Hört auf, so zu tun, als wäre die Abstimmung im Europäischen Parlament zur Urheberrechtsreform undemokratisch gelaufen. Demokratie bedeutet, dass alle Stimmen gehört werden – nicht, dass man immer das bekommt, was man sich wünscht. Trotzdem können wir aus der Debatte sehr viel lernen. Ein Kommentar.
Zehn vor zwölf war es, als am vergangenen Dienstag die EU-Abgeordneten für eine Reform des Urheberrechts stimmten. Zehn vor zwölf Uhr mittags, wohlgemerkt. Mit 348 zu 274 Stimmen wurde die Richtlinie angenommen. Das Netz ließ die Politik nicht lange warten mit seiner Kritik: Auf Twitter brachten Menschen ihre Enttäuschung und ihre Wut zum Ausdruck. Sie seien ignoriert worden, Brüssel hätte die Meinung des Volkes nicht interessiert, der Prozess oder die Entscheidung selