Das Gemetzel der Höflichkeit

Zurzeit läuft Yasmina Rezas „Le dieu du carnage“ auf englisch aufgeführt im Brechtbau-Theater. Ein Stück, in dem das Bild der Ehe zerstückelt und die Farce des Erwachsenseins belächelt wird. Wenn nur diese zwei Zähne und der tote Hamster nicht wären.

Als Veronica Novak ihrem Besuch einen Teller ihres Clafoutis anbietet, kann das Publikum die scharfe, unaufrichtige Höflichkeit im Unterton fast schon greifen – so, als würde man hibbelig auf den Verfall der Rollen warten. Dabei ist aller Anfang des Konflikts ein Streit zwischen den Söhnen der beiden Ehepaare Novak und Raleigh.

Das Treffen scheint gesittet und ruhig. Der Vorfall im Brooklyn Brigde Park, bei dem der elfjährige Benjamin Raleigh seinem Schulkameraden Henry Novak zwei Zähne ausgeschlagen hat, wird sorgfältig dokumentiert. Verständnisvoll zeigt sich Annette Raleigh, ihr Ehemann Alan wird während seinen sehr minimalistischen Aussagen vom eigenen Mobiltelefon unterbrochen. Er ist Anwalt für einen Pharmakonzern, dessen Medikament wegen eines erschienenen Artikels unter Beschuss steht. Die unaufhörlich nervigen Momente, in denen Alan die Gesprächsrunde abrupt verlässt und seinen Mandanten am Telefon beruhigt, wirken wie Weckrufe, die durch den Verlauf des Stückes leiten. Jedes Klingeln als ein weiterer Riss in die Fassade der Zivilisiertheit, die Veronica schützend umschlingt und Annette schon aufgegeben hat.

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Daniel Schrimpf (im Hintergrund) in der Rolle des Alan Raleigh.

Die Wucht des Hamsters

Gekünstelt friedlich sprudelt die Konversation vor sich hin, bis Michael Novak vom Haustier seiner Tochter erzählt, oder eher vom ehemaligen. Denn dieser Hamster sei ein nerviges Ding gewesen, da habe er es einfach auf die Straße gesetzt. Mit welcher Leichtigkeit er grinst und erzählt, beißt sich mit Annette Raleigh, die schon fast wie in Trance die Geschichte des ausgesetzten Hamsters immer wieder zur Sprache bringen wird. Dieses kleine Nagetier fällt mit der Wucht eines Klotzes und reißt die aufgesetzte Persönlichkeit des Michael Novak mit sich, welcher sich nach und nach als leidenschaftlicher Nihilist neben Alan Raleigh einreiht.

Veronica Novak, noch eben im Rezeptehimmel ihres Clafoutis schwebend, knallt auf den Boden dieser plötzlich authentischen Ebene – das ist nicht ihre Weltsicht, sie interessiert sich für Afrika, schreibt Bücher über Konflikte; dieser Pessimismus ist das stetig lebende Paradox einer schwankenden Ehe. Genau diese innerehelichen Konflikte, so nach außen getragen, sind die Tragik und Komik zugleich; wie sich Eltern treffen, um einen infantilen Streit zu schlichten, nur um schließlich selbst zu schreien, zu spucken, zu treten; die versinnbildlichte Inkonsequenz der Werteerziehung.

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Alan (Daniel Schrimpf) und Annette Raleigh (Liliana Merker) beim dritten Versuch, die Brooklyner Wohnung des Ehepaars Veronica (Eva Schwendemann) und Michael Novak (David Janssen) zu verlassen.

Verlernte Authentizität

Allmählich deformieren alle Figuren auf der Bühne; jegliche oberflächliche Höflichkeit verkrümmt sich unter dem Zusammenstoß der vier Menschen. Am Ende ist Alan Raleigh der Einzige, der es vorhergesagt hat: Dass man in einer Welt, in der der Gott des Gemetzels regiert, nichts mehr retten kann. Daher ist Yasmina Rezas Kammerspiel „Le Dieu du Carnage“ (Gott des Gemetzels) zurecht eines der meistgespielten Stücke der letzten Jahrzehnte. Diese unverschämte Klarheit, in der die Figuren am Ende des Stückes, fast emotional entkleidet, neben sich stehen, zeichnet das authentischste gegenwärtige Bild – eins der Oberflächlichkeit, der Außenwirkung und der Wucht, wenn diese zerbrechen.

„God of Carnage“: Inszeniert von Pilar Andrea Quirez, besetzt mit Liliane Merker, Eva Schwendemann, David Janssen und Daniel Schrimpf. Noch zu sehen: Dienstag, 06. Dezember, bis Freitag, 09. Dezember, um 20 Uhr im Brechtbau Theater, Karte für 6€.

Fotos: Julia Müller.

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