Erinnerungen an Sorau

Sorau ist heute polnisch und heißt Żary. Die kleine Stadt in der Niederlausitz hat Konrad Rumbaurs Kindheit geprägt, die Flucht aus ihr im zweiten Weltkrieg sein ganzes Leben. Der Heimatvertriebene und Herausgeber der „Sorauer Heimathefte“, der heute in Hirschau lebt, erzählt, wie er sein altes Zuhause wiederentdeckt hat und warum es gefährlich ist, Heimat zu romantisieren.

Konrad Rumbaur kennt nicht nur die Heimat, er hat auch die Hölle gesehen. Für den damals Fünfzehnjährigen war das das Balinger Lager. Vor dem Krieg war es eine KZ-Außenstelle, dann ein Kriegsgefangenenlager, nach dem ein Krieg Camp für die Displaced Persons. Die Einrichtung blieb unverändert. So verschlang es dann auch Flüchtlinge wie den jungen Rumbaur und seine Familie: „Eine Holzbaracke mit 20 Doppelstockbetten. Wer niemals aus ‘nem Blechnapf fraß, naja… Und samstags gab es die Reste der ganzen Woche zusammengeschmissen und aufgewärmt.“ Fast ein Jahr mussten sie im Durchgangslager bleiben.

Allmählich wich die Hölle einem neuen Zuhause: „Wo man sich wohl und geborgen gefühlt, das ist meiner Ansicht nach Heimat. Ich bin jetzt hier in Tübingen verwurzelt.“ Die Freunde, die er fand, ließen ihn ankommen. Am Anfang hat er sie noch nicht verstanden, „die sprechen ja so richtig brooaat.“ Wenige Jahre später leitete er schon eine Jugendgruppe. Sie hält bis heute. Aber er hat auch Ablehnung erfahren: „So ‘n Pole, so wird man eingestuft. Ich sag immer, ich bin Deutscher mit Migrationshintergrund.“

Rumbaur in seinem Garten vor seinem Haus in Hirschau. Auch Tübingen ist für ihn eine Heimat geworden.

Nachrichten aus der Niederlausitz

Seine „alte Heimat Sorau“, wie Rumbaur sagt, kann er nicht wegschieben: „Mit dem Alter bin ich auf die Vergangenheit zurückgekommen. Natürlich könnte man sagen, was soll’s, vorbei ist vorbei.

„Es gibt eben doch so etwas wie Heimatverbundenheit. Das gehört zu meinem Leben, das hat meine Identität geprägt.“

Wie er fühlen sich viele heimatvertriebene Sorauer. Das „Sorauer Heimatblatt“ stillte ihre Sehnsucht. Als es dessen gealterter Herausgeber nach gut 50 Jahren nicht mehr fortführen konnte, baten sie Rumbaur – selbst Leser des Blatts – die Sache lebendig zu halten: „Dass noch eine Verbindung da ist, die letzte Verbindung unter uns heimatvertriebenen Sorauern.“ Der Journalist im Ruhestand trägt nun seit 18 Jahren historisches und aktuelles, ernstes und unterhaltsames aus der deutschen und polnischen Niederlausitz zusammen. Die meisten Leser sind über 80, Menschen, die selbst noch dort gelebt haben. Sie sind dankbar für die Erinnerungen an ihre jungen Jahre, die die Hefte wieder hochbringen.

Zurück in der Kindheit

Seine eigenen Erinnerungen fand Rumbaur 1988, noch vor der Wende, wieder. Mit einer Reisegruppe ehemaliger Sorauer kam er das erste Mal zurück in die alte Heimat, zurück vor sein altes Haus. Die neue Besitzerin ließ ihn erst hinein, als die obligatorische Reiseleiterin für ihn übersetzte:

„Und ich sag, Menschenskinder. Der Herd ist noch genauso wie damals. Ja, sagt die Hausbesitzerin, das ist nicht mehr der alte Herd, aber es ist der gleiche Herd.“

Sieben Jahre war er, als er den Herd zuletzt gesehen hatte. Das erste Schuljahr hat er noch in Sorau gemacht, da wurde die Schule ausgebombt. Er floh mit seiner Familie nach Halle, da wurden sie bei einem Bombenangriff verschüttet: „Lagen wir da im Keller, irgendwann wurden wir doch tatsächlich freigeschaufelt. Mein Großvater sagte, wir lassen uns nicht mehr in der Stadt nieder.“ Sie ließen sich in ein Dorf einquartieren und kamen vom Regen in die Traufe. Hinter dem Dorf war eine Flakstellung. Wenige Jahre später mussten sie zum zweiten Mal die Flucht ergreifen. Ein Schmuggler brachte sie aus der DDR auf die Westseite. Dann kamen sie in die Hölle nach Balingen.

Die Rückkehr an den Ort seiner Kindheit wühlte Rumbaur auf: „Das war ein Schockerlebnis. Da kam alles wieder hoch. Alles was verschüttet war. Alles was man erlebt hat. Als ich wiederkam, sagte meine Frau, du siehst ja aus wie 80.“ Seitdem fährt er immer wieder nach Sorau.

Erinnerungen an Sorau hängen auch in Konrad Rumbaurs neuem Heim. Was für ihn wichtiger ist? „Ich meine, die Gegenwart zählt natürlich immer mehr, nicht?“

Grenzenlose Heimat

Die Sorauer Hefte zehren vom Heimatgefühl ihrer Leser. Rumbaur will die alte Heimat aber nicht mit einem Glorienschein überwölben. Denn die Hefte sollen auch dazu beitragen, dass die alten und neuen Bewohner einander verstehen. Als Basis für diese Freundschaft sieht er die historische Wahrheit. Deshalb freut es ihn, dass unter jungen Polen das Interesse an der Geschichte, auch der deutschen Geschichte, wächst. Er schätzt auch, dass es in der Region enge Verbindungen zu den Heimatvertriebenen gibt: „Wenn da Dorffeste sind, werden sie eingeladen.“ Sein Wunsch ist, dass dieser rege Austausch weitergeführt wird – über Grenzen hinweg und entgegen nationalistischer Tendenzen. Deren Vormarsch verteidige nicht die Heimat, sondern schade ihr:

„Wir brauchen ein einiges Europa. Nie. Wieder. Krieg. Das ist unsere Aufgabe.“

Heimat, denkt Rumbaur, könne man nicht besitzen wie Eigentum, über das man beliebig verfügen kann: „Ich kann aber mitgestalten. Und das tun auch die Sorauer Heimathefte.“

Fotos: Marko Knab
 

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