Genau 73 Jahre nach Kriegsende feierte die Satirepartei Die PARTEI Tübingen die Demokratie auf ihre ganz eigene Art: Am vergangenen Dienstagabend casteten sie einen Spitzendkandidaten für die Gemeinderatswahlen 2019.
Am 8. Mai 2018 findet sich ein junges Publikum im Club Voltaire zusammen. Um die 30 Leute füllen den Raum mit freundlichem Plaudern, man kennt sich untereinander. Und jeder dort kennt Markus E. Vogt, besser bekannt als Häns Dämpf.
Der Musiker und ehemalige Philosophiestudent wird noch bis nächstes Jahr für die Satirepartei Die PARTEI im Tübinger Gemeinderat sitzen. Kandidieren wird er dafür aber nicht mehr. Für solche Kinkerlitzchen fehle ihm die Zeit: „Ich will in das Zentralkomitee der Partei Die PARTEI aufsteigen, und da ist so ein popeliges Stadtratsmandat natürlich hinderlich.“ Deshalb moderierte er beim Casting seine eigene Entmachtung.
Die PARTEI will 2019 hoch hinaus
Alle der vier CastingteilnehmerInnen kamen gleich unter die Top-10 der Liste für die Gemeinderatswahlen, aber nur einer konnte Spitzenkandidat werden. Auch das Publikum wurde mobilisiert, und zwar als Füllmaterial für die hinteren Listenplätze bei den kommenden Gemeinderatswahlen. Eine komplette Liste mit 40 Leuten will die PARTEI nächstes Jahr zusammenbekommen.
„Das ist keine Zirkusveranstaltung, sondern eine ernste kommunalpolitische Veranstaltung,“ so Dämpf.
Bei den letzten Gemeinderatswahlen 2014 befand sich der Tübinger Ortsverband noch in der Frühphase. Damals stellten sie nur 12 Leute auf, und das zusammen mit dem Stammtisch „Unser Huhn“. Trotzdem holten sie einen Sitz. Damit wurde Häns Dämpf einer der wenigen Mandatsträger der Satirepartei deutschlandweit.
Den Kampf um die Nachfolge von Häns Dämpf traten drei Studierende und ein Doktor an. Sie mussten mit einer Rede zur Lage der Gemeinde ihre PARTEI-Tauglichkeit unter Beweis stellen.
Einzige Kandidatin war Samantha Hilsdorf. Sie kann nicht nur authentisches Schwäbisch sprechen, sondern hatte auch als einzige einen konkreten Plan dabei, wie Boris Palmer abgewählt werden könnte: mit Überraschungswahlen, bei denen die Wähler nicht sehen, wo sie ihr Kreuz setzen.
David Hildner brachte seinen eigenen Fanclub und zwei in schwarz gehüllte Bodyguards mit. In seiner Rede wärmte er nicht nur alte PARTEI-Slogans auf, sondern forderte als konkrete Innovation ein Pumpspeicherkraftwerk am Österberg. Sein Motto „Wasserkraft statt Burschenschaft“ brachte ihm Standing Ovations vom Publikum.
„Um Spaß geht es hier ja nicht“
Die vier Teilnehmer bemühten sich getreu dem Anspruch der PARTEI Inhalte zu überwinden. An dieser Herausforderung scheiterten letztendlich alle. Ganz ohne Inhalt geht einfach nicht. Die Versuche allein ließen Publikum und Jury vor Lachen zusammenzucken. Gelacht wurde auch über FDP, der angeblich wahren Spaßpartei, Burschenschaften, AfD und Boris Palmer. Gemeinsame Gegner schweißen eben zusammen. Spaß machte das Casting auch den Kandidaten selbst, gab zumindest der Tübinger Poetryslammer Hank Flemming zu. Dann ruderte er zurück: „Um Spaß geht es hier ja nicht.“
Zu viel Realpolitik schadet
Dämpf will, dass auch die Arbeit im Gemeinderat lustiger und damit interessanter wird: „Ich habe den Antrag gestellt, dass die Sitzungen auf Video aufgezeichnet werden und online gestellt werden, damit sich die Stadträte auch mal anstrengen, für das Volk ein bisschen unterhaltsamer zu werden.“ Der Antrag werde noch geprüft. Auf der Facebookseite der PARTEI Tübingen verzichten sie aber auf kommunalpolitische Beiträge, weil dass das dort keinen interessiere: „Zu viel Realpolitik kommt bei unseren Wählern ja auch nicht so gut an. Ich habe schon das Problem, dass ich zu realpolitisch bin“, so Dämpf.
