Religion und Toleranz standen schon immer in einem Spannungsverhältnis. Diesem Thema widmete sich Margot Käßmann am Freitagabend bei einer Festrede im Kupferbau. Geehrt wurde Professor Dr. Hans Küng, Gründer der Stiftung Weltethos, der im März seinen 90. Geburtstag feierte.
Heiße Luft steht an diesem warmen Aprilabend in Hörsaal 25, und auch das Thema, über das Margot Käßmann referiert, wird gerne hitzig diskutiert. Nicht erst seit dem jüngsten Antisemitismus-Skandal bei der Verleihung des Echo-Musikpreises findet das Thema religiöse Toleranz in hohem Maße im medialen Diskurs statt. Das öffentliche Interesse zeigt sich auch an den Zuschauern: Aufgrund des starken Andrangs muss in Raum 22 eine Video-Übertragung der Rede gezeigt werden. Ausgerichtet wird die Veranstaltung von Küngs selbst gegründeter Weltethos-Stiftung in Kooperation mit der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Ein gemeinsamer Ethos für die Welt
Käßmann, die selbst evangelische Theologie an der Universität Tübingen studiert hat, beginnt denkbar untypisch für eine Festrede. Sie redet über den Vorwurf der Intoleranz, der Religion(en) immer wieder entgegengebracht wird. Dabei ist die ehemalige EKD-Vorsitzende sehr selbstreflektiert und kritisiert die christliche Kirche für Vorkommnisse der jüngeren und älteren Vergangenheit.
Erst danach beginnt sie die eigentliche Laudatio und lobt Küng für seinen unablässigen Einsatz für Toleranz zwischen Religionen und Kulturen. Der Theologe forderte schon in den 50er-Jahren Reformen in der katholischen Kirche und prangerte verkrustete Strukturen an. Außerdem schuf er mit seiner Idee des „Weltethos“, also gemeinsamer „ethischer Standards“ für Gläubige aller Religionen und Nichtgläubige aller Kulturen, die Grundlage für die später gegründete Stiftung Weltethos. Aus dieser ging 2012 auch das Tübinger Weltethos-Institut hervor, ein An-Institut der Universität.
„Es gibt nicht Wir und Die…“
Im zweiten Teil zieht sich das Motiv der Toleranz durch Käßmanns Rede. So handelt sie die Reformation samt Bauernaufständen und Dreißigjährigem Krieg ab und nutzt diese Darstellung als Beispiel religiöser Intoleranz. Mit viel Witz und Wortgewandtheit beschreibt die ehemalige Landesbischöfin diese Phänomene als Unfähigkeit der Konfessionen „in der Wahrheitsfrage einen Kompromiss eingehen“ zu können. Sie erklärt:
Gerade eine tolerante Einstellung gegenüber anderen Religionen stärke die „eigene Glaubensgewissheit“.
Zuletzt widmet sich Käßmann der Toleranz in unserer Zeit. Mit Blick auf Deutschland verlangt sie, das Deutsch-Sein nicht rein von biologischen Faktoren abhängig zu machen und pocht auf eine „postmigrantische Einstellung“. Man müsse die Grenzen neu abstecken und alle, die tolerant und friedlich zusammenleben wollen, wären hierbei gefordert. In globaler Perspektive erkennt die Pfarrerin bezüglich der Orbáns, Putins und Trumps dieser Welt eine „Zeit der Egomanen“. Gerade in dieser Zeit dürften Religion die Konflikte der Welt nicht verschärfen, sondern klare Friedensperspektiven aufzeigen. Hierfür seien Ansätze, wie der von Küng geforderte „Weltethos“ richtungsweißend.
Die Veranstaltung endet mit einem Geburtstagslied für Küng, das natürlich im Kanon angestimmt wird. Eine Analogie quasi zu dem Thema der Rede: Wenn alle mitsingen und die Regeln des Taktes einhalten, kann Verschiedenheit wunderbar klingen.
Titelbild und Beitragsbild 1: Julia Baumgart/EKD.de
Stiftung Weltethos Logo: www.weltethos.org
Beitragsbild 2: www.weltethos-institut.org
Gibt’s den Festvortrag auch irgendwo in schriftlicher Form?
Tatsächlich ist der Vortrag auf der Website des Weltethos-Instituts zu finden.