Nach dem Brexit-Schock und der Wahl Donald Trumps fürchtete sich die ganze Welt vor der französischen Präsidentschaftswahl. Nun aber hat Emmanuel Macron die Wahl für sich entschieden: Ein Grund zur Erleichterung? Drei ExpertInnen für Deutschland und Frankreich diskutierten das Wahlergebnis am Freitagabend im Deutsch-Französischen Kulturinstitut.
Küsschen links, Küsschen rechts. Hier und da aber auch der typische Händedruck. Es scheinen also sowohl deutsche als auch französische Gäste unter den Besuchern der Podiumsdiskussion „Frankreich nach den Präsidentschaftswahlen“ zu sein. Inmitten des Stimmengewirrs ist viel überschwängliches „Ça va?“ zu hören. „Ça va bien!“ ist dann meist die Antwort. Und ja, es geht tatsächlich gut! Denn Emmanuel Macron hat die französische Präsidentschaftswahl gewonnen, die Vorstellung einer Marine Le Pen als Präsidentin bleibt ein unheimliches Hirngespinst. Und es geht schnell nach vorne, in großen Schritten hin zu Reformen im eigenen Land und zu einer engeren Europäischen Union, wenn Emmanuel Macron seine Ziele umsetzen kann. „En Marche!“, das ist schließlich der ambitionierte Titel der von ihm geschaffenen Bewegung, die er jetzt zu einer Partei umformt.
Europa-Reformer, aber auch Systeminsider
Kann man Macron aus französischer, deutscher und europäischer Sicht jetzt also einfach als Retter Europas zelebrieren oder könnte er auch ein schwieriger Präsident und Partner werden? Zum Austausch über diese und weitere Fragen hat die Europa-Union Tübingen ins Deutsch-Französische Kulturinsitut geladen. Folgende Gäste diskutieren auf dem Podium: Prof. Dr. Hélène Miard-Delacroix von der Universität Paris-Sorbonne, der Chefredakteur der Zeitschrift „Alternatives economiques“ Guillaume Duval und die Tübinger Politik-Professorin Gabriele Abels.
Der Moderator, Dr. Matthieu Osmont vom Deutsch-Französischen Kulturinstitut, befragt die Diskussionsteilnehmenden zur Wahlkampagne, zu den Ergebnissen und zu den Folgen der Wahl. Macron sei ein autoritär veranlagter „Enarch“, so Duval. Der Begriff „Enarch“ bezeichnet Absolventen der Pariser Elite-Hochschule „Ecole Nationale d’Administration“, die eine der Kaderschmieden für die französische Ministerialbürokratie ist. Nichtsdestotrotz klingt auch Erleichterung über die Wahl Macrons durch, da Duval hofft, dass sich das deutsch-französische Verhältnis verbessern wird – schließlich sei die Wahl ein Bekenntnis zu Europa gewesen. Wobei „verbessern“ aus seiner deutschlandkritischen Sicht bedeutet, dass Frankreich mehr Einfluss auf die Gestaltung Europas nimmt und sich über die lehrerhaften Ermahnungen Deutschlands zur Austerität hinwegsetzen kann. Er hofft auf mehr Investitionen im eigenen Land und einen stärkeren Euro.
Eher Wahl gegen Le Pen als für Macron
Miard-Delacroix‘ Erfahrungen mit der Wahl machen den Eindruck, als habe der „election stress“ aus den USA auch auf Frankreich übergegriffen. „Wir sehen Le Pens Wahlergebnis nicht mehr als schlimm an, weil wir uns an den Populismus gewöhnen“, stellt sie erschrocken fest. Aber stellt nur der Populismus eine Gefahr für die Demokratie dar? Miard-Delacroix diagnostiziert, dass bei den Vorwahlen und in beiden Wahlgängen gegen jemanden, nicht für jemanden oder dessen Inhalte gestimmt worden sei. 24 Prozent der Stimmen bekam Macron im ersten Wahlgang, sein mangelnder Rückhalt in der Bevölkerung könnte also zum Legitimationsproblem werden.
Macron braucht Deutschlands Unterstützung – aber ist Deutschland bereit, höhere Ausgaben und mehr Mitsprache Frankreichs in der Europapolitik zu akzeptieren? Prof. Abels ist optimistisch, auch wenn Macron ein schwieriger Partner werden wird. Sie sieht Merkel in der Pflicht, sich schnell mit Frankreich zu solidarisieren und die unangenehmen höheren Ausgaben für die EU noch vor der Bundestagswahl einzugestehen.
„Anders, aber kompatibel“
Worauf sich alle Diskussionspartner einigen können: In einer Zeit sinkender Unterstützung durch die USA und EU-Skeptizismus aus Großbritannien und Osteuropa kommt es mehr denn je auf das deutsch-französische Duo an. Es wird an diesem Abend viel über Unterschiede zwischen den beiden Ländern geredet, über sehr viel konfliktreichere Differenzen als nur die unterschiedlichen Begrüßungen Bisous vs. Handschlag. Aber da in der Andersartigkeit auch Kompatibilität liege, müsse man die Wichtigkeit der Zusammenarbeit für Europa erkennen. Denn das war die Wahl Macrons vor allem: Eine Wahl gegen Le Pen, gegen das etablierte Parteiensystem – aber zumindest für eines, wenn auch nicht für Macron selbst: für ein geeintes Europa.
Fotos: Marko Knab