DAS HERZ IN JEDER ZEILE

EIN LEBEN ZWISCHEN SOZIALEN PROJEKTEN, RAP-KARRIERE UND JURASTUDIUM

Fage MC, ein Student aus Tübingen, hat sein erstes Rap-Album „Verderb und Gedeih“ herausgebracht. Er ist kein typischer Rapper: Seine Texte erzählen von harten und ernsten Geschichten – Themen, die auch unangenehm sein können.
von Pia Rox

Die Türen der Neuen Aula gehen auf und Fage MC kommt lässig schlendernd heraus. Sein Käppi sitzt ihm schief auf dem Kopf, die Kopfhörer baumeln um seinen Hals und in der Hand hält er eine Packung Earl Grey Tee. Die hat er immer dabei auf dem Weg ins Clubhaus, da er Kaffee verabscheut.
Fage MC, der lieber bei diesem Künstlernamen genannt wird, ist also ein ganz normaler Student auf dem Weg in seine Kaffee- beziehungsweise Tee-Pause. Doch er gehört nicht zu denen, die geistesabwesend über die Straße hetzen, in Gedanken schon ganz bei der nächsten Hausarbeit oder Prüfung. Er scheint die Ruhe weg zu haben und lässt sich alle Zeit der Welt. Dabei müsste doch gerade er es eilig haben.
Der 23-Jährige studiert Jura im fünften Semester, organisiert Wohltätigkeitsveranstaltungen und hat gerade sein erstes Rap-Album herausgebracht. Drei Tätigkeiten, die jeweils den Terminkalender einer einzelnen Person ausreichend füllen würden. Wie es dazu kam, ist Fage MC selber auch nicht ganz klar: „Das hat sich eben alles so ergeben!“, sagt er.

„Schon als achtjähriger Junge schrieb ich meine ersten Rap-Texte“

Geboren ist Fage MC in Tübingen, aufgewachsen am Bodensee in der Stadt Singen. „Aber meine Heimat war immer schon Tübingen, deswegen wollte ich unbedingt hierhin zurück.“ Als Einzelgänger mit besonderem Interesse an der deutschen Sprache geht er durch seine jungen Jahre. „Schon als achtjähriger Junge schrieb ich meine ersten Rap-Texte“, erzählt er. Niemand glaubt ihm anfangs, dass diese Texte von ihm sind. Auch wegen der Themen, die für einen Achtjährigen sehr beachtlich sind. Er lacht selber, wenn er an seinen Track über die Bundeswehr oder über Heiratsschwindler denkt. „Kein Wunder, dass mir niemand glauben wollte!“
Seitdem nimmt das Schreiben einen wichtigen Part in seinem Leben ein. Während seiner Schulzeit und später auch während seines Zivildienstes gibt er sein Hobby nicht auf. Im Gegenteil, er geht mit seinen Texten an die Öffentlichkeit. Bei Poetry Slams stellt er sich und seine Texte auf die Probe.

