Zum 25. Mal wartete die Tübinger Poetikdozentur mit erfolgreichen Schriftstellern auf. Dieses Semester sprach im Tübinger Audimax unter anderem Brigitte Kronauer.
von Frederik Bühler
Ende November hängen sie überall und sind auch bei den Dieben scheinbar äußerst beliebt. Sie sind ein Blickfang, weil darauf eine Frau vor grellrotem Hintergrund genüsslich und in bester schmidt’scher Manier –den Glimmstengel nicht verhehlend, eher im Gegenteil – raucht. Die Frau auf den Plakaten: Brigitte Kronauer, Gastder diesjährigen Poetikdozentur Tübingens, die vom 21. bis 25. November 2011 stattfindet. Mit zahlreichen Literaturpreisen überhäuft reiht sie sich ein in die hochkarätigen Gäste der Veranstaltung, wie Günther Grass, Daniel Kehlmann und Herta Müller.
Zum Auftakt der mehrtägigen Veranstaltung spricht Brigitte Kronauer am 21. November zum Thema „Wirkliches Leben und Literatur“ im Audimax. Die Veranstaltung hat großen Zulauf, sodass – im universitären Kontext ja wirklich nichts Besonderes – auch die Treppen als Sitzplätze herhalten müssen. Das durchschnittliche Alter der Besucher liegt dagegen allerdings jenseits des typischen Studentenalters.
Nahezu pünktlich geht es los und die offizielle Eröffnung beginnt. Grußworte der Universität, der Stadt und eine kurze Vorstellung von Brigitte Kronauer werden in eine halbe Stunde gepresst. Besonders Boris Palmers Stellvertreter redet sich in neue Sphären was die Redegeschwindigkeit betrifft. Die Wörter sprudeln nur so hervor und auch die Vertreter der Universität geben Gas. Leider erfährt der fleißige Flyerleser kaum etwas Neues und das Vorgeplänkel zieht sich etwas in die Länge.
Mit einem Augenzwinkern auf ihre Vorstellung beginnt sodann auch Brigitte Kronauer ihren Vortrag mit den Worten „man spricht hier in Tübingen sehr schnell“ – was durch ein Schmunzeln im Audimax belohnt wird. Und ehe man sich versieht geht es los. Mit hörbuchgleicher Stimme referiert die über 70-jährige über die Verbindung von Literatur und Wirklichkeit. Sie erzählt von ihren Lieblingsautoren: Wie diese den Leser mit realen Schilderungen konfrontieren, denen man sich nicht entziehen kann; sie erzählt Anekdoten aus ihrer Kindheit und führt vor, warum die gleiche Geschichte je nach Kontext immer anders erzählt wird. Den Hunger nach Wahrhaftigkeit und andere Gründe für das Lesen von Romanen erörtert sie. Sie erklärt das Sprachgebilde die „Luft vorübergehender Heimatlichkeit“, welche Bezauberung beim Leser hervorruftund ihn gefangen nimmt. Die Sätze werden immer länger, immer verschachtelter. Es wird anstrengender dem Vortrag zu folgen. Und doch lohnt es sich. In Worten, die klingen als kommen sie vom Band – so perfekt die Aussprache und das Zurückkehren in die Satzstruktur, die für eine ausschweifende Ausführung verlassen wurde –schildert Kronauer, dass Literatur doch einfach nur das Flüchtige festhalten und intensivieren will. Man spürt ihre Liebe zur Literatur und ihre Achtung für das Geschriebene. Doch Brigitte Kronauers Stil fordert auch seinen Tribut und so ist auf der Treppe ein Mann eingeschlafen. Geweckt wird er erst durch den aufbrandenden Applaus, der nach einer Dreiviertelstunde zum Ende des Wörterfeuerwerks losbricht.
Draußen hat eine Tübinger Buchhandlung ihre Verkaufstische aufgestellt und die Bücher der jetzt gelöst plaudernden Autorin gehen weg wie heiße Semmeln. Manchmal reicht es eben nicht, sich nur ein Plakat in die Wohnung zu hängen, es braucht auch das Buch im Regal.