Mit „Fatima“ gelingt dem französischen Regisseur Philippe Faucon ein Drama, das dem Zuschauer tiefgehende Einblicke in den von Vorurteilen geprägten Alltag und das Familienleben einer algerischen Migrantin in Frankreich gewährt.
Fatima ist 44 Jahre alt und Putzfrau. Ihre Kleidung kauft sie für fünf Euro pro Stück an Marktständen und verdient nicht genug Geld, um etwas davon für sich auszugeben. Fatima trägt ein Kopftuch und interessiert sich nicht dafür, wenn Leute danach fragen. Denn sie wird gebraucht. Und sie kämpft. Sie opfert sich für ihre Töchter und ihren Arbeitgeber auf – in einer Welt, in die sie selbst nicht hineinpasst.
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Nur ein einziges Mal soll man stolz auf sie sein – das wünscht sich Fatima insgeheim. Sie arbeitet Tag und Nacht als Putzfrau in Paris, um als alleinerziehende Mutter ihre beiden Töchter zu versorgen. Sie ermöglicht ihrer ältesten Tochter Nesrine das Medizinstudium und versucht der jüngeren Tochter Souad in ihrer rebellischen Teenager-Phase Halt zu geben. Doch die Kinder schämen sich für Fatima, weil sie Putzfrau ist, die französische Sprache nicht beherrscht und an traditionellen und religiösen Regeln aus ihrer Heimat Algerien festhält.

„Mutter, du bist nutzlos!“

Fatima fühlt sich allein. Täglich wird sie mit Vorurteilen konfrontiert. Mal ist ihr Kopftuch der Grund, weshalb ihre Tochter keine Wohnung bekommt; mal lässt die Mutter einer Klassenkameradin von Souad sie im Supermarkt unfein stehen. „Mutter, du bist nutzlos!“, wird sie von ihrer eigenen Tochter beschimpft. In stillen Momenten schreibt sie ihre Gedanken, Gefühle und Ängste auf Arabisch in Gedichten nieder. Das gibt ihr Halt und den Mut weiterzumachen und sich zu erklären.
Die Hauptfigur Fatima stellt Regisseur Faucon als eine ruhige, aber starke Persönlichkeit dar, deren Inneres im Alltag verborgen bleibt. Durch die Sprache und besonders die Musik, die Fatimas Gemütszustand widerspiegelt, gelangen arabische Elemente in den Film. Faucon bedient sich einer gleichmäßigen Kameraführung und durchleuchtet mit gewählten Szenarien alle Charaktere im Film, die in direktem Bezug zu Fatima stehen.
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Zwischen Tradition und Moderne

„Fatima“ schärft den Blick für Menschen, die in unserer Gesellschaft unterzugehen drohen, weil sie ihre Bedürfnisse hinten anstellen und auf einem unsichtbaren Seil zwischen den beiden Polen Tradition und Moderne balancieren. Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in Europa ist Fatima ein wunderbares Beispiel dafür, wie vielschichtig und langsam sich der Integrationsprozess älterer Generationen gestalten kann.
Ein authentisches Drama wie „Fatima“ bedient sich kultureller Stereotype, verurteilt diese aber nicht. Der Film ist ein Versuch, mehr Verständnis zu erzeugen und in der Migrationsthematik nicht nur an der Oberfläche zu kratzen.
FATIMA, Frankreich / Kanada 2015 – Regie: Philippe Faucon. Kamera: Laurent Fénart. Mit: Soria Zeroual, Zita Hanrot, Kenza-Noah Aĭche, Chawki Amari. 79 Min.
Text:  Jennifer Ruoff
Diese Filmkritik entstand im Rahmen des FestivalTV der Französischen Filmtage im Filmkritikworkshop von Hanne Detel, Institut für Medienwissenschaft, Uni Tübingen.
Fotos: copyright Pyramid Distribution

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