beim Menschen offensichtlich nicht statt. Nun kann man sich freuen, dass dem so ist. Wichtig und interessant ist aber auch die Frage, warum passiert es eigentlich nicht und sind wir 100 Prozent sicher, dass es beim Menschen nie passiert?
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es gegen Alzheimer?
M. Jucker: Bislang konnten nur Symptome behandelt werden. Die besten Medikamente  können die Krankheit etwa sechs bis neun Monate hinauszögern. Man kann sagen, das sei wenig, doch für die Betroffenen kann das ein großer Gewinn sein. Eine Therapie, die auch die Ursachen bekämpft, wurde erfolgreich an Mäusen getestet. Derzeit laufen  klinische Studien am Menschen.
Auf der Homepage Ihrer Abteilung des Hertie-Instituts gibt es ein Spiel. Man kämpft an gegen Amyloid-Plaques im Gehirn einer Maus. Was kann dieses Spiel verdeutlichen?
M. Jucker: In dem Spiel gibt es insbesondere die Möglichkeit einer Impfung. Genau damit ist die neuartige Therapie gemeint.
Hat sich die Wahrnehmung von Demenzkrankheiten wie Alzheimer in den letzten Jahren verändert, insbesondere durch das Bekanntwerden der Erkrankung bei Prominenten?
M. Jucker: Prominente haben sicher dazu beigetragen. Aber ganz allgemein steigt mit zunehmendem Alter die Angst vor Alzheimer. Stellen Sie sich vor, das ganze Wissen und alle die Erinnerungen zu verlieren, die man über ein ganzes Leben angesammelt hat: die ganze Kindheit, alle Bekannten, die eigenen Kinder.
Ist dies nicht das Schlimmste, was einem passieren kann? Jüngere Menschen realisieren weniger, wie schrecklich das ist. Aber stellen Sie sich nur vor, Sie würden Ihre Freundin und Ihre Eltern nicht mehr erkennen.

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