Eine Studie stellt die Studierfähigkeit heutiger Studierender in Frage
Es ist nicht schön, wenn dir jemand sagt: „Du bist nicht gut genug.“ Besonders, wenn es jemand ist, zu dem du aufschaust. Deine Eltern. Deine Lehrerin. Und jetzt – deine Uni?
von Hannah Steinhoff
Im vergangenen Sommer machte Professor Dr. Gerhard Wolf von der Uni Bayreuth das Ergebnis einer internen Umfrage des Philosophischen Fakultätentags publik, an der 70 Dozenten geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Fakultäten in Deutschland teilgenommen hatten und ihren Studierenden mangelnde Eignung für ein Universitätsstudium bescheinigten.
Das Thema war in den Medien sehr präsent: Von „großen Lücken“ und einem „vernichtenden Urteil“ war da die Rede und immer wieder fiel das Wort „bestürzend“. Die Studie selbst wollte Professor Wolf nicht veröffentlichen, das war ihm zu heikel.
Auch einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zufolge, in der Professoren über ihre Einschätzung der Studienleistungen befragt wurden, denken 44 % der Professoren, dass Studierende sich insgesamt verschlechtert hätten – lediglich 8 % sind der Ansicht, sie seien besser geworden.
Es ist recht einfach, eine solche Kritik von sich zu weisen, den Zeigefinger auszustrecken und auf all die Faktoren zu deuten, die ein Studium so schwer machen.
Natürlich lassen die Schulen zu wünschen übrig und es sind eben nicht alle Abiturienten allgemein hochschulreif – das Abitur ist dafür deutschlandweit zu unterschiedlich. Fähigkeiten, die Professoren an Studienanfängern vermissen, werden häufig schlicht und einfach in der Schule nicht vermittelt. Und natürlich leiden viele Studierende unter der Modularisierung der Bachelor- und Masterstudiengänge, bei denen eben kaum Freiraum bleibt, um die „eigenen Gedanken und Argumente“ zu entwickeln, an denen es der Studie zufolge fehlt.
Waren Studierende früher tatsächlich fähiger, fleißiger und besser vorbereitet?
Wenn dir jemand, den du wertschätzt, sagt: „Du bist nicht gut genug“, schuldest du es dir selbst, zu hinterfragen, was an diesem Vorwurf dran ist. Waren Studierende früher tatsächlich fähiger, fleißiger und besser vorbereitet?
Es war einmal, vor langer Zeit, da waren die Universitäten Stätten des Wissens und junge Menschen strömten dorthin, um zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Den ganzen Tag saßen sie über staubige Wälzer gebeugt im Bonatzbau und konnten nicht ruhen, ehe sie nicht eigenhändig die Odyssee übersetzt und so jede Nuance des Originals verstanden hatten.
Es war einmal, aber wann war das eigentlich? Sicher nicht, als unsere Profs studiert haben. Wer weiß schon, was deren Professoren über sie gesagt hätten? Sehr viele Studien gibt es zu dem Thema nicht, aber die wenigen, die es gibt, klingen überraschend vertraut: Schon 1993, vor 20 Jahren, forderte der Hochschulverband „wirksame Maßnahmen zur Wiedergewinnung der Studierfähigkeit.“
Haben wir es hier also mit einem typischen Fall von Früher-war-alles-besser-itis zu tun? Kann es sein, dass unsere Profs Fähigkeiten an uns vermissen, die sie selbst erst über eine jahrelange akademische Karriere entwickelt haben? Oder sind wir tatsächlich der vorläufige Tiefpunkt?
Die Ansprüche an uns sind hoch: Wir sollen uns umfassend bilden, gute Noten schreiben, ein Netzwerk aufbauen und Praxiserfahrungen sammeln – das alles in Regelstudienzeit in einem durchmodularisierten Bachelorsystem.
