Musik macht die Demenz vergessen

„Aus dem Takt“. So könnte man das Leben von demenzkranken Menschen beschreiben. Vieles ist nicht mehr wie früher und nicht nur die Erinnerungen gehen verloren. Doch nicht alles ist verschwunden, das zeigt der Dokumentarfilm von Constanze Ramsperger, Christoph Jäckle und Oliver Lichtwald, der am vergangenen Samstag seine Premiere in Tübingen feierte.

Bei Kindern wird oft davon geredet, was sie noch nicht können. Laufen, stillsitzen, Mathematik. Und bei alten Menschen dreht es sich um und es geht darum, was jetzt nicht mehr funktioniert. Vor allem, wenn diese Menschen Demenz haben, da sie auf der Suche nach Erinnerungen, Formulierungen und dem eigenen Leben immer mehr verloren erscheinen. Der Film „Aus dem Takt“, der im Rahmen einer Abschlussarbeit im Fach der Medienwissenschaft entstanden ist, zeigt jedoch von Beginn an ein anderes Bild.

„Aus dem Takt – Ein Film über Demenz und Musik“ ist noch bis Mittwoch im Kino Museum zu sehen.

Vier Menschen vereint in Musik

Die vier RentnerInnen aus dem Raum Tübingen, denen dieser Film eine Stimme gibt, dürfen zeigen, was sie können. Sie erzählen aus ihrer Vergangenheit und Gegenwart: Annelore von ihren Gehirnübungen, dem Briefeschreiben und ihrer Passion für Blumen. Elisabeth von ihrer Vorliebe, gut gekleidet zu sein. Adelheid vom Gesang. Und Claus schwelgt immer wieder von der Natur und der Landschaft, denen er als ehemaliger Tropenmediziner verbunden ist. Sie erscheinen mal als humorvolle, dann melancholische, als poetische oder auch energiegeladene Persönlichkeiten.

Gleich mit der ersten Szene wird außerdem eine weitere Eigenschaft bekannt, die diese vier verschiedenen Menschen miteinander verbindet: Die Liebe zur Musik. Bei einem Konzert der „Seelenbalsam“-Reihe der Württembergischen Philharmonie Reutlingen sitzen alle ProtagonistInnen versammelt und wippen mit den Füßen zum Takt, schwingen den imaginären Dirigierstab und sind ganz von der Musik erfüllt. Über den gesamten Film verteilt sind sie noch öfter in Berührung mit Musik zu sehen – als Zuhörer und selbst Spielende – und immer blühen sie dabei auf.

https://www.facebook.com/demenzundmusikfilm/videos/vb.1686324511618989/1710590112525762/?type=2&theater
Ein Ausschnitt aus dem Film zeigt deutlich das Leben und den Humor, aber auch die Gedanken, die in den ProtagonistInnen stecken.

Gemeinsam und auf Augenhöhe

Deutlich wird: Musik hilft Demenzkranken dabei, ihre Sorgen zu vergessen. Darüber, dass sie bei einem Spaziergang wieder die Orientierung verlieren könnten oder sich nicht mehr genau daran erinnern können, was sie eigentlich als Beruf gemacht haben. Sie lässt sie im Moment verweilen, erfüllt von den Tönen, Rhythmen und Melodien. Und lässt sie zusammenfinden, wie Elisabeth und Adelheid, die scherzend und einander stichelnd jedes Musikangebot in ihrem Pflegeheim gemeinsam besuchen, am nächsten Tag ihre Freundin aber nicht mehr benennen könnten.

„Aus dem Takt“ ist kein klassischer Dokumentarfilm, in dem eine alles überblickende Stimme aus dem Off Hintergründe und Informationen zum Besten gibt. Er ist ein Film, der den Protagonisten auf Augenhöhe begegnet und die Zuschauer mit auf eine Reise nimmt. Hinein in die Geschichten der vier Menschen und dem Leben, das noch in ihnen steckt. Und dabei immer wieder innehalten lässt, um das Gesehene und Gehörte einzuordnen und die vielen aufgezeigten Facetten zu einem Ganzen zu verbinden.

Das Team hinter „Aus dem Takt“ bei der Fragerunde nach langem Applaus (v.l.n.r: Oliver Lichtwald, Constanze Ramsperger, Christoph Jäckle).

Allen zuhören, auch wenn es schwer ist

Doch nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Angehörigen bereichern den Film mit dem, was sie zu erzählen haben. Sie geben einen weiteren Blickwinkel auf die Demenz frei. In einigen Szenen wird klar, dass dieser nicht immer leicht ist. Wenn die demenzielle Mutter ihre Tochter beschimpft, ihr die Fotoalben gestohlen zu haben, oder der Ehemann auf einem Spaziergang spurlos verschwindet und erst nachts unterkühlt in einem Feld liegend gefunden wird, ist in ihren Gesichtern deutlich der Kampf und die Anstrengung abzulesen, die sie tagtäglich begleiten.

Auch wenn es oftmals schwer ist, den durch die Demenz veränderten Verwandten entgegenzutreten, überwiegen die positiven Momente im Film. Und wie Christoph Jäckle, einer der Filmemacher, erzählt, sei „das Leben im Alter, ob mit oder ohne Demenz, nichts vor dem man Angst haben muss.“ Denn mit alten und demenziellen Menschen sollte es wie mit Kindern sein, denen man trotz Fehler und fehlendem Können Liebe und Aufmerksamkeit entgegen bringt. Deren verworrenen Geschichten man bis zum Ende zuhört und die Launen erträgt, die einem andauernd wechselnd entgegenschlagen.


Weitere Infos: http://www.demenz-und-musik-film.com/
„Aus dem Takt“ läuft noch vom 7. bis zum 9. Februar, am Montag und Dienstag um 18 Uhr und am Mittwoch um 20:30 Uhr, im Kino Museum.
Fotos: Pressematerial „Aus dem Takt“ und Fotos von der Premiere.

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