„Uns ist in alten mæren wunders vil geseit / Von helden lobebæren, von grôzer arebeit.“ So beginnt eines der bekanntesten Werke des Mittelalters, doch das Nibelungenlied hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Wagners „Der Ring der Nibelungen“, Tolkiens „The Legend of Sigurd and Gudrún“, Tarantinos „Django Unchained“ – sie alle verarbeiteten das Heldenepos. Nun hat sich ein Seminarkurs der Universität Tübingen in Form des Theaterstücks „Das Nibelungenlied – Alte mæren neu erzählt“ an den Stoff gewagt, dessen Aufführung am 23. Februar im LTT stattfand.
Der Himmel über Tübingen war grau bedeckt. Es regnet. Der Himmel weinte und für den Kenner der Nibelungensage wirkte das wie eine Vorausdeutung auf das tragische Ende Siegfrieds und der Burgunden. „Von fröuden, hochgezîten, von weinen und von klagen / von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen“, geht es im Epos weiter. Doch ungleich unpassender erschien dieses Wetter für das schauspielerisch und inszenatorisch überzeugende Theaterstück, das dem geneigten Zuschauer in rund anderthalb Stunden das mittelalterliche Versepos eindrucksvoll näher brachte.
Von harmloser Brautwerbung zur Eskalation
Damit auch gar kein Zweifel an dem tragischen Ende aufkommen konnte, beginnt „Das Nibelungenlied“ mit der Vorwegnahme des Schlusses. Die Burgunden und Hunnen liegen erschlagen am Boden, nur der Held Hildebrand (Ulrich Stober) steht noch aufrecht und lenkt das Stück mit den berühmten ersten Worten des Nibelungenlieds auf den eigentlichen Beginn. Doch der erste Teil ist im Kontrast zu diesem Bild eher lustig gehalten. Es wird erzählt, wie Siegfried an den Hof der Burgunden gelangt, nach kurzem Konflikt zum Streiter an des Königs Seite aufsteigt und ihm bei seiner Brautwerbung um Brünhild (Tatjana Voll) hilft, um seine eigene Holde Kriemhild (Katharina Stober) zu erlangen.
Die Komik stützt sich dabei vor allem auf die Darstellung des Wormser Königs Gunther (Lukas Schädler), der zwischen maßloser Selbstüberschätzung und lächerlicher Machtlosigkeit hin und her wechselt. Gernot (Yannick Allgaier) und Giselher (Lukas Häberle) sehen dabei über so manche Schwäche ihres Bruders hinweg. Allein Hagen von Tronje (Eric Lochmann) strahlt, durch seinen bedrohlichen und überlegenen Auftritt, Gefahr aus. Er ist es auch, durch dessen Hand und Intrige Siegfried (Ulrich Stober) letztendlich seinen Tod findet und damit den düsteren zweiten Teil des Stücks einläutet.
Tote im Stroboskoplicht
Umso näher das unausweichliche, weil laut den drei Meerfrauen (Martina Plachetkova, Sanja Ketterer, Myriam Bittner) im Schicksal so geschriebene Ende näher rückt, desto bedrohlicher erscheinen Inszenierung und Dialog. Es geht zu König Etzel (Nina Holzschuh), der inzwischen die rachelüsterne Kriemhild zur Frau genommen hat. In einem durch Stroboskoplicht, Nebel und Musik dramatisierten Endkampf wird wieder das Bild des Anfangs hergestellt: Die Burgunder tot am Boden. Ihr Herrschergeschlecht ist ausgelöscht.
Überzeugend im mittelalterlichen Gewand
Das Stück lebte von seinem reduzierten Bühnenbild und der nur spärlich, an Schlüsselszenen und Szenenübergängen eingesetzten Musik. Dadurch wurde „Das Nibelungenlied“ von der mittelhochdeutschen Sprache und den faszinierenden und stark gezeichneten Figuren getragen. Ob der heldenhaft-naive Siegfried, der hinterlistige Hagen oder die erst liebevolle, dann nach Rache sinnende Kriemhild – die Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiteten überzeugend die prägenden Eigenschaften ihrer Rollen heraus.
Aufgelockert wurde das Ganze durch die von den Studierenden in die Handlung des Nibelungenlieds hinzugedachten Figuren: die beiden Kammerzofen Brünhilds (Ellen Twesten und Johanna Deißler) sowie die Boten Swemmel und Wärbel (Nadja Marx und Laura Kotte). Während die mittelhochdeutschen Dialoge der anderen Figuren den Klang des Mittelalters nach Tübingen brachten, kommentierten und erläuterten diese das Geschehen auf Neuhochdeutsch und sorgten damit für die ein oder andere Erläuterung oder Lacher. Dieser Sprachwechsel gab dem episch klingenden Stück zusätzlich eine gewisse Leichtigkeit und erleichterten auch den Nichtmediävisten das Verständnis.
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