Personaler beschweren sich, dass Absolventen nach Bologna „persönlich noch nicht genügend entwickelt“ seien, wenn sie in den Arbeitsmarkt eintreten. Das ist es auch, woran wir in drei bis fünf Jahren an der Universität vor allem arbeiten: an einer persönlichen Entwicklung, bezeichnet mit dem schönen Begriff „Persönlichkeitskompetenz“. Dabei kommt es vor allem darauf an, sich selbst darzustellen. Statt Fach- und Allgemeinwissen entwickeln viele einen Katalog an Fremdwörtern und Zitaten, aus dem zu jedem Thema eine intelligent klingende Meinung zusammengesetzt werden kann. Und weil das eigentlich fast jeder so macht, fällt es immer schwerer, zu unterscheiden, wer Wissen vorgaukelt und wer es tatsächlich hat. Präsentation ist alles. Es reicht auch, um ein geisteswissenschaftliches Studium zu überstehen: Man muss die Odyssee eben nicht gelesen haben, es reicht, die handelnden Personen zu kennen und dann das Motiv der Irrfahrt auf das Leben des modernen Menschen zu übertragen, um vom Gegenüber als Teil der geistigen Elite akzeptiert zu werden. Den Text zu lesen, und zwar im Original, das scheint Studierenden heute wie eine absurde Zeitverschwendung. Es stimmt, dass wir wenig Zeit dafür haben – aber wenn wir sie hätten, würden wir sie nicht auf das Erlernen des Altgriechischen für die Lektüre der Odyssee verwenden.
Wir können von Idealvorstellungen lernen
Die gewünschten guten Noten bekommt man jedenfalls auch so. Ein im November erschienener Bericht des Wissenschaftsrates zeigt, dass 80 % der Absolventen ihr Studium mit der Note „gut“ oder „sehr gut“ abschließen, nur 1,1 % mit der Note „ausreichend“ – vor zwölf Jahren waren es noch 70 % beziehungsweise 4 %.
Da mutet es absurd an, Studierenden vorzuwerfen, sie seien nicht gut genug.
Es ist klar, was Professoren sich von ihren Studenten wünschen: dass sie ihnen ähnlich sind. Eine CHE-Studie fand heraus, dass tatsächlich nur 13 % der Studierenden dem Wunschtyp ihrer Dozenten entsprechen. Diese „Traumkanditat(inn)en“ sind positiv eingestellt, identifizieren sich mit ihrer Hochschule, sind zielstrebig und fleißig, motiviert, extrovertiert und bereit, Hilfe anzunehmen. Den Rest der Studierenden teilt der „Diversity Report“ in „Lonesome Rider“, „Pragmatiker(innen)“, „Ernüchterte“, „Pflichtbewusste“, „Nicht-Angekommene“, „Mitschwimmer(innen)“ und „Unterstützungsbedürftige“ ein. Auch für diese Studierenden müssen Dozenten ein Angebot schaffen.
Die Mär vom fleißigen Studenten lässt sich nicht überprüfen. Wahrscheinlich ist, dass es früher wie heute Studierende gab, die sich ganz der Ansammlung von Wissen verschrieben, und andere, die zwar aus Interesse studierten aber dennoch einige Zeit in der Kneipe verbrachten. Doch wir können von der Idealvorstellung sicher etwas lernen: Dass es sich lohnt, genauer hinzuschauen, nachzufragen und sich umfassend zu informieren.
Wenn in einer Beziehung Schwierigkeiten auftreten, weil ein Partner nicht genug leistet, dann gibt es nur eine Möglichkeit, die Probleme zu lösen. Es reicht nicht, zu sagen: „Du bist nicht gut genug“ – man muss miteinander sprechen, gemeinsam Lösungen suchen und etwas tun.
Ein solcher Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden existiert nicht. Es gibt Dozenten, denen eine geringe Erwartungshaltung deutlich anzumerken ist, und andere, die offen ihre Enttäuschung zeigen, wenn die Studierenden ihrer Ansicht nach nicht genug leisten. Doch wir Studierenden profitieren weder von Unter- noch von Überforderung. Wir haben das Studium gewählt, weil wir etwas lernen wollen. Wir schulden es uns, unser Bestes zu geben – aber umgekehrt schulden unsere Dozenten es uns, uns offen zu sagen, ob wir „nicht gut genug“ sind und was wir tun müssen, um es zu werden.