Wie die Uni nach Tübingen kam

Was ist typisch für Tübingen? In dieser Reihe geht es um die Facetten der Kleinstadt am Neckar. „Tübingen hat keine Uni, Tübingen ist eine Uni“ – dieses Bonmot stimmt bis heute. Auf einem Stadtrundgang zeigt sich, dass die Stadtgeschichte eng mit der Universität verwoben ist. Doch das war nicht immer so.

Sie nippen an Kaffee, büffeln über Büchern und warten am Kopierer. Fast jeden Tag wuseln Studierende in den Uni-Gebäuden im Tal oder auf dem Berg herum. Das Clubhaus, die Neue Aula, die Morgenstelle – sie sind heute universitäre Wahrzeichen. Weil die Bauten in der ganzen Stadt verteilt stehen, laufen sich Studierende und Einwohner auch ständig über den Weg. Doch der Campus, der keiner ist, sah nicht immer so aus. Und auch das Verhältnis von Stadt und Uni war nicht von Beginn an so eng.

Andrea Bachmann hat Bücher gewälzt und auch selbst eins über Tübingen geschrieben. Sie ist freie Gästeführerin und zeigt heute einer Gruppe aus Oldenburg das Städtchen am Neckar. „Universitätsgeschichte(n)“ lautet das Thema ihres eineinhalbstündigen Spaziergangs. Bachmann, 50, bunter Schal, beginnt an der Stiftskirche. „Die Universität steht nur hier und nicht in Sindelfingen, weil durch Tübingen der Neckar fließt. Das Holz für neue Häuser wurde damals nämlich auf dem Wasser transportiert“, sagt sie.

Eberhard im Barte
Gestatten: Eberhard im Bart, Herzog von Württemberg und Teck. Der Kupferstich von 1821 stammt aus Karl Pfaffs „Biographie der Regenten von Württemberg“.

Eine Stadt, zwei Welten

Als die Uni geplant wurde, hatte Tübingen nur etwa 3 000 Einwohner. „Graf Eberhard im Barte gründete 1477 die Uni“, so Bachmann. Der Bau des Campus’ vergrößerte das Nest am Neckar damals gehörig. „Das finanzierte vor allem seine Mutter Mechthild von der Pfalz“, erklärt sie der Gruppe. Bachmann geht in die Stiftskirche und stellt sich in die leeren Reihen vor dem Altar. Sie deutet hinter sich.

„Heute kaum vorstellbar, doch der Chor hinter mir war der erste Hörsaal der Uni.“

Die ersten Studierenden hörten ihre Vorlesungen in einer Kirche. Erst 70 Jahre später wurde die heutige „Alte Aula“  gebaut. Sie blieb bis ins 19. Jahrhundert das universitäre Haupthaus. Bachmann geht voraus und steigt die Treppen zum Neckar herab, bis sie vor der rosafarbenen Burse, dem ersten Universitätsgebäude, steht. In dem Gebäude am Fluss sind heute die Institute für Philosophie und Kunstgeschichte untergebracht. „Hier war im 19. Jahrhundert die Universitäts-Klinik. Sie hat so viele Fenster, weil man damals bemerkte, dass Licht die Genesung fördert“, sagt sie. „Das war damals hochmodern.“

Todesurteil durch Uni

Die Touristen-Truppe folgt dem bunten Schal ein paar Meter flussaufwärts, bis Bachmann auf dicke Mauern zeigt. „Darin war der Uni-Karzer. Der Senat konnte die Angehörigen der Universität einkerkern und sogar zum Tode verurteilen.“ Der Hintergrund: Tübingen war bis 1829 rechtlich in zwei Bürgerschaften geteilt. Es gab die Stadt-Bürger und die Universitäts-Bürger. Beide lebten in einer Stadt, aber in zwei verschiedenen Rechtssystemen.

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