„Deutschland ist ein Freiertourismusland geworden“

Im Rahmen der Frauenfilmfeste „FrauenWelten“ von Terre De Femmes wurde bei der Podiumsdiskussion zum  Thema Zwangs- und Armutsprostitution im Museum kein Blatt vor dem Mund genommen. Kinder, Töchter Mütter, die Zwangsprostitution wird oft von Frauen sogar noch ausgebaut. Auch die Freier werden immer skrupelloser, eine Frau ist oftmals nicht mehr Wert als ein Stück Fleisch. Vom Albtraum, aus dem es kein glückliches  Erwachen gibt.

 
 

In der Runde saßen die Sozialarbeiterin Sabine Constabel, Helmut Sporer von der Kripo Augsburg, Manfred Paulus Kriminalhauptkommissar a.D., der Präventionsarbeit gegen Frauenhandel in Osteuropa leistet und Dokumentarfilmer Lukas Roegler („Ware Frau“) beisammen.
„Eine typische Prostituierte kommt aus Osteuropa, ist Anfang 20 und hat zwei Kinder im Heimatland“
Sabine Constabel gab zunächst einen kurzen Einblick in das deutsche Rotlichtmilieu und umriss grob die Veränderungen in den letzten zwanzig Jahren. Wo früher noch selbstbewusste deutsche Frauen den Markt beherrschten, stehen nun osteuropäische Mädchen Anfang 20, die zwei Kinder im Heimatland haben. Die Szene hat sich gewandelt, die Familienclans aus Ungarn, Bulgarien und Rumänien schicken ihre Töchter nach Deutschland in die Prostitution und leben von deren Einnahmen. Sabine Constabel nennt dies Armutsprostitution und verbessert sich sogleich, denn „eigentlich sind es Zwangsprostituierte“.
Aber nicht nur die Prostituierten haben sich verändert, sondern auch die Freier, die zunehmend gewaltbereiter werden und die jungen Mädchen wie ein „Stück Fleisch“ behandeln.
„Deutschland ist ein Freiertourismusland geworden“
Auch Helmut Sporer von der Kripo Augsburg kennt ganz ähnliche Szenarien und bestätigt die Aussagen von Sabine Constabel. In Augsburg wurden in diesem Jahr mehr als 150 Mädchen unter 21 Jahren befragt, davon waren nur drei oder vier aus Deutschland. Ein weiteres ernstzunehmendes Problem ist der Anstieg an ungeschütztem Sexualverkehr, den die Frauen des Geldes wegen leisten müssen. Diese Frauen stehen zunehmend unter Druck, da die Nebenkosten, wie Bordellmiete, immer weiter ansteigen.
Des Weiteren beobachtet Helmut Sporer auch, dass immer mehr Freier nach Deutschland kommen, da das Angebot an Frauen hier so hoch ist, wie sonst nirgendwo.
„Das Rotlichtmilieu ist eine Parallelgesellschaft“
Manfred Paulus beschreibt das Rotlichtmilieu als eine Art Parallelgesellschaft, in der andere Gesetze und Wertvorstellungen herrschen. Für ihn ist klar, dass der Frauen- und Kinderhandel eine Organisation der albanischen Mafia ist. Die Anwerbung, Einschleusung und Ausbeutung junger Frauen bestimmt deren Lebensunterhalt. Auch Kinder zwischen neun und elf Jahren werden zunehmend in die Prostitution gezwängt. Doch der deutsche Staat hat keinerlei Mittel geschaffen, um der organisierten Kriminalität aus Albanien entgegentreten zu können.
Manfred Paulus beschreibt auch im Detail seine Präventionsarbeit in Osteuropa. Er bedauert allerdings, dass potenzielle Opfer nicht direkt angesprochen werden können, da diese oft nicht auffindbar sind. Doch um Vernetzungen aufzubauen, werden verschiedene Kongresse mit Schulleitern, Politikern und Polizei organisiert, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
„In Nigeria sind die Zuhälter oft Frauen“
Einen anderen Blickwinkel offenbart uns Lukas Roegler, der sich mit der Prostitution nigerianischer Frauen in Deutschland beschäftigt. Aus Recherchen für zwei seiner Filme über dieses Thema hat er interessante Erkenntnisse gesammelt. So gibt es für ihn eine Parallele zwischen der osteuropäischen und nigerianischen Prostitution, da die meisten nigerianischen Frauen ebenfalls aus Armutsgründen nach Deutschland kommen.
Bei Dreharbeiten in Nigeria hat Lukas Roegler die Hilflosigkeit der Frauen beobachtet, die Angst davor haben, den Ansprüchen der Familien nicht gerecht zu werden. Denn oft wird der Menschenhandel in der Familie organisiert und eine sogenannte „Madame“, die Zuhälterin, schleust die Frauen nach Deutschland. Vor diesen Zuhälterinnen müssen die Frauen dann einen Eid ablegen und schwören, dass sie ihnen eine fünfstellige Eurosumme zurückzahlen werden. Ein enormes Problem in der nigerianischen Gesellschaft ist das hohe Ansehen dieser Zuhälterinnen, die mit ihrem Reichtum protzen und jungen Frauen ein Vorbild sind. So entwickelt sich ein immer undurchschaubareres System aus Prostituierten, Zuhältern und Freiern. Und weder Europa noch Deutschland machen Fortschritte in der Lösung dieses Problems.

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