Wissenschaft elektrisiert: Bei den Science Notes am Donnerstagabend präsentierten Forscherinnen und Forscher des Cyber Valleys in Kurzvorträgen ihre Forschungsergebnisse rund um künstliche Intelligenz. Begleitet wurde die Veranstaltung von elektronischer Musik.
Wissenschaftler tauschen den Hörsaal gegen das Schlachthaus? Kein Problem bei den Science Notes. Schon zum vierten Mal wurde die Veranstaltung in Tübingen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen organisiert. In den letzten Jahren ist das Event durch ganz Deutschland getourt, immer mit dem Anspruch, Wissenschaft verständlich zu präsentieren. Analoge Synthesizer sorgten für das musikalische Rahmenprogramm. Für ihre Vorträge hatten die Wissenschaftler wie bei einem TED-Talk nur 15 Minuten Zeit – so mussten sie ihre Forschungsergebnisse auf die wichtigsten Informationen reduzieren.
Der Informatiker Prof. Dr. Philipp Hennig vom Max-Planck-Institut sprach über seine Ergebnisse im Bereich des maschinellen Lernens. Eigentlich sind Computer präzise und zuverlässig. Um aber große Datensätze und komplexe Modelle mit Computern bewältigen zu können, müsse man bereit sein, Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit in mathematischen Rechnungen zu akzeptieren. Er zeigte zum Beispiel, wie Computer dazulernen, wenn sie mathematische Probleme lösen sollen. Diese Ergebnisse können zum Beispiel in der Krebstherapie genutzt werden. Ein Algorithmus berechnet, dass bei der Bestrahlung möglichst viel vom Tumor und möglichst wenig vom umliegenden Gewebe getroffen wird. Hennig betonte die wichtige Rolle des Menschen in der Forschung: „Wir hören im Moment viel darüber, dass die Daten unsere Welt übernehmen. Ich glaube, dass diese Idee zu kurz greift. Die lernende Maschine ist am Ende nicht so gut, weil man viele Daten reingesteckt hat. Sondern sie ist so gut, wie der Mensch, der sie entwickelt hat.“
Informatikerin Dr. Anna Levina beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem menschlichen Gehirn. Während im Gehirn ohne großen Energieaufwand viele Aufgaben gleichzeitig ablaufen, brauchen Computer dafür viel mehr Energie. Deshalb untersucht sie mikroskopisch kleine Teile des menschlichen Gehirns und versucht, mathematische Modelle daraus zu erstellen. Die gebürtige Russin hielt bei den Science Notes zum ersten Mal einen Vortrag auf Deutsch – auch das klappte in den 15 Minuten. Dr. Wieland Brendel zeigte in seinem Kurzvortrag, wie Maschinen unsere Welt sehen. Während Maschinen Texturen sehr zuverlässig erkennen, können sie Gegenstände kaum wahrnehmen. Brendel sieht darin ein großes Potenzial: „Maschinen können komplexe Probleme lösen, obwohl sie unsere Welt noch nicht so richtig verstanden haben. Wenn wir das erreicht haben, gibt es ganz neue Möglichkeiten in der Forschung. Wir stehen da noch ganz am Anfang.“
Im letzten Vortrag sprach Physikerin Caterina De Bacco im einzigen englischen Vortrag des Abends über menschliche Interaktionen und Netzwerke, die mithilfe von mathematischen Modellen dargestellt werden können. In der abschließenden Diskussion kam das Gespräch auf die Ansiedlung von großen Industrieunternehmen in Tübingen in Verbindung mit dem Cyber Valley. Diese Themen wurden bereits in den letzten Monaten viel in Tübingen diskutiert (wir berichteten). Kritisiert wurde unter anderem, dass sich Unternehmen wie Amazon an die Forschung der Universität andocken könnten. Die anwesenden Wissenschaftler stimmten überein, dass Forschung an der Universität zwar Förderung brauche, aber so unabhängig wie möglich von großen Unternehmen bleiben sollte.
Fast alle Diskussionspunkte drehten sich um die Ethik in der Forschung rund um die künstliche Intelligenz. Es wurde gefordert, dass die Forschung von Anfang an ethisch hinterfragt werden müsse. Moderator und Leiter der Science Notes Olaf Kramer vom Seminar für Rhetorik sprach über eine Balance in der Forschung: „Ich glaube, wir brauchen immer ein Gleichgewicht aus kritischem Hinterfragen und dem Mut, Dinge auszuprobieren. Auch beim Internet waren wir lange begeistert von der Freiheit und dann ist man irgendwann weniger euphorisch und es wird mehr Kontrolle gefordert. Es ist einfach wichtig, an diesen Dingen dranzubleiben.“
Fotos: Lisamarie Haas