„Der Ton funktioniert, das Licht funktioniert, das Publikum ist da. Wir können anfangen“. Mit diesen beflügelnden Worten leitete Hank M. Flemming als Moderator am Montag den Best of Poetry Slam #2 im LTT ein. Und so ließen die Poet*innen des Abends mit aller Mühe die Magie ihrer Worte erklingen, um nicht nur den Sieg, sondern auch den Gewinnerpreis mit nach Hause nehmen zu können: einen Pokal aus abgelaufener Schokolade.
Zum zweiten Mal fand der Best of Poetry Slam am vergangenen Montag im LTT in Tübingen statt. Bevor die Wettstreiter die Chance bekamen „um die Gunst des Publikums zu buhlen“, musste Hank M. Flemming, Moderator des Abends und Sächsischer Poetry-Slam-Meister 2019, erst einmal die Qualität des Applauses testen. Wer nämlich den sagenumwobenen Pokal aus Schokolade gewinnen sollte, das hing vom Publikum ab. Es wurde also erst der „solide 5 Punkte Applaus“ auf einer Skala von 1 bis 10 getestet, bevor die erste Poetin mit einem 10 Punkte Applaus auf die Bühne gelockt wurde.
Wohin kommt man ohne Flügel?
Den Auftakt machte Elena Illing, eine Tübinger Newcomer Poetin mit ihrem Text „Warum ich meine Jugend im Bett verbracht habe“. Durch ihre malerischen Worte versank das Publikum in den Erinnerungen eines kleinen Mädchens, welches mit Ritterschwert und Feen-Flügeln durch den Wald sauste und sich von nichts aufhalten ließ. Schließlich wird das Mädchen von der grausamen Realität der Gegenwart wieder eingeholt. Rucksack und Schulstoff werden schwerer, ebenso das Herz. „Die Flügel erst verletzt, dann ersetzt durch Schulterblätter, die schmerzen, weil ich zu viel sitze, zu viel tippe, zu viel nippe, an Dingen, die nicht für junge Leute sind.“
Nach der poetischen Einstimmung auf den Abend begann das eigentliche Battle. Ursprünglich sollten vier SlammerInnen gegeneinander antreten. Leider mussten die Zuhörer jedoch wegen eines Zugausfalls auf den Auftritt von Theresa Hahl aus Bochum verzichten. Es blieben also drei männlichen Kandidaten übrig.
Schneeflocken und sterbende Rentiere
Den Anfang machte Wehwalt Koslovsky. Der Dichter und Gewinner des ersten Platzes der Poetry Slam-Weltmeisterschaften 2000 vertrat ganz klar die Aussage „ich reime, also bin ich“. Seine Meta-Ballade „Anstandslos – reimo, ergo sum“ veranschaulichte einen „fruchtlosen Diskurs“ zwischen seinem lyrischen Selbst und dem „Idioten“. Den besagten Idioten, einen griesgrämigen alten Mann, versuchte Koslovsky zu Jugendzeiten von der Bedeutung seines Reims zu überzeugen. Auch in seinem zweiten Text vertrat er seine Lebensweisheit als Special Agent des „Reimdepartment FBI“ mit den Worten „lass den Reim in Frieden, Junge, solange ich Koslovsky heiße“.
Mit Reimen konnte Marvin Suckut in seinem ersten Beitrag eher nicht punkten. „Die Ästhetik von Allem“ lautete der Name seines Textes. Diese sei ihm neben der spanischen Sprache und den unkaputtbaren Verpackungen von Scheren ein Rätsel. Wenn seine Freundin ihn frage ob ihr Oberteil schön sei, finde er: „Da steht ganz klar der Nutzen vor der Ästhetik“. Seine Schuhe möchte er am liebsten passend zu seinen Füßen und nicht zu der Mütze. Nur bei Kunst und Katzenbabys könne er sich einen Reim auf Ästhetik machen. Denn diese müssten schließlich einfach nur süß sein.
Suckuts zweiter Text handelte zur großen Erleichterung des Publikums nicht vom Brexit sondern von Weihnachten. Besser gesagt vom Weihnachtsmann und seinen Rentieren. Dass die Mischung von Vodka, Sauerkraut und Ecstasy tödlich für Rentiere sein kann, musste wohl Blitzen (eines der fliegenden Rentiere des Weihnachtsmanns) am eigenen Leib erfahren. Für die übrig gebliebenen acht Rentiere hieß es dann „packt bei den Asiaten noch ein paar Kondome dazu, das kann so nicht weitergehen“.
Zu guter Letzt gab Aron Boks seinen Text „Schneeflocken in Küche und Wohnzimmer“ wieder, der die beiden Phasen eines Umzugs nach Berlin beschrieb. Die erste Phase der Euphorie und die zweite Phase nach Überleben der Zugfahrt. Mit Schneeflocken waren natürlich Sprösslinge der Generation 1990 bis 2000 gemeint, welche „stetig am neu erfinden“ seien. Jeder versuche doch nur „klug und charmant und lustig genug zu sein, um jemandem das Wasser reichen zu können“. Man solle sich lieber warm anziehen im Leben und nicht wie alle anderen in der Masse versinken, war die Message.
And the winner is…
Nachdem alle drei Künstler ihre 12 Minuten Sprechzeit erschöpft hatten und eine Pause gemacht worden war, um laut Hank M. Flemming an „frische Feuchtware“ zu kommen, bekam nochmal jeder der Interpreten die Chance einen letzten Text vorzutragen. Das übliche Finale fiel wegen der fehlenden letzten Kandidatin aus, deshalb wurde direkt im Anschluss der tosende Beifall bewertet. Schließlich verlieh Hank den fast frischen (nur leicht durch das Scheinwerferlicht geschmolzenen) Schokoladenpokal an den Künstler mit dem lautesten Applaus: Marvin Suckut.
Doch wie Hank M. Flemming so schön sagte, ging es schließlich an diesem Abend nicht um das Gewinnen und um einen wertvollen Preis, sondern um die Poesie.
Am 20.11. findet der nächste Hörsaal-Slam im Kupferbau statt. Und wer sich selbst mal auf die Bühne wagen will, der ist beim Newcomer-Slam am 27.11. im Friedrichs genau richtig.
Fotos: Jennifer Heichel