Alkohol gehört zum Alltag: Von jung bis alt trinkt in unserem Kulturkreis beinahe jeder. Man könnte fast sagen, Alkohol wäre Teil unserer Identität. Doch was ist, wenn man nicht Teil dieser kollektiven Identität ist und keinen Alkohol trinkt? Unser Redakteur fasst seine Erfahrungen ohne Alkohol in einem Selbstbericht zusammen.
Hallo, ich heiße Marvin, und ich habe ein Problem: Ich habe noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken.
„Wie, du trinkst nichts?“
Wenn ich nicht gerade zu Hause bin, fällt anderen Menschen mein Problem recht schnell auf. Ein Beispiel: Ich sitze abends in der Bar mit fünf Leuten, wir schauen Fußball. Vier der Anwesenden trinken Bier, ich trinke Cola. Es rauchen auch vier von fünf Leuten, aber die eine Person, die nicht raucht, scheint nichts Besonderes zu sein. Es fällt zwar die Frage: „Rauchst du nicht?“. Als Antwort reicht aber ein knappes „Nein“, darauf folgt nur ein „Ok“.
Anders verhält sich das ein paar Momente später, als der Barkeeper kommt und fragt: „So Jungs, jeder ne Halbe?“. „Nein, ich hätte gerne eine große Cola“ lautet meine Antwort. Aus den entsetzten Gesichtern der Anderen lässt sich schon die darauf folgende Frage ablesen: „Trinkst du nichts?“.
Auch meine Antwort ist ein knappes „Nein“, aber darauf folgt kein „Ok“, sondern ein „Warum?“. Ich frage mich: Wieso muss ich mich dafür rechtfertigen, wenn ich nichts trinke, während das jemand, der nicht raucht, nicht tun muss?
Wenn ich nicht mit dem Auto unterwegs bin und die von der Allgemeinheit nahezu immer akzeptierte Antwort „Ich bin Fahrer“ aus dem Hut zaubern kann, wird es schwierig. Mit einem schlichten „Einfach so“ geben sich die meisten Menschen nicht zufrieden. Und ich will ja auch ehrlich sein: Es ist nicht nur ein „einfach so“. Es hat Gründe. Persönliche und private Gründe, und manchmal, wenn man die Leute, mit denen man unterwegs ist, nicht so gut kennt, eben auch zu private Gründe.
Wie hälst du das eigentlich aus?
Spontane Reaktionen darauf, dass ich keinen Alkohol trinke, lauten oft: „Das ist traurig“, oder: „Wie hälst du das dann eigentlich alles aus?“
Das mit dem Aushalten ist so eine Sache. Wer selbst einmal nüchtern auf einer Party war, der weiß: Betrunkene Menschen können echt anstrengend sein. Ich würde sagen, es ist weniger ein Aushalten als viel mehr ein ‚sich damit arrangieren‘. Alkohol gehört bei uns nun mal zum „Feiern“ dazu, und wenn mir das nicht passt, dann „feiere“ ich eben nicht mit.
Alkohol ist eine Kulturdroge, vor allem unter Studierenden. Alkohol gehört dazu. Zum Feierabend, zum gemütlich in einer Bar sitzen oder zum Feiern. Und wer keinen Alkohol trinkt, gehört eben oft einfach nicht dazu.
Ich verurteile niemanden, der Alkohol trinkt, das ist ja normal. Dafür wünsche ich mir aber auch von denjenigen, die Alkohol trinken, dass sie mich weniger ver- oder beurteilen, weil ich keinen Alkohol trinke. Oft werde ich von meinen Mitmenschen nämlich als derjenige identifiziert, der keinen Alkohol trinkt. Aber genauso wenig, wie sich Leute mit dem Alkohol identifizieren, will ich mich damit identifizieren, keinen zu trinken.
Hallo, ich heiße Marvin, und alle anderen haben ein Problem: Ich habe noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken.
Titelbild: Marvin Feuerbacher
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