„Klüger Wirtschaften: Ist weniger mehr?“ war das Thema der Podiumsdiskussion, die am Montagabend im Weltethos-Institut stattfand. Die zwei geladenen Referierenden, die vor circa 200 Gästen sprachen, waren Hochkaräter der nachhaltigen Wirtschaftswissenschaften.
Gerade in der Weihnachtszeit, wenn die Einkaufszentren und Fußgängerzonen vor flanierender Menschenmassen nur so platzen, beehren uns in Tübingen zwei Wirtschaftswissenschaftler, die genau diese Art des Konsums kritisieren: Prof. Dr. Edeltraud Günther von der Uni Dresden und Prof. Dr. Niko Paech von der Uni Oldenburg.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Klüger Wirtschaften“, die schon Sarah Wagenknecht, Heiner Geißler und Christian Felber nach Tübingen lockten, diskutierten sie vor eher älterem Publikum über nachhaltiges Wirtschaften. Im Mittelpunkt der Debatte stand Paechs berühmtes Buch „Befreiung vom Überfluss – Weg in die Postwachstumsökonomie“ (2012), welches angesichts hervorragender Konsumstimmung und Rekordhöhenflüge des DAX nicht an Aktualität verloren zu haben scheint.
„Der deutsche Mann will eine Bohrmaschine“
„Unser Wirtschaften zerstört unsere Lebensgrundlagen“, sagt Prof. Dr. Günther von der Uni Dresden. Auch wenn sie in den Methoden nicht immer mit Paech übereinstimmt, sieht sie die gleichen Probleme, denen wir uns in Zukunft stellen müssen: Klimawandel, sinkende Biodiversität, intensive Landnutzung, Bodenversiegelung. Und obwohl wir alle wissen, dass wir zu Lasten kommender Generationen und der ärmeren Länder des globalen Südens leben, ändert kaum einer seinen Lebensstil. Günther macht hierfür den NIMBY-Effekt (Not In My BackYard-Effekt) verantwortlich: Wir seien zeitlich und räumlich entgrenzt.
Wo wir aber weder Bescheidenheit noch Verzicht pflegen, sind wir uns sogar noch fürs Teilen zu bequem. Günther bringt das Beispiel der Bohrmaschine: Der durchschnittliche Konsument benötige sie nur wenige Minuten im Jahr, doch trotzdem scheint sie ein unverzichtbares Gut im Leben eines jeden Mannes zu sein. Die Lösung könne nur ein Umdenken bei Verbrauchern, Unternehmen, Politikern und (ja auch!) Wirtschaftswissenschaftlern sein. „Souverän ist nicht wer viel hat, sondern wer wenig braucht“ zitiert sie aus Paechs Buch. Eine Aussage, die alteingesessenen Wirtschaftstheoretikern die Angstfalten ins Gesicht treiben dürfte.
Haben wir die falschen Götter?
Paech selbst beginnt mit einem sehr philosophischen Gedanken: Woher kommt eigentlich die Legitimation von Wohlstand? Mit welchem Recht behauptet ein Konsument, dass er verdient hat, was er hat? Bei diesen Fragen holt Paech ein wenig aus, und nennt die Umrechnung von physischer Leistung in materiellen Besitz den „Ursprung der Plünderung“.
Als zweiten Aspekt kritisiert er den Zwang unseres heutigen Wirtschaftssystems so schnell so viel Gewinn als möglich zu machen. Günther treibt diese Problematik in der Diskussion auf den Höhepunkt: „Wenn ich depressiv bin und zum Psychologen muss, steigere ich das Bruttoinlandsprodukt!“. Ein trauriger, aber treffender Gedanke.
Genau dies führe zu einer Fokussierung und Überinterpretation auf „magische Zahlen“, wie zum Beispiel dem BIP. Man lege dadurch auf den gegenwärtigen Absatz und Konsum mehr wert, als auf den zukünftigen. Paech erklärt dies an einem Beispiel: Lieber trinke man heute ein Weizenbier, als in vier Wochen. Auf den ersten Blick ein sehr nachvollziehbarer und trivialer Ansatz, doch auf den zweiten Blick steckt mehr dahinter. Wer sagt denn, dass wir in vier Wochen noch Weizenbier trinken können? Auch aus dieser Ungewissheit, die im Neoklassischen Wirtschaftsparadigma schlicht nicht existiert, rührt eine Affinität zum sofortigen Konsum her.
„Die Dosis macht das Gift“
Die Probleme sind also erkannt, selbst in den Wirtschaftswissenschaften, doch wie steht es um die Lösungen? Hier bleibt die Debatte etwas schwammig. Durch Innovationen, Nutzenintensivierung, Regionalisierung und Eigenproduktion sollen negative Externalitäten minimiert werden. Paech macht keinen Hehl daraus, dass er ein Schrumpfen der Wirtschaft nicht für verwerflich hält. Er bezeichnet dies als „schöpferische Zerstörung durch innovative Ideen“. Konventionelle Industrie soll nicht abgeschafft, aber doch zurückgefahren werden, auch zu Gunsten von Projekten, die zur Nutzenintensivierung beitragen, wie zum Beispiel Car-Sharing. Es gehe nicht darum im nächsten Quartal doppelt so viele Autos zu produzieren, sondern mit halb so vielen gleich gut zurecht zu kommen. Oder eventuell eigene Konzepte zur Beförderung zu entwickeln. Statt, wie in unserer Wegwerfgesellschaft üblich, Dinge bei ersten Defekten zu entsorgen, sollen wir selbst Hand anlegen und so einerseits Ressourcen schonen und andererseits einen Bezug zu unserem Hab und Gut erlangen. Dieser Hang dazu, die „Entfremdung von der Produktion“ durch eigenes Engagement zu bekämpfen, zieht sich durch Paechs ganze Argumentation.
Von der Subjekt- zur Objektfokussierung
Aber der Volkswirt geht noch weiter. Im Gegensatz zur im gegenwärtigen Diskurs vorherrschenden Meinung, bestreitet er kategorisch die Möglichkeit von Wirtschaftswachstum ohne ökologische Schäden. Daher sei die einzige Lösung, die sich bietet, eine Drosselung des Konsums eines jeden Einzelnen. Auf die Kritik des Moderatoren Dr. Christian Gohl, dieses Zurückfahren des Lebensstandards sei eine Zumutung für die Bürger, stellt Paech die Legitimation des westlichen Lebensstandards an sich in Frage. Er vergleicht seinen Ansatz mit einem Bankräuber, dessen Beute beschlagnahmt wird, und dies als Zumutung empfindet.
Den gegenwärtigen Trend, „Konsumsünden“ mit einzelnen nachhaltigen Taten reinzuwaschen, vergleicht Paech mit dem Ablasshandel zu Zeiten Luthers. Ein weiterer drastischer Vergleich, der doch im Kern zutrifft: Statt den Fokus auf einzelne ökologisch sinnvolle Handlungen zu legen, gilt es Menschen und Lebensweisen anzupeilen. Auch wenn mittlerweile ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit vor allem bei jüngeren Menschen vorhanden scheint, sei ein kosmopolitischer Lebensstil mit Flugreisen und internationalen Produkten doch ein erhebliches Umweltrisiko.
Frei nach Kant soll jeder Mensch behaupten können, sein Lebensstil sei angemessen, selbst wenn ihn 7,3 Milliarden pflegen würden. Am Ende des Tages sitzen wir nämlich im selben Boot, auch wenn sich viele noch an Deck sonnen, während den ersten im Maschinenraum das Wasser bis zum Halse steht.
Fotos: Felix Müller