[Keep] durchgeblättert: Schlafen und Kotzen bei Cotta

In jedem zweiten Haus in der Altstadt scheint schon mal ein berühmter Schriftsteller gewohnt zu haben. Doch wie genau war ihr Leben in Tübingen? Eine Übersicht in fünf Teilen. Teil 1: Lohnende Besuche für Goethe und Schiller – trotz „Kotzerei“ und anstrengendem Gastgeber.

Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe sind beide schon bekannte Größen der deutschen Literaturlandschaft, als ihre Wege sie in die Universitätsstadt Tübingen führen. Trotzdem sind die Besuche in Tübingen für die zwei Dichterfreunde in vielerlei Hinsicht lohnend.


Tübingen als Elysium? Wer weiß…doch Schiller sprach gegenüber Goethe auf jeden Fall wohlwollend über das schön gelegene Tübingen. Hoffen wir nur, dass die Stocherkähne immer ihren „Fährmann“ behalten.

Bemuttert in der Burse

Schiller war als Jenaer Professor längst seinem schwäbischen Ursprung entwachsen, als seine Pferdekutsche nach Tübingen rumpelt. Drei Tage hat er für Tübingen eingeplant und einmal angekommen verliert Schiller keine Zeit: Sofort entsteht der Kontakt mit seinem früheren Lehrer Jakob Friedrich Abel, der ihn und seinen Begleiter stehenden Fußes in der Burse einquartiert.

Abel muss man sich wohl als anstrengenden Gastgeber vorstellen. Von der Berühmtheit seiner Gäste befleißigt, bemuttert er sie regelrecht und begleitet sie tagein, tagaus. Immer wieder lädt er Schiller zum Essen und Gesprächen ein, mal mit seiner Familie, dann wieder mit Stipendiaten in der Burse. Keine Sekunde scheint Abel von ihnen zu weichen. Van Hoven, Schillers Begleiter, hält fest: „Bis spät in die Nacht dauerte unsere gegenseitige Unterhaltung, ja Abel begleitete uns selbst ins Schlafzimmer.“ Und anscheinend verließ er es auch erst, als Schiller längst eingeschlafen war.

Lieber Autor als Professor

Nach den Plänen Abels sollte Schiller gar noch viel länger in Tübingen bleiben: Er schlägt vor, dass Schiller an der Universität Professor für Geschichte und Schöne Wissenschaft werden soll. Schiller schlägt diese blumig bezeichnete Stelle allerdings aus – seine Gesundheit lasse keine längere Betätigung dieser Art zu und außerdem erschien ihm das mögliche Gehalt als zu gering. Nein, Schiller hat andere Ziele in Tübingen: Cotta, mit dem ihn Abel bekannt machte.

In den Verhandlungen mit dem Verleger findet Schiller seinen inneren Schwaben wieder, denn er tritt als findiger, kühler und erfolgreicher Geschäftsmann auf. Doch auch für Cotta lohnt sich das Geschäft: Durch den folgenden Erfolg häuft er genug Reichtum an, um sich adeln lassen zu können. Aus Cotta wird ein von Cotta und nebenbei schaffen die beiden damit den Grundstein für die Epoche der Hochklassik. Wie wichtig sein Erfolgsautor Freiherr von Cotta ist, zeigt eine kleine Anekdote: Nach einem Gewitter lässt Cotta Schiller einen Blitzableiter zukommen. Logisch: Ein erschlagener Autor schreibt nämlich keine Bücher mehr.


Könnte glatt auch auf Tübingen im anbrechenden Frühling gedichtet sein: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“

Nach Regen…

Schiller ist es dann auch, der den Kontakt zwischen Goethe und Cotta herstellt, weswegen der Dichterfürst auf einer Reise in die Schweiz einige Tage in Tübingen ins Land gehen lässt. Nach der langen Kutschfahrt freut sich Goethe auf die Unterbringung bei Cotta – „bey den heißen Tagen“ habe er in Wirtshäusern „viel gelitten“ – und spricht positiv vom Anblick der vor ihm liegenden Stadt. Dabei soll es allerdings nicht lange bleiben.

Schiller hatte Cotta geraten, Goethe „mit einigen interessanten Personen bekannt zu machen“. Gesagt, getan und auch aufgrund schlechter werdenden Wetters warten auf Goethe Korrespondenzen, Korrespondenzen, Korrespondenzen. Mal geht es mit Gmelin zu seinem Gartenhäuschen auf dem Schlossberg, dann mit der Familie Ploucquet auf den Österberg und so weiter. Ein gewisser Abel soll auch sein Gespräch bekommen haben. Außerdem ist Goethe wetterfühlig, was ihn zu dem Ausspruch „die Stadt selbst ist abscheulich…“ bringt. Vielleicht ein wenig hart für das schöne Tübingen.

…kommt Sonnenschein

Doch mit sich besserndem Wetter kommt dann auch die Laune Goethes wieder und die Ausflüge an den Mühlbach, ins Ammer- und ins Neckartal vervollständigen den getätigten Ausspruch mit: „…allein man darf nur wenige Schritte tun, um die schönste Gegend zu sehen“. Also nicht nur Gekotze, wie heute ein bekannter Satz auf dem Schild seiner Unterkunft in der Münzgasse verspricht. Denn neben der gewonnenen Beziehung mit Cotta findet er in einem Werk in der Bibliothek der Burse auch einen wichtigen Bestandteil für seine berühmte „Farbenlehre“.

Im Endeffekt also doch ein lohnender Besuch. Und ebenfalls ist dem übereifrigen Abel zu danken, denn unter anderem über ihn kam es erst zu der prägender Dreierbeziehung Goethe-Schiller-Cotta und damit zur Etablierung von einem der fruchtbarsten und wichtigsten Verlage Deutschlands, die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung. In nur zwei kurzen Besuchen im kleinen Tübingen liegt also ein wichtiger Grundstein für die Entwicklung der deutschen Literatur.

  1. Teil: Goethe und Schiller bei Cotta
  2. Teil: Mörike der Träumer und die Hausfrau Wildermuth
  3. Teil: Die Verrückten Hölderlin und van Hoddis
  4. Teil: Das Genie und der Politiker – Hauff und Uhland
  5. Teil: In Tübingen, um sich zu finden: Hesse und Zweig

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der „Dichterfürst“, ist wahrscheinlich der bekannteste deutsche Schriftsteller. Er war im Jahre 1797 für einige Tage – vom 7. bis zum 16. September – in Tübingen und nächtigte für diese Zeit in der Münzgasse 15. Drei Werke: Das Drama „Faust“, die Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ und die „Wilhelm Meister“-Romane.

Friedrich von Schiller (1759-1805) ist vor allem als großer Dramatiker bekannt. Mit der Monatszeitschrift „Die Horen“ führt er Goethe mit Cotta zusammen. Die Zusammenarbeit mit dem Verleger gründet sich in seinem Besuch im März 1794. Er wohnt für diese Zeit in der Bursagasse 1 (Burse). Drei Werke: „Die Räuber“, „Das Lied von der Glocke“ und „Kabale und Liebe“.

Johann Friedrich von Cotta (1764-1832) ist der wohl bedeutendste deutsche Verleger des 18. und 19. Jahrhunderts. In der Cotta’sche Verlagsbuchhandlung erschienen Werke von Autoren wie Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist, Fichte und Hegel. Bis 1816 wohnte er im Cottahaus, der Münzgasse 15, Stammhaus seines Verlages, bevor er nach Stuttgart übersiedelte.

Empfohlene Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert