Das Studium Generale bietet ein vielfältiges Repertoire an Ringvorlesungen: Von Marx-Lektüren über ägyptische Hochkulturen bis hin zur Genom-Editierung ist für jede Interessenlage der passende Vortrag dabei. Die Vorlesungen finden immer von Montag- bis Donnerstagabend im Kupferbau statt – eine super Gelegenheit also, über den eigenen wissenschaftlichen Tellerrand zu blicken. Besonders spannend: Regelmäßig sind Gastwissenschaftler*innen zu Besuch, um Einblick in ihre Forschung zu geben. Unsere Redakteurin hat sich zwei Vorlesungsreihen ausgesucht – und berichtet.
Die erste Vorlesungsreihe „Umkämpftes Wissen und situierte Akteure: Blicke hinter die Kulissen der Wissenschaft“ (dienstags, 18 Uhr, Kupferbau Hörsaal 21) zeichnet Etappen der wissenschaftlichen Selbstbetrachtung und Selbstkritik nach. Wissenschaft wird nach Max Weber als „soziale Praxis in den Blick [genommen], der die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse eingeschrieben sind“. Sie befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch nach Objektivität und der Involviertheit des Subjekts. Dass Wissenschaft jenseits von politischen und wirtschaftlichen Interessen agieren könnte, wird als Illusion enttarnt. Und so muss Wissenschaft Verantwortung übernehmen für die Methoden, die sie wählt, für die Rahmenbedingungen ihrer Existenz und dafür, welche Realitäten sie schafft.
Eine selbstkritische Haltung einzunehmen ist auch in der Vorlesung „Wessen Wissen wissen wir? (Globale) Perspektiven aus dem Bildungskontext“ (donnerstags, 18 Uhr, Kupferbau Hörsaal 21) zentral. Es kommen Themen wie postkoloniale Theorien, Bildung in der Einwanderungsgesellschaft oder auch heimliche Lehrpläne zur Sprache. Wissen wird nicht als etwas verstanden, das irgendwo in den Sternen steht und erschlossen werden muss. Stattdessen ist es produziert und darin abhängig von der Stellung seiner Produzenten in einem, ins Ungleichgewicht geratenen, globalen Kontext.
Beide Vorlesungen suchen also nach Strukturen und Mechanismen, die sich dramatisch auf den eigenen Gegenstand, die eigene Disziplin auswirken, aber sich nicht leicht zu erkennen geben und folglich eingehender Analysen bedürfen. Wie diese aussehen können und wie es weitergeht, wenn man ein Stück der eigenen (wissenschaftlichen) Naivität verloren hat, werden die Vorlesungen in diesem Wintersemester hoffentlich anschaulich demonstrieren.
Der Blick auf die Kunst
Was kann die wissenschaftliche Methodenlehre von Performancekünstlern lernen? Wie wirkt sich institutionelle Macht auf die Produktion von Wissen aus? Und wie lässt sich ein System kritisieren, dessen Teil man ist? So ähnlich lauteten Fragen, mit denen Professor Markus Rieger-Ladich am Dienstagabend die Zuhörer der Ringvorlesung im Kupferbau zum Nachdenken angeregt hat.
Wer die Ringvorlesung als Student*in besucht, wird dort als Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinschaft adressiert, sogar wenn sich manch ein Ersti oder undergraduate noch nicht als solches verstehen mag. Denn in der Wissenschaft im Sinne von Max Webers Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“ (1919) ist es Aufgabe der Hochschullehrer*innen, ihren Studierenden dazu zu verhelfen „sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn [ihres] eigenen Tuns“. Einfach formuliert sind Studierende hier eingeladen, nicht blind die Meinungen und Aussagen der Vortragenden zu akzeptieren, sondern diese daraufhin zu überprüfen, ob sie überzeugen oder nicht.
Von der Künstlerszene in Manhattan zur Methodenkritik in Tübingen
Professor Rieger-Ladich lud die Anwesenden dazu ein, für die Dauer seines Vortrages einmal so offen zu sein, das künstlerische Feld als eines zu begreifen, indem auch nach Erkenntnis im Sinne von Wahrheitsfindung gestrebt wird. Konkret ging es ihm dabei um zwei Performance-Künstler*innen der sogenannten Institutionenkritik, Hans Haacke und Andrea Fraser. Die künstlerische Strömung der ‚Institutional Critique‘ begann in den 1960er und 70er Jahren. Vertreter der Strömung hinterfragen das „Selbstverständnis des Museums als einem unabhängigen Ort neutraler kultureller Erfahrung“. Sie thematisieren diesen Schein in ihrer Kunst, hinter dem politische, ideologische und finanzielle Interessen stecken. Sie wenden sich in ihrer Kritik dem zu, dem sie ihre Existenz zu verdanken haben.
Von der Distanzierung zur eigenen Involviertheit
1971 löste eine geplante Ausstellung Hans Haacke’s im Guggenheim Museum einen Skandal aus. Die Ausstellung wurde abgesagt. Der damalige Museumsdirektor Edward Fry gefeuert. Haackes Fotostrecke zeigte Gebäude im Besitz des New Yorker Slumlords Harry Shapolsky. Shapolsky gehörte zu einer Gruppe von Investoren, die Immobilien in sozial ohnehin depravierten Vierteln aufkauften und sich die dort herrschende Wohnungsnot zu Nutze machten, um sich zu bereichern. Zwar war Shapolsky keiner der Treuhänder des Guggenheim, doch Haacke legte ein Netz finanzieller Interessen und sozialer Machtverhältnisse offen, das von der Unwissenheit der Bevölkerung profitierte. Gerade dass seine Ausstellung abgesagt wurde, führt vor Augen, dass sich diese Kräfte auch auf das künstlerische Feld auswirkten.
Beim ‚Pathos der Distanz‘, das Rieger-Ladich in Haackes Abrechnung mit der eigenen Disziplin erkennt, bleibt der Exkurs in die Kunst jedoch nicht stehen. Vielmehr scheint es dem Vortragenden um das zu gehen, wodurch sich die zweite Phase der Institutionenkritik auszeichnet. Die große Schwierigkeit der wissenschaftlichen Selbstbetrachtung liege im Wissen um die eigene Involviertheit. So erzählt er von Andrea Fraser. Sie persifliert das ‚autoritäre Moment‘ in Kunstausstellungen, indem sie mit gespielter Ernsthaftigkeit durch ein Museum der Belanglosigkeiten führt und nicht Kunst, sondern banale Alltagsgegenstände zum Thema macht. Fraser agiert als Zahnrad im Kunstgetriebe:
„It is because the institution is inside of us, and we can’t get outside of ourselves “.
Fotos: Ineke Schlüter, ex libris Staatsbibliothek zu Berlin: scan from original book, Public Domain