Die Spaghetti danach

Die Mensa Prinz Karl ist „vital“. Sie sagt, sie kocht jetzt „leichte, ausgewogene Gerichte, die Körper, Geist und Geschmackssinne gleichermaßen anregen.“ Ich mache mir Sorgen.

Neulich betrat ich mal wieder meine Tübinger Lieblingsmensa, um die Sorgen des Tages in Bratenfett zu ertränken. Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen. Ich brauchte etwas Distanz, wusste, dass sie nicht gut für mich ist, aber als ich dann auf Facebook ein Bild von ihrer Instant-Soße auf einem fremden Teller sah, da kam alles wieder hoch, wie damals in der französischen Woche… Egal, das führt jetzt zu weit, es sind nur… die Erinnerungen… wie ich meine Gabel in ihr Cordon-Bleu stoße… Ähem. Jetzt geht’s wieder.

Hergelockt hatte mich, neben der Sache mit der Soße, die Ankündigung das Essen hier sei jetzt „vital“, was laut Eigendefinition heißt: „leichte, ausgewogene Gerichte, die Körper, Geist und Geschmackssinne gleichermaßen anregen.“ Das klingt nach Weisheit mit Löffeln fressen und wäre somit die ideale Klausurvorbereitung, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass meine Klausurvorbereitung bisher ohnehin zum größten Teil aus manischem Stressfressen bestand, mit denkbar schlechtem Ergebnis auf Papier und Waage.

Nun bin ich per definitionem kein vitaler Typ, soll heißen weder leicht noch ausgewogen, und hege auch nicht die Absicht es in nächster Zeit zu werden. Ich hatte mich also seit der Auszeit zwischen mir und der mir anverdauten Mensa nicht verändert, im Gegensatz zu ihr. Dieser plötzlich auftretende und offensiv bekanntgemachte Healthy-Lifestyle ihrerseits, schien mir ein klares Symptom für eine nicht gut verheilte Trennung zu sein. Ich fühlte mich irgendwie verantwortlich. Machte mir Sorgen, um der alten Zeiten willen, mit dem Cordon-Bleu, ihr wisst schon…

Vitale Gerichte für jeden Tag.

Naja, auf jeden Fall fand ich mich unvermittelt vor die Theke und damit vor die Frage „Was soll’s denn nun sein?“ gestellt. Worauf ich zunächst mit einem entschiedenen „Weißnichmagucken“ antwortete. Zur Auswahl standen: irgendwas mit Kichererbsen, eine Hähnchenbrust, die ihrem Namen nach einen langen Anreiseweg gehabt haben musste und Vollkorn-Spaghetti mit Erbsen und gerösteten Cashew-Kernen – letzteres sind in etwa die Lebensmittel, die wie ich in mein Wohnheimzimmer eingezogen und seitdem nicht mehr angerührt worden sind. (Wem‘s schmeckt, der kann hier übrigens einen Witz mit Qual der Wahl oder Wahl der Qual? hinzugeben.) Weil ich mich emotional mit ihnen identifizieren kann, aber vor allem um die peinliche Stille zu brechen sage ich: „Einmal Spaghetti, bitte.“ (Weil es sich melancholischer anhört, wechselt der Text jetzt ins Präsens. Indie-Pop-Songs sind auch Präsens)

Liebevoll beobachte ich, wie sie das Bestellte lieblos auf einen Teller klatscht. Für einen Moment fühlt sich alles an wie früher. „Wir müssen reden“, sage ich, so wie man diesen Satz eben sagt. Wir setzen uns. Ich ziehe nervös an einer Spaghetti, frage sie nach ihrem Befinden. „Wie du siehst, ist es mir gut ergangen.“

„Du hast dich verändert.“

„Mensen ändern sich.“

„Früher warst du so fett, das fand ich irgendwie geil.“

„Ich bin jetzt Omega-3-fett, das ist hochwertiger.“

Aber es ist einfach nicht dasselbe. Alles was ich an ihr geliebt hatte, plötzlich verschwunden. Mein Antrieb ihr jahrelang treu zu bleiben, war immer rein masochistisch. Ich wollte nie Ballaststoffe und ungesättigte Fette. Die sind gesund, die lassen dich länger leben. Stell dir das vor und du führst deinem Körper nur noch Mensa-Frikadellen zu. Zahlreiche Tiere (mehr Spezies als du denkst) müssen leiden, um diese Fleisch-Briketts möglich zu machen. Das ist im Grunde durch den Fleischwolf gedrehtes, schlechtes Karma und du weißt, es wird dich eines Tages umbringen. Nicht schnell, selbst wenn du dich daran verschluckst. Heimlich greift dich bestimmt ein boshafter Wohltäter zurück in dein Schicksal (im Übrigen wirkt ein Erstickungstod leicht dilettantisch, außer man ist 27 und Rockstar). Nein, nachdem du die Frikadelle gefressen hast, frisst sie dich, langsam von innen heraus, breitet sich aus, bis alle lebenswichtigen Adern mit Schweineschmalz verfugt sind. Und deshalb ist das MensaVital-Essen keine 3,60 € wert. Ich glaube das ist es, was ich eigentlich sagen wollte.

Warnhinweis: Sämtliche medizinischen Angaben in diesem Text (außer der, dass alle seine Leser*innen sterben werden) geschehen ohne Gewähr und dienen lediglich Unterhaltungszwecken. Kann Spuren von Erdnüssen und Sarkasmus enthalten.

Fotos: Marko Knab.

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