Postwachstums-Ökonom Niko Paech sprach bei der Vorstellung der neuen Tübinger Regionalgenossenschaft. Dabei wurde klar: Lebensmittelwirtschaft hängt mit ganz schön vielen Aspekten zusammen und ist auf allen Ebenen politisch.
Einheimische und gut integrierte ‚Neigschmeckde‘ wissen genau, was ‚Gsälz‘ bedeutet: Der Begriff ist eine schwäbische Bezeichnung für selbst eingekochte Marmelade. Seit kurzem allerdings hat das kultig-urige Wörtchen eine weitere Bedeutung hinzugewonnen – zumindest in der Region Tübingen und Umgebung. Denn am Freitagabend stellte sich in der Herrmann Hepper-Halle die neue Tübinger Regionalgenossenschaft vor, welche die Lautschrift des süßen Brotaufstrichs als ihren Namen gewählt hat: Xäls.
Xäls will regionale Erzeuger*innen (also Landwirte), Verarbeiter (Metzgereien, Bäckereien,… ), Händler und Verbraucher*innen an einen Tisch bringen und hat dabei ein klares Ziel vor Augen: Biologischer und regionaler Landwirtschaft eine Zukunftsperspektive zu bieten. Schließlich wird es für Unternehmen, die auf diese beiden Qualitätsmerkmale Wert legen, immer schwieriger, dem wachsenden Konkurrenzdruck Stand zu halten. Xäls-Mitinitiator Michael Schneider vom Tübinger Marktladen erklärte den interessierten Zuhörenden: „Im Bio-Bereich sehen wir seit 10 Jahren einen Strukturwandel, der uns alle irgendwann erwischt“. Das heißt: Dadurch, dass große Discounterketten den Markt für regionale und biologische Produkte erschlossen haben, wird die Luft für diejenigen, die wirklich aus der Region kommen, immer dünner. Schneider ist der Überzeugung:
„Für die Großen geht es bei dem Begriff ‚Region‘ nur um Marketing.“
Professor Paech, der Postwachstums-Papst
Auch wenn die neu gegründete Genossenschaft im Mittelpunkt stand, war wohl für viele im Publikum der Auftritt von Professor Niko Paech das Highlight des Abends. Der Postwachstums-Professor ist schon fast sowas wie ein Star in dem links-alternativen Milieu, dass man in Tübingen so häufig antrifft wie kaum anderswo. Das wichtigste Argument von Paechs Forschung könnte man folgendermaßen herunterbrechen: Auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen ist unendliches Wachstum nicht möglich. Aus seiner Perspektive müssen wir vor allem im Angesicht der globalen ökologischen Krise unseren Konsum verringern. Hierbei sieht er explizit die Verbraucher in der Pflicht, denn: „Die Politik ist längst überfordert damit, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen, die mehr als Symbolik ist“, so seine Beobachtung. Paech meint: „Reduktion heißt nicht immer Verzicht, sondern kann lebensrettend sein“ und illustrierte die These mit einer Metapher. Befänden wir uns in einem Heißluftballon, der eine große Menge an Gold und Schmuck im Gepäck hat und sich im Sinkflug befindet, würden wir dann lieber etwas von den Wertsachen abwerfen oder in den sicheren Tod stürzen? Ein krasses Beispiel von unnötigem Überkonsum ist für den Wachstumskritiker der Umstand, dass in unseren Breiten ungefähr die Hälfte aller Lebensmittel weggeworfen werden. Das führt er unter anderem darauf zurück, dass wir durch das ständige Überangebot im Discounter um die Ecke den Bezug zur Erzeugung unseres Essens verloren haben. Genau an diesem Punkt schlägt Paech die Brücke zurück zum eigentlichen Anlass des Abends mit dem Satz: „Die Rückkehr zur Regionalität ist die Rückkehr zur Verantwortlichkeit“, und spricht eine klare Investitionsempfehlung aus: „Wenn sie Geld vernünftig anlegen wollen, kaufen sie Genossenschaftsanteile.“
Alle Genoss*innen bestimmen mit
Aus sieben Partnerbetrieben besteht Xäls bislang, neben dem Tübinger Marktladen gehört zum Beispiel das Rottenburger Hofgut Martinsberg und die Reutlinger Bäckerei Berger dazu. Freundinnen und Freunde regionaler und ökologischer Lebensmittelerzeugung- und Verarbeitung können sich für je 100€ Genossenschafts-Anteile erwerben, hinzu kommt ein jährlicher Mitgliedsbeitrag von weiteren 100€. Jedes Genossenschaftsmitglied darf dann an der jährlichen Generalversammlung teilnehmen und kann durch seine Stimme mitbestimmen, wohin sich die Genossenschaft entwickelt.
Mit konkreten Projektideen konnten die Initiatorinnen und Initiatoren bei der Vorstellung noch nicht aufwarten, was für leichten Unmut in der anschließenden Fragerunde sorgte. Allerdings, so Michael Schneider, hätte die Genossenschaft sich bewusst dafür entschieden, noch nicht zu konkrete Vorstellungen auszuarbeiten, da man den neuen Genossinnen und Genossen von Anfang an die Chance geben wolle, mitzugestalten.
Bilder: Michael Schlegel