Im Januar startet das Programm „Arbeitet Uli heute?“ in einem Großteil der Tübinger Bars. Damit das Projekt erfolgreich starten kann, werden seit dieser Woche die Tübinger Bar- und Clubangestellten zu sexualisierter Gewalt im Nachtleben geschult. Im TOP10 hat sich Kupferblau die Fortbildung einmal angesehen.
Die Affäre um Harvey Weinstein hat die Debatte um sexualisierte Gewalt wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gebracht. Unter #metoo sprechen sich Frauen aus Hollywood und dem Rest der Welt via Twitter zu ihren persönlichen Erlebnissen sexueller Gewalt aus. Das Problem, das so alt ist wie die Menschheit selbst, wird nun in Tübingen aktiv bekämpft. 26 Gastronomiebetriebe im Tübinger Stadtgebiet haben sich schon freiwillig zur Teilnahme an dem Projekt bereit erklärt. In anderen Städten unter dem Code „Ist Luisa da?“ bekannt, bekam die Kampagne andernorts weniger Resonanz. Mitarbeiter der Beratungsstelle Sexualisierte Gewalt, des Polizeipräsidiums Reutlingen, des Vereins Netzwerk Antidiskriminierung und Frauen-helfen-Frauen schulen bis zum Start des Programms im Januar Mitarbeiter der Gastronomiebetriebe.
Sexuelle Gewalt, ein Problem aller Schichten
In Deutschland erlebt laut Polizeiangaben jede vierte Frau einmal im Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt, jährlich werden 8.000 Vergewaltigungen angezeigt, die Dunkelziffer bewegt sich jedoch nach Schätzungen beim zehn- bis zwanzigfachen. Sexualisierte Gewalt beschreibt, wenn ein Mensch gegen den Willen seines Gegenübers sexuelle Erregung sucht oder mit sexuellen Mitteln Macht ausübt. Die Täter und Opfer kommen aus allen Gruppen der Tübinger Gesellschaft und sind meistens zwischen 18 und 25 Jahre alt. Dieses Jahr haben in Tübingen etwa 50 Frauen die Anlaufstelle zur Beratung sexualisierter Gewalt aufgesucht, was die Notwendigkeit des Programms begründet. In der Bundesrepublik sah man die Notwendigkeit, gegen das Verbrechen vorzugehen, dies äußerte sich in der Verschärfung des § 184 StGB. Als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht kann seitdem jedes Gruppenmitglied, das bei einer sexuellen Belästigung beteiligt ist, zur Rechenschaft gezogen werden. Die Haftstrafe kann bis zu zwei Jahren, in schweren Fällen bis zu fünf Jahren betragen.
Ist das nicht schlecht, wenn jeder den Code kennt?
Die Fortbildung im TOP10 war interaktiv gestaltet, sodass die Mitarbeiter in Gruppen anhand von Fallbeispielen diskutierten wie sie sich in bestimmten Situationen richtig verhalten und die Vorschläge im eigenen Betrieb umsetzen. Es soll Wert daraufgelegt werden, dem Opfer Hilfsbereitschaft anzubieten, und ihm einen Rückzugsort zu bieten, statt neben dem Bedienen der Gäste zusätzlich Polizeiarbeit zu leisten, um die Schuld des Täters zu klären. Mit dem Codewort „Arbeitet Uli heute?“ soll die Hemmschwelle für das Erbitten von Hilfe gesenkt werden. Dabei ist es für die Leiter des Programms unwichtig, dass auch ein potenzieller Täter dessen Bedeutung kennt. Egal ob man Hilfe bei einem aufdringlichen Date braucht, oder K.-o.- Tropfen verabreicht bekommen hat, die nach etwa 15 Minuten zu Willen- und Bewusstlosigkeit führen, es geht darum ohne langes Erklären und Rechtfertigen sofortige Hilfe von Barkeeper, Bedienung oder Security zu bekommen.
Kampagne auch als Zeichen gegen Rassismus
Nach dem erinnerungswürdigen Silvesterabend der Antanztricks in Köln, dem zwölf Monate später das Silvester des Ethnischen Profiling folgte, an dem nordafrikanisch und arabisch aussehende Männer nicht zum Feiern an der Domplatte zugelassen waren, wird die Debatte um sexuelle Belästigung in diesem Land fast ausschließlich mit rassistischem Beigeschmack geführt. Deshalb steht es im Zentrum der Kampagne, ein Zeichen gegen jede Form der Diskriminierung zu setzen und die Veranstalter des Tübinger Nachtlebens auch für Rassismus und Sexismus zu sensibilisieren. Die Kampagne will ein Zeichen sein, das die Clubs gegen sexuelle Belästigung, Sexismus und Rassismus setzen sollen. Im TOP10 wurde das positiv aufgefasst, auch wenn einige das Programm für wenig sinnvoll oder realistisch halten. Es bleibt also abzuwarten, ob Uli den Job im Januar bekommt.
Titelfoto: Paul Mehnert