Winfried Kretschmann hat sie schon gehalten, ebenso Kofi Anan und Helmut Schmidt. Nun war es Frank-Walter Steinmeier, der zum friedlichen Miteinander Stellung bezog. Feierlich betrat der Bundespräsident am Dienstag die Neue Aula, um die 14. „Weltethos“-Rede zu halten. Ein Plädoyer für die Demokratie als Staatsform der Mutigen.
„Keine deutschen Waffen in Kurdistan“, schallte es dem Bundespräsidenten entgegen, als dessen polizeieskortierter Konvoi um kurz vor sechs Uhr auf den Platz der Neuen Aula fuhr. Während das Staatsoberhaupt von Vertretern der Stadt begrüßt wurde, verteilten einige Demonstranten Flyer gegen den militärischen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien; andere hielten Banner hoch. War die Stimmung auf der Straße politisch aufgeheizt, so begab man sich im Inneren der Aula in wohlige Feststimmung. Eintreten durfte, wer sich im August um eine personalisierte Eintrittskarte bemüht hatte oder als Vertreter von Stadt und Presse in einer der vorderen Reihen saß. Ein kurzer Sicherheitscheck – dann applaudierte das Publikum dem eintretenden Präsidenten.
Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden
„Lohnt es sich noch, über ein Weltethos zu sprechen? Oder ist es gar nicht mehr möglich, sich in dieser zerrissenen Welt auf einen Wertekanon zu einigen?“, fragte der Präsident zu Beginn seiner Rede. Die Idee des „Weltethos“ geht auf den Theologen Hans Küng zurück. Seine These: Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden. Denn Religion spielt sich nicht nur im alltäglichen Leben einer Gesellschaft ab, sondern beeinflusst auch praktische Weltpolitik. Interkulturelle Forschung fördern – das ist das Ziel von Küngs „Stiftung Weltethos“, die seit 2000 die Weltethosrede veranstaltet, bei der herausragende Persönlichkeiten zu Friedensfragen dozieren.
„Nein, die Idee des Weltethos ist keinesfalls obsolet geworden. Sie ist im Gegenteil von unerhörter historischer Dringlichkeit“.
Gerade jetzt, da wütende Verheißungen neuer Nationalismen globale Verbindungen kappen und zusperren wollen, die Welt aber immer näher zusammenrückt – durch Flucht und Migration, aber auch durch digitale Kommunikationsräume – sei ein Weltethos von historischer Dringlichkeit, statuierte Steinmeier. In seiner Auffassung des Weltethos steckt ein kategorischer Imperativ, der alle Menschen zur beharrlichen (aber auch kleinteiligen) Arbeit an Verständigung und Frieden verpflichtet. Dazu gehört zweifelsfrei das geduldige Gespräch, und auch das „vernünftige Reden mit Unvernünftigen“. Als wichtigste Erfahrung seines politischen Lebens habe Steinmeier die zwölfjährigen Verhandlungen über das Atomabkommen mit dem Iran empfunden. Hierfür galt das Credo: mit himmlischer Geduld die Fäden aus einem scheinbar unentwirrbaren Knoten lösen! Darin liegt auch das politische Ethos jedes Engagierten: im geduldigen Knotenlösen.
Mut zur Entscheidung
Was aber tun, wenn für ein geduldiges Gespräch die Zeit fehlt? Wenn zum Beispiel die ältere Generation klimapolitische Entscheidungen verschiebt, weil sie selbst nicht mehr von deren Konsequenten betroffen sein wird? „Wir sollten uns davor hüten, in der Demokratie die einen gegen die anderen auszuspielen. Etwa die Leidenschaft junger Demonstranten gegen die vermeintliche Versessenheit demokratischer Institutionen“, macht der Bundespräsident deutlich. Besser: den Mut besitzen, „beharrlich am Knotenlösen festzuhalten und auch die am kürzesten Ende des Fadens mitzunehmen“. Und währenddessen standhaft zu bleiben, gegenüber schrecklichen Vereinfachern. Nach dem einen Knoten geduldig zum Nächsten schreiten, und die Welt Schritt für Schritt ein Stückchen besser machen – das war das Resümee des Bundespräsidenten.
Fotos: Thomas Dinges