Seit knapp 13 Jahren bringt die Theatergruppe Scenario jedes Semester spannende Inszenierungen auf die Bühnen Tübingens. Vergangenen Freitag feierte das dreiköpfige Schauspielteam zusammen mit Regisseur Thomas Rösner die Premiere des diessemestrigen Stücks. Die vielen Zuschauer im Fichtehaus durften sich an einer expressiven Interpretation eines philosophischen Kammerspiels von Sartre erfreuen.
Drei Abwesende in der Hölle
Es gibt wohl wenige Theaterstücke, die es schaffen, sich so weniger Charaktere und Requisiten zu bedienen und dennoch mit ausdrucksstarken Texten zu beeindrucken. In Jean-Paul Sartres minimalistischen Kammerspiel „Geschlossene Gesellschaft“ treffen drei unterschiedliche Charaktere nach ihrem irdischen Tod aufeinander. Die allgegenwärtige Hitze, die den Journalisten Garcin plagt, ist eine gelungene Metapher für die bedrückenden inneren Konflikte der Protagonisten. Eingesperrt in einem kargen Raum sind die irdisch Abwesenden gezwungen, ihre Sünden miteinander zu teilen. Die seelische Höllenfahrt beginnt, als sie sich als gegenseitige Folterknechte entpuppen.
Ein spiegelloses Dasein
Die eitle Estelle, gespielt von Hanna Weiß, verliert den Boden unter den Füßen, da sie ihre Identität nur in ihrem Spiegelbild reflektieren kann. Die hochintellektuelle Ines vertraut auf ein substantielles Ich-Empfinden von innen – im Gegensatz zu Estelles sinnlichkeitsbetontem Selbstbild. Eines haben alle drei jedoch gemeinsam: Geplagt von irdischen Sünden, suchen sie sich auf egoistische Weise in ihrem Gegenüber zu reflektieren. Estelle bettelt um die sexuelle Aufmerksamkeit von Garcin. Der erfolgsorientierte pazifistische Journalist kann hingegen nur durch die Anerkennung und das Vertrauen anderer existieren. Er scheint besessen von den Gedanken seiner irdischen Kollegen und verzweifelt bei dem Gedanken, in Vergessenheit zu geraten.
„Ich will meine Hölle selbst wählen“
Einzig und allein Ines predigt auf zynische Weise existenzialistische Gedanken. Während sich ihre beiden Höllengefährten mit dem Glauben an Zufall ihrer moralischen Verantwortung entziehen wollen, blickt Ines den ungeschönten Tatsachen ins Gesicht. Schauspielerin Nora Martetschläger verkörpert auf sehr authentische Weise Sartres Grundgedanken des Freiheitsdilemmas. Der Mensch hat die Freiheit, sich selbst zu erfinden, steht jedoch in der vollen Verantwortung für jede Tat, da es keinen übernatürlichen Determinismus gibt.
„In meinem Kopf wird es immer hell sein“
Entgegen der weitläufigen Meinung, nach dem Tod Frieden zu finden, inszeniert vor allem Micha Himpel in der Rolle des stolzen Garcins auf eindrucksvolle Weise die Tragweite der moralischen Verantwortung. Seine innere Zerrissenheit lässt ihn den irdischen Verlust nicht akzeptieren. Der verzweifelte Versuch, sein Leben im Tod noch zu ordnen, scheitert. Was für immer bleibt, sind die selbstverschuldeten Taten, durch die die Charaktere sich während ihres Lebens definiert haben. Alle Protagonisten leiden auf ihre Art und Weise am Prozess der Selbstakzeptanz.
Die wohl eindrucksvollste Szene ist der Moment, in dem die Tür der Hölle geöffnet wird. Alle Charaktere lechzten bisher nach einer Flucht. Als ihnen alle Türen offen stehen, blicken sie der nackten Freiheit aber mit Skepsis ins Gesicht – eingeschüchtert von den endlosen Möglichkeiten der Welt.
Weitere Aufführungen: 12. und 13. Juli im Löwenkino (Altstadt).
Beginn jeweils um 20 Uhr. Eintritt 6 €.
Fotos: Gizem Gueler