Sie studiert an der Universität Tübingen Sport und Geschichte auf Lehramt und ist die schnellste 400m-Hürdenläuferin Deutschlands. Jackie Baumann erzählt Kupferblau von ihrem Alltag unter der Doppelbelastung, ihren Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro und warum sie in Tübingen besonders glücklich ist.

Jackie Baumann, wie sieht im Moment dein Alltag aus?

Mein Alltag ist momentan nicht so alltagsmäßig, weil ich gerade an einer Schule bin und dort mein Praxissemester mache. Deshalb ist mein Alltag gerade etwas durcheinandergeworfen und durchaus stressiger als sonst. Im Moment ist es so, dass ich versuche, einmal am Tag in der Schule zu sein, was auch nicht immer ganz so einfach ist, weil ich zusätzlich zu Tübingen auch in Stuttgart trainiere. Aber ich habe eine Schule gefunden, mit der man reden kann und ich glaube nicht, dass ich mit den geforderten Leistungen ein Problem haben werde.

Wenn du nicht im Praxissemester bist, hast du dann viele Wochenstunden oder kannst du dir die Kurse lockerer legen?

Dadurch, dass ich auf Lehramt studiere und das nicht so sehr „verschult“ ist, kann ich es besonders in Geschichte relativ frei wählen und mir so auch die Stunden recht frei legen. Ich habe den Vorteil, dass mir die Veranstaltungen, die ich besuchen möchte, auch gegeben werden, das ist nicht immer so der Fall. Das ist mein „Bonus“, aber ansonsten würde ich sagen, dass ich im Rahmen des Möglichen normal studiere und immer so zwischen zwölf und 16 Wochenstunden bin.

Wenn eine Prüfung in die Wettkampfzeit fällt, unterstützt dich die Universität dann und lässt dich nachschreiben?

Ich glaube schon, aber ich versuche so wenig Ausnahmen wie möglich zu machen. Ich finde viele Dinge lassen sich auch einfach nebeneinander organisieren. Ich versuche, das Meiste so zu regeln wie andere Studenten auch und nur in Fällen, wo es gar nicht geht, eine Ausnahme zu machen.

Dem „Sportlerzirkus“ auch mal entkommen.

Du verbringst in der Vorbereitung viel Zeit in Trainingslagern, wie klappt das bei dir mit den Fehlzeiten?

Ich habe den Vorteil, dass ich nie krank bin. Das heißt, ich hebe mir meine zwei Fehlzeiten für solche Sachen auf. Es geht im Sommersemester nie auf, ich brauche meistens so drei, vier Fehlzeiten. Bei mehr würde ich dann wahrscheinlich irgendwann Probleme bekommen. Die meisten Leute lassen mit sich reden, in Sport ist es sowieso kein Problem. In Geschichte ist es etwas schwieriger, da muss ich erstmal erklären, was ich eigentlich tue. Manchmal muss man etwas extra machen, aber in den meisten Fällen ist es so, dass es geht.

Wissen deine Kommilitonen, was du neben der Uni so machst?

Meistens ist es unvermeidbar, es nicht zu sagen. Ich habe letztes Jahr für mich selbst lernen müssen, stolz zu sein auf das, was man erreicht und dazu gehört auch, dass man es offen kommuniziert. Für manche wirkt das vielleicht arrogant, wenn man das so erwähnt. Aber es ist ein Teil von mir und oft einfach nicht vermeidbar, allein wenn ich dann fehle, dass die Kommilitonen erfahren wo ich bin. Und dass sie Interesse zeigen, ist ja auch was Positives.

Wenn es im Sport mal Rückschläge gibt, ist dann das Studium so etwas wie dein Ausgleich?

Ja, das ist auch mit der Grund, warum ich gesagt habe, ich will kein Sport-Profi sein. Ich bin ein Kopfmensch und es hilft, wenn man einen Alltag hat, der nicht nur aus Sport besteht, sondern einen auch immer wieder zwingt, aus diesem Sportlerzirkus zu entkommen. Man weiß nie wie lang Spitzensport gutgeht. Ich denke, maximal noch zehn Jahre. Und danach ist es ja nicht so, dass mein Leben aufhört, sondern wahrscheinlich erst anfängt. Deshalb bin ich der Meinung, dass man sich schon früh Gedanken machen sollte, was man danach macht und ich habe mit dem Lehrerberuf etwas gefunden, was mich ausfüllt. Das gibt mir viel Sicherheit, auch im Sport.

Leistungssport und Unialltag – da bleibt wenig Zeit für andere Hobbys.

Wann hast du gewusst, du willst mal bei internationalen Meisterschaften dabei sein?

Ich hatte ganz früh einen Traum. Sobald feststand, dass die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro sind, wollte ich dort unbedingt hin. Das war immer so unerreichbar. Das Schlimme ist eigentlich, dass ich das erreicht habe und es nie richtig wertgeschätzt habe. Ich glaube, einen Spitzensportler zeichnet es aus, dass er sich vorstellen kann, Weltmeister zu sein. Wenn man sich das nicht vorstellen kann, dann ist der Weg dahin viel zu steinig, als dass man ihn in der Konsequenz geht. Deshalb glaube ich, wird schon früh entschieden, ob man der Typ dafür ist, Spitzensportler zu sein. Und dann kommt es auch darauf an, dass man bereit ist, sehr viel zu investieren und dafür manchmal sehr wenig zurückzubekommen. Ich weiß, dass ich das habe, und es ist auf jeden Fall mein Ziel.

Wie war es für dich bei den Olympischen Spielen dabei zu sein?

Bei den Olympischen Spielen hatte ich sehr mit meiner Psyche und der Nervosität zu kämpfen, bei der Weltmeisterschaft (in London im August 2017, Anm. d. Redaktion) war es besser, auch wenn es am Ende nicht ganz so zusammengelaufen ist, wie ich das gerne hätte. Aber es ist schon ein Wahnsinnsgefühl, wenn man in dieses Stadion reinkommt und sei es nur für eine Sekunde mal den Blick hebt und 60.000 Menschen da sitzen sieht. Das ist das, was mich total entfesselt hat und was mir auch einfach etwas zurückgibt, das ist alles wofür man arbeitet.

Was sind deine nächsten Ziele?

Ich will mir den deutschen Meistertitel zurückholen, das ist dann natürlich der erste Schritt in Richtung Europameisterschaft. Bei der EM würde ich gerne das abrufen, was ich im Moment kann und das würde für mich bedeuten, dass es eine Runde weitergeht. Ein Turnier kann man nicht planen, ich würde gerne einfach Runde für Runde das abrufen, was ich kann und dann muss man schon einiges tun, um dort ins Finale zu laufen, denn in Europa ist es gerade nicht einfach über diese Disziplin.

Du bist in Tübingen aufgewachsen, hast dein Abitur gemacht und studierst jetzt auch hier. Könntest du dir vorstellen, irgendwann mal für den Sport die Stadt zu wechseln?

Also für den Sport die Stadt zu wechseln ist gar nicht so einfach, da es für mich im Umkreis keine zufriedenstellende Alternative gibt. Das Team funktioniert und darum gehts im Sport: sich darauf zu verlassen, was man hat. Aus einer Stabilität heraus hat man irgendwann die besten Leistungsentwicklungen. Auf der anderen Seite ist Tübingen eine Stadt, die einem extrem viel zurückgibt. Eine Stadt, die nicht so riesig ist, aber groß genug, dass man sie als Stadt bezeichnen kann. Und dieses Gefühl von Heimat ist etwas, was man als Sportler so wenig hat, wenn man so viel unterwegs ist. Für mich gibt es einfach nichts schöneres, als einen Ort zu haben, den ich als Heimat bezeichnen kann und der nicht nur so ein Übergangssprungbrett irgendwo anders hin ist.

Fotos: Lisamarie Haas/ Jackie Baumann privat

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