Studierende berichten von ihren Stipendien und den zugehörigen Programmen
Stipendien – an Universitäten fast so normal wie Hausarbeiten und Partys. Trotzdem weiß so mancher Studierende quasi nichts darüber. Vorurteile, dass „nur Streber“ eine Förderung erhalten können, sind in vielen Köpfen noch fest verankert. Kupferblau hat einige Stipendiaten getroffen.
von Ines Pfister
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt verschiedene Begabtenförderungswerke – parteinahe, staatliche und gewerkschaftliche Stiftungen gleichermaßen und auch solche, die die Wirtschaft oder die Kirche trägt. Trotz Unterschieden haben die vorgestellten Programme auch viel gemeinsam. Beispielsweise ist die finanzielle Unterstützung meist einkommensabhängig und leitet sich vom BAföG-Satz ab. Aber auch, wer das nicht bekommt, erhält ein Büchergeld von 150 Euro monatlich. Die ideelle Förderung bietet etwa Seminare zu verschiedenen Themen an, welche die Stipendiaten besuchen können oder müssen. Zu den Pflichten gehören auch regelmäßige Berichte über den Studienfortschritt. Dennoch sind sich die Befragten einig: Der Nutzen überwiegt das Muss bei Weitem. Für die Aufnahme sind neben den Noten Kriterien wie das soziale Engagement oder die ethnische Herkunft vielmals genauso wichtig.
Letzteres spielt etwa bei der Heinrich-Böll-Stiftung eine Rolle. Diese lege viel Wert darauf, auch Studierende mit Migrationshintergrund zu fördern, sagt Patryk Grudzinski, selbst Stipendiat dieses Programms. Seinem Eindruck nach war der Auswahlkommission beim Bewerbungstag in Berlin vor allem wichtig, dass die Kandidaten sich kritisch mit verschiedenen Inhalten auseinandersetzten und auch nach der Zeit an der Uni weiterhin grüne Werte vertreten würden. Das parteinahe Förderungswerk von Bündnis 90/Die Grünen ist aber unabhängig: Parteimitglied zu sein bringt einem Anwärter keinen Vorteil. Patryk kann seinen Master der Friedensforschung und Internationalen Politik durch das Programm finanzieren. Die ideelle Förderung bietet dem 27-Jährigen Wochenenden mit Workshops und Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen. „Mir gefällt gut, dass das immer ein bunter Haufen an Leuten ist. Die Stiftung legt viel Wert auf Diversität“, freut sich der Tübinger. „Meinen Auslandsaufenthalt hätte ich ohne das Stipendium wohl nicht bezahlen können. So aber blieb mir Raum, mich zu entfalten.“
Ähnlich positiv sieht Mathias Winkler seine Förderung. Als Stipendiat des Cusanuswerks kann er beispielsweise Ferienakademien besuchen, die jeweils rund zehn Tage dauern. „Man lernt dort viele neue Menschen mit verschiedenen Interessen kennen und arbeitet zusammen konzentriert an einem Thema – das finde ich absolut klasse“, schwärmt er.
Etwas, das nur dieses Programm veranstaltet, ist das Jahrestreffen aller Mitglieder, bei dem sie unter anderem etwa über Generationengerechtigkeit diskutieren. Mathias‘ finanzielle Unterstützung stellt außer dem Staat auch die katholische Kirche bereit, das Werk fördert aber alle Fachrichtungen. Beim Bewerbungsgespräch seien nicht Glaubensfragen, sondern hauptsächlich Tagespolitik und Allgemeinbildung Gegenstand gewesen. Oft ist es beim Cusanuswerk auch so, dass eine Schule oder ein Ehemaliger einen potenziellen Stipendiaten vorschlägt. Der 25-Jährige bewarb sich allerdings selbst. „Als Student der Katholischen Theologie lag das ja nahe“, sagt Mathias, der inzwischen im zehnten Semester seines Diplomstudiums ist und auch seinen Bachelor in Judaistik bald abschließt. Keine andere Stiftung sei für ihn eine Option gewesen. „Ich wollte ein Programm, in dem ich mich wohl fühle.“
Auch für Claudia Hagenlocher kam kein anderes Förderungswerk in Frage, allerdings aus einem anderen Grund. Nach dem Realschulabschluss absolvierte sie eine Lehre zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und anschließend eine Fortbildung zur Stationsleiterin. So qualifizierte sie sich für ein Studium – und für das Aufstiegsstipendium der SBB (Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung). Dieses unterstützt Begabte, die nach einer Ausbildung samt Berufserfahrung an eine Hochschule möchten. Nachdem Claudia zehn Jahre lang in ihrer Anstellung war und es keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr gab, wollte sie sich weiterentwickeln. Sie hatte Spaß daran, neue Azubis zu unterrichten, und deshalb studiert sie nun auf Lehramt, nämlich Chemie im fünften und Biologie im dritten Semester. Nebenbei arbeitet die 31-Jährige in Teilzeit. Das ist bei diesem Programm kein Problem, denn anders als bei den bereits genannten Stipendien hängt die finanzielle Bezuschussung nicht vom Einkommen ab: Ein Vollzeitstudent erhält neben der ideellen Förderung insgesamt 750 Euro im Monat. Obwohl es nicht notwendig war, holte Claudia noch die Fachhochschulreife nach, bevor sie an die Uni kam. „Vor allem in Chemie hätte mir die Mathematik aus der Oberstufe gefehlt. Ich hätte keine Chance gehabt“, sagt sie. Studieren sei zwar anstrengend, aber es gefalle ihr. „Ich bin sehr froh, dass ich das Stipendium habe, ohne hätte ich wohl kein Studium aufgenommen!“
Die Hans-Böckler-Stiftung richtet sich mit dem Programm „Böckler-Aktion Bildung“ gezielt an Schülerinnen und Schüler, die sich ohne Förderung gegen ein Studium entschieden hätten, weil sie glauben, es sich nicht leisten zu können. Das zeigt sich dadurch, dass das Familieneinkommen so bemessen sein muss, dass ein voller BAföG-Anspruch besteht. Marina Vukoja ist seit über fünf Jahren dabei. Dieses Semester begann die 27-Jährige mit ihrem Master in International Business and Economics. Das Förderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhält neben den Mitteln vom Bund auch Gelder von Arbeitnehmervertretern. Das ideelle Angebot der Stiftung reicht von Seminaren mit verschiedenen Inhalten bis zur Möglichkeit, selbst Projekte durchzuführen. „Somit können wir uns mit den Themen auseinandersetzen, die uns wirklich interessieren“, sagt Marina. Dafür muss sie Gespräche mit neuen Bewerbern führen und anschließend Gutachten verfassen. Wer also die Leistung dieses Programms in Anspruch nehmen möchte, muss zum Interview mit Vertrauensdozenten und Stipendiaten. Die endgültige Entscheidung trifft die Auswahlkommission. Genauso kann ein Anwärter seine Unterlagen bei der örtlichen Gewerkschaft einreichen oder sich von dieser vorschlagen lassen. „Das gesellschaftspolitische Engagement ist meiner Meinung nach das wichtigste Kriterium bei der Auswahl“, folgert die Reutlingerin. Trotz der Pflichten lohne sich die Mühe aber allemal, „vor allem für die Gemeinschaft und das umfangreiche Angebot an Seminaren, Praktika und Sprachreisen“, findet Marina.
Dieser Meinung ist auch Johanna Oloff. Die 22-Jährige ist Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Regelmäßige Treffen mit der Regionalgruppe und bundesweite Veranstaltungen sind zwar Pflicht, Johanna empfindet das aber nicht als negativ. „Im Gegenteil, die Seminare sind eine echte Bereicherung“, freut sie sich. „Darüber hinaus hat man durch das Netzwerk stets die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, zum Beispiel zu Firmen.“ Das Förderungswerk tragen zu einem großen Teil Arbeitgeberverbände und Unternehmen. Dennoch unterstützt das Programm alle Fachrichtungen – so konnte sich Johanna, die inzwischen im siebten Semester ihres Lehramtsstudiums für Mathe und Deutsch ist, dort bewerben. Dem Antrag musste sie eine fachliche Einschätzung ihrer Lehrer beilegen. Nach mehreren Schritten erhielt sie schließlich die Einladung zum Assessment-Center nach Berlin, wo jeder Kandidat an Gruppendiskussionen und Einzelgesprächen teilnehmen, einen Aufsatz schreiben und eine Präsentation halten musste. „Selbst wenn die Stiftung einen nicht nimmt, bringt einen diese Erfahrung in jedem Fall weiter.“
Bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes besteht seit Kurzem die Möglichkeit, sich selbst zu bewerben. Normalerweise schlägt jedoch beispielsweise der Schulleiter einen Anwärter vor: So war es bei Thomas Krüger. Der 23-Jährige ist Stipendiat des größten und ältesten Begabtenförderungswerks in Deutschland, das derzeit rund 11.000 Studierende und Doktoranden unterstützt. Als einziges ist es politisch, konfessionell und weltanschaulich unabhängig. „Gefördert werden vor allem Leute, die später in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen“, sagt er. „Dabei wird stark auf Leistung geachtet.“ Nach Thomas‘ Erfahrung sind dabei Akademikerkinder häufiger vertreten als Studierende mit bildungsfernem Hintergrund. Die Stiftung bietet zweiwöchige Sommerakademien an. „Da die Themen interdisziplinär sind, kann man seinen Horizont erweitern“, freut sich Thomas, der im dritten Semester seines Bachelorstudiums in Politikwissenschaften und Öffentlichem Recht ist. Außerdem bietet das Programm etwa Sprachkurse im jeweiligen Land an und kommt für die Kosten auf. „Ich kann nur jedem empfehlen, sich zu bewerben“, sagt er.
Der finanzielle Aspekt ist also nur eine der positiven Seiten eines Stipendiums. Die meisten der befragten Stipendiaten betonen vor allem, wie positiv sie die Aufnahme in das Netzwerk sehen, das ihnen ermöglicht, Kontakte zu Gleichgesinnten oder Firmen herzustellen. Dabei ist der Notenschnitt längst nicht alles – auch gesellschaftliches Engagement und die eigene Persönlichkeit zählen bei den vorgestellten Begabtenförderungswerken.
Anmerkung der Redaktion: Das Foto von Johanna Oloff wurde aus privaten Gründen gelöscht.