„Ich sehe mich als seriösen Politiker, der mit den Mitteln der Satire versucht, an die Macht zu kommen.“
In seiner Zeit als Gemeinderat hat er angestoßen, eine Seilbahn in Tübingen zu bauen, die Bahnhof mit Uniklinikum verbindet. Was als eine Satireidee aus dem Wahlkampf begann, soll bei einer kommenden Verkehrsstudie mitgeprüft werden: „Wir haben festgestellt, dass die anderen Parteien auch keine besseren Ideen als wir haben. Dann haben wir gedacht, probieren wir es mal. Das ist wichtig, wir machen auch echte Realpolitik.“
Ein Sieger auf PARTEI-Linie
Wer gewinnt? Hank Flemming wusste es schon vor der Jury: „Die Demokratie.“ Unter der NSDAP hätte so eine Veranstaltung ja wohl eher nicht stattfinden können, merkt auch Dämpf an. Er ist zufrieden: „Alle Kandidaten sind würdige, vielleicht sogar bessere Nachfolger.“
Zum besten Nachfolger wählte die Jury schließlich David Hildner. Die Politik sieht er als die passende Anschlussverwendung für sein Informatik-Studium. Tübingen will er noch mehr „sehr gut“ machen. Was glaubt er ist wichtiger für gute Politik, der Inhalt oder wie es rübergebracht wird? „Keins von beidem. Inhalte müssen überwunden werden. Und wie man es rüberbringt ist auch egal, das Stimmvieh frisst eh alles. Aber vielleicht ist Rüberbringen doch relevant. Man muss es richtig hinwenden.“ Dass er das kann, bewies er im Casting. Von allen Kandidaten hatte er PARTEI-Geschichte, Slogans und PARTEI-konformes Auftreten am besten verinnerlicht. Auch die PARTEI-Hymne sang er souverän mit. Der Angepassteste gewann.
Fotos: Marko Knab
Nicht über Kommunalpolitik informiert die Facebookseite der PARTEI Tübingen. Wer den Humor der PARTEI besser verstehen will, kann sich das Satiremagazin TITANC (das „Zentralorgan“ der PARTEI) zu Gemüte führen.
Als Jurymitglied möchte ich ergänzend noch in einer Art Infobox den Schluss-Punktestand übermitteln:
David Hildner: 201
Samantha Hilsdorf: 200
Hank Flemming: 199
Es fiel uns in der Jury sehr schwer, uns zu einigen. Es war fast so schwer, wie die baden-württembergische Englischabiturprüfung. Beinahe hätten wir uns für immer zerstritten. Zum Glück halten PARTEI-Freundschaften aber mehr aus, als normale. Ohne Diskussion einig waren wir uns gleichwohl bei der Punktebewertung des unfasslich schlechten Moderators:
Häns Dämpf – der Dieter Salomon der PARTEI:
-200 (in Worten: Minus Zweihundert).
Die PARTEI Tübingen dankt allen Journalistinnen und Journalisten auf der Welt für Ihren täglichen Einsatz für die Pressefreiheit.
Dieser Artikel ist ein mustergültiges Beispiel für ehrliche und doch kritische Arbeit.
Wir versprechen, dass die sehr gute Zeitung Kupferblau nach der Machtübernahme nicht verboten wird!