„Bei den Poetry Slams war ich ein richtiger Außenseiter“

Schmunzelnd erzählt er von der Reaktion des Publikums: „Meistens klappen immer allen die Kinnladen runter, wenn ich auf der Bühne so richtig loslege.“ Seine Texte hätten nun mal andere, viel härtere Themen als der Rest und seien einfach auf eine spezielle Art vorgetragen, erklärt er sich dieses Außenseiter-Phänomen. Gewonnen hat er erst einmal. „Meistens gewinnt bei der Abstimmung einer von den Poetry-Slam-Klonen, die sich alle sehr ähnlich sind: von der Themenauswahl bis zur Intonation.“
Heute hat er nicht mehr so viel Zeit und nimmt kaum noch an Poetry Slams teil, obwohl er gerne einmal wieder zu seinem Lieblings-Slam nach Reutlingen gehen würde.
Nach seinem Zivildienst in Darmstadt an einer Behindertenschule macht sich Fage MC für ein Jahr auf nach Nicaragua – einem der ärmsten Länder der Welt. Dort engagiert er sich ehrenamtlich und stellt einige Projekte auf die Beine.
In den Vorstädten Granadas, eine große Stadt im Südwesten des Landes, leben viele Menschen auf Müllkippen. Sie verbrennen den Müll und alles was übrig bleibt, verwerten sie. So leben ganze Familien inmitten der giftigen Rauchwolken. In Zusammenarbeit mit einer Kirche holt er die Kinder dort weg und bringt sie mit einem Pick Up für ein paar Stunden in die Stadt. Dort werden sie zusammen mit den Stadtkindern unterrichtet. „Doch nicht im Sinne von unserem Schul-Leistungsdenken. Die Kinder sollen sehen, dass es außerhalb der Müllkippe auch noch ein anderes Leben gibt.“
Auch im weit entfernten Zentralamerika hört Fage MC nicht auf zu schreiben. Er bekommt sogar die Möglichkeit, auf dem Internationalen Poesie Festival in Granada 2010 seine Texte vorzutragen. Vor Poeten und Literaturbegeisterten aus aller Welt rappt er seine Texte – auf Deutsch. Ein nicaraguanischer Rapper übersetzte sie dann ins Spanische. „Ich bin immer sehr emotional bei meinen Vorträgen und schreie dann richtig rum. Der nicaraguanische Rapper hat diese Emotionen nicht so ganz wiedergegeben können.“ Mit leiser, vorsichtiger Stimme macht er den Nicaraguaner nach und schmunzelt bei dieser Erinnerung.
Sein größtes Projekt in Nicaragua stellt er zusammen mit dem österreichischen Violinisten Johannes Kranz auf die Beine: Die Ópera Reggaetón. Ein Musikprojekt, das junge Musiker fördern und vernetzen soll. Die daraus entstandene Musikproduktion ist ein Mix aus Klassik, Rap und Reggaetón. Die Geschichte der Oper handelt von dem Leben der Jugendlichen in den Barrios von Managua – der Hauptstadt Nicaraguas. Es geht um die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sie überwinden müssen. Und trotzdem lassen sie sich nicht unterkriegen.
Die Planung und Vorbereitung dauert Jahre. Anfang 2011 suchen sie bei einem Casting die zehn größten Musiktalente Nicaraguas. Darunter sind mehrere Rapper, ein Elektrosänger, ein Troubadour und eine Sängerin. Diese zehn Ausnahmetalente bekommen in den nächsten Monaten eine Musikausbildung finanziert. Neben diesen Zehn sind auch noch weitere Musiker an dem Opernprojekt beteiligt. Insgesamt hundert Künstler standen im Sommer 2011 in Granada auf dem Unabhängigkeitsplatz auf der Bühne, unter ihnen auch Fage MC. Beteiligt waren an diesem Projekt viele. Doch ohne Fage MC und Johannes Kranz wäre es wahrscheinlich nie zustande gekommen.
Kaum ist das eine Projekt vorbei, geht es schon weiter. Die Produktion seines ersten Rap-Albums ist in den letzten Zügen. Angefangen habe alles mit ein bisschen Glück: Er lernt über viele Ecken einen Ghostwriter des Musiklabels EMI kennen. Dieser nimmt sich einen Nachmittag Zeit und stellt ihn dem Musikproduzent Frank Zumbroich vor. Aus diesem Treffen entsteht eine jahrelange Zusammenarbeit und letztendlich das Album Verderb und Gedeih von Fage MC mit Musik der Nu Metal-Band nulldB und einer koreanischen Pianistin, Younee.
„In diesem Album steckt viel Herzblut. Es ist genau so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe“, erzählt Fage MC nicht ohne Stolz. In zwölf Tracks rappt er erbarmungslos über menschliche Abgründe, die Krebserkrankung von Angehörigen, Amok-Fantasien und die Kehrseite der Wahrheit. Dabei hat er jedoch auch immer das Positive, die Hoffnung, im Blick. „Das Album ist nicht düster. Der Titel ist Verderb und Gedeih, das heißt düster im Vergleich zu hell.“ Sein letzter Track Gepflanzt zu gedeih’n, gebor’n um zu leben liegt Fage MC besonders am Herzen. Hier möchte er den Menschen trotz aller schlimmen Schicksale, von denen er auf seinem Album erzählt, wieder Hoffnung geben:
Wunden verheil’n!
Es bleiben nur Narben!
Was soll’s? Er denkt nicht mehr an vergangene Tage!
Nein, er pflanzt Samen!
’Nen ganzen Garten!
Er schafft sich sein Paradies
kraft seiner Phantasie!
Seit April 2012 ist Verderb und Gedeih nun auf dem Markt und seitdem setzt Fage MC alles daran, sein Album bestens zu vermarkten. Der Erfolg in der Rap-Szene ist nicht so gut wie erhofft. „Das liegt wahrscheinlich an den Rock-Elementen, die in manchen Tracks zu finden sind“, erklärt sich Fage MC die aktuellen Verkaufszahlen. Doch gerade diese Rock-Einlagen würden seinem Album den besonderen Touch geben, schreiben einige Musikkritiker. Seine Geschichten kombiniert mit der Musikmischung aus Rap und Rock faszinieren viele Hörer außerhalb der Rap-Szene.
„Die Selbstvermarktung nimmt viel Zeit in Anspruch“, erzählt Fage MC. Und auch in Zukunft wird es für ihn nicht ruhiger: eine Tournee mit der Nu Metal-Band nulldB durch Deutschland, Österreich und die Schweiz und der Dreh eines neuen Musikvideos in Zusammenarbeit mit dem LTT sind geplant. Auch privat steht dieses Jahr ein Highlight an: die Hochzeit mit seiner Freundin.

„Warum ausgerechnet Jura?“

Und neben all den Projekten bleibt das Jura-Studium. „Warum denn ausgerechnet Jura? Das werde ich häufig gefragt. Viele denken, dass Rap und Jura nicht sehr viel gemeinsam haben. Für mich basiert beides auf der Liebe zur Sprache und der Fähigkeit mit ihr umzugehen.“ Zwei Berufungen, die zeitlich schwer unter einen Hut zu bringen sind. Oft ist Fage MC wochenlang  nicht an der Uni, weil er in Nicaragua ist oder sein Album vermarktet. „Ich brauche nicht in die Vorlesungen zu gehen. Ich habe schon immer alles aus Büchern gelernt.“
Jura und Rap, Studium und Leidenschaft – er schafft es, das alles unter einen Hut zu bekommen. „Lernen generell fällt mir leicht. Dadurch habe ich sicherlich einen Vorteil gegenüber anderen.“ Dennoch muss er Abstriche machen: Er hat zwar bis jetzt jede Prüfung beim ersten Mal bestanden, jedoch nicht immer mit der Note, die er gerne hätte. „Man kann eben nicht alles haben!“, sagt er mit einem Schulterzucken und guckt verträumt aus dem Fenster auf die Terrasse des Clubhauses.

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