Ob Orbán, Trump oder die AfD: Das Thema Populismus ist im Moment allgegenwärtig in der öffentlichen Debatte. Am Donnerstagabend debattierten Experten von vier Universitäten über das Phänomen. Die Podiumsdiskussion wurde ausgerichtet vom Seminar für Allgemeine Rhetorik in Kooperation mit der Wochenzeitung DIE ZEIT.
Im Audimax konnte die Brisanz des Themas Populismus förmlich von den Rängen abgelesen werden: Die Gäste saßen teils auf der Treppe oder teilten sich sogar einen der ergatterten Sitze. Und obwohl die Diskussion keinen spannenden Schlagabtausch bieten konnte, sorgte das Zusammentreffen der vier Sozialwissenschaftler für einen unterhaltsamen Abend mit einigen kontroversen Aussagen.
„Die da oben und die da draußen“
In der Diskussion zeigt sich früh ein Problem, dass die Forschung immer wieder beschäftigt: Die knifflige Definition von Populismus. Die emeritierte Prof. Dr. Karin Priester von der Universität Münster beschreibt ihn dabei als einen „Prozess, der mit Protest beginnt“. Der Populismus sei eine Weltsicht, die in „die da oben, wir da unten“ unterscheide. Diese Spaltung funktioniere auch horizontal: Populistische Parteien seien nicht mehr nur „gegen die da oben, sondern gegen die da draußen“. Dabei hätten besonders die Wirtschafts- und Migrationskrisen, aber auch die „Hegemonie des Neoliberalismus“ und die damit einhergehende Spaltung von Arm und Reich zum Aufkommen des Populismus beigetragen, sagt die Politikwissenschaftlerin. Viele Menschen sehnten sich in einer Art „rückwärtsgewandten Utopie“ in eine frühere Zeit zurück.
Dagegen argumentierte ein weiterer Politikwissenschaftler, Prof. Dr. Lothar Probst von der Uni Bremen: Populismus sei ein „Pudding, den man nicht an die Wand nageln kann“. Er meint damit scherzhaft, man könne die Ursachen für Populismus nicht nur in sozioökonomischen Faktoren finden, sondern auch in kulturellen und historischen. Auffällig sei, dass Populisten gerade auch in wirtschaftlich starken Regionen im Aufwind seien, wie zum Beispiel jüngst bei der Parlamentswahl in Italien.
Durch Globalisierung, Migration und europäische Integration erlitten viele Menschen eine „kulturelle Verunsicherung“, aufgrund derer die „Lebenswelten zwischen Bevölkerung und Teilen der Eliten immer weiter auseinander driften“ würden. Genau hier setzten Populisten gezielt an, wenn sie sich als einzige Gegeneliten oder ausnahmslose Alternativen inszenierten und einen „homogenen Volkskörper“ konstruierten. Durch die Schwäche des Nationalstaats als „identitätsstiftendes Gehäuse“ resultiere dann die Sehnsucht in der Bevölkerung nach Orientierung und Dazugehörigkeit.
Soziale Medien als populistisches Instrument
Mit Dr. Georg Eckmayr konnten die Organisatoren auch einen Medienwissenschaftler aus Wien für die Diskussion gewinnen. Der Österreicher erklärt, wie Populisten versuchen, den Diskurs zu bestimmen, indem „Begriffe aufgeweicht und neu besetzt“ werden. Als Beispiel nennt er den Umgang der in Österreich regierenden FPÖ mit Journalisten, die von Veranstaltungen der Partei ausgeschlossen und als Mitglieder der „Lügenpresse“ diskreditiert wurden.
Die Berichterstattung sei daraufhin von parteinahen Unterstützern übernommen und überwiegend auf sozialen Netzwerken ausgestrahlt worden. Dadurch finde eine Neubesetzung der Begriffe Journalismus und Presse statt, die gerade in Zusammenhang mit den sozialen Medien „neue Möglichkeiten der Steuerung“ bewirken. Entgegen vieler Behauptungen seien diese Netzwerke „kein öffentlicher Raum“, sondern bieten durch Algorithmen privater Konzerne nur „eine Illusion der Teilnahme“.
„Populismus ist zunächst einmal Bewegung“
Als letzter Gast in der Runde fügt Prof. Dr. Hans-Jürgen Puhle von der Universität Jena der Debatte eine historische und globale Dimension hinzu: Er sieht die Wurzeln des Populismus in nordamerikanischen Agrarparteien des späten 19. Jahrhunderts. Zudem sei der Term Populismus in manchen Weltregionen positiv konnotiert, so in der kemalistischen Türkei oder in Algerien. Um der derzeitigen „Inflation des Begriffs“ zu entgehen, schlägt er eine strikte Trennung in populistische Methodik (die viele Politiker nutzen) und Populismus als Politikkonzept vor.
Weiterhin kritisiert der Politikwissenschaftler und Historiker die fehlende Differenzierung innerhalb dieser Thematik und behauptet, es gäbe „demokratische Populismen“, denen wir unter anderem das Frauenwahlrecht in den USA und diverse Freiheitsrechte zu verdanken hätten. Trotzdem seien diverse gegenwärtige Entwicklungen besorgniserregend. Rechte Populisten seien auf dem Vormarsch, weil Argumente der Linken „zu rational und abstrakt“ seien. Als beste Gegenstrategie empfiehlt er „gute Politik zu machen und diese erfolgreich zu kommunizieren“.
„Diese Strömungen werden nicht einfach so verschwinden“
In dieser Aussage sind sich alle Experten einig, wie in der Fragerunde zum Schluss der Podiumsdiskussion klar wird. „Stigmatisieren hat nicht funktioniert, ignorieren hat nicht funktioniert“, bemerkt Probst gegen Ende der Veranstaltung. Priester sieht gar eine Zukunft vor uns in der traditionelle Volksparteien nur noch eine kleine Rolle zwischen mehreren populistischen Parteien spielen könnten. Doch über mögliche Strategien zur Eindämmung dieser Entwicklung wurde kaum debattiert. Wie die Krise der repräsentativen Demokratie überwunden werden kann, bleibt offen. Angesichts eventueller Kruzifix-Pflicht in bayrischen Behörden scheint Puhles Empfehlung, „gute Politik zu machen“, allerdings gar nicht so leicht.
Fotos: Marko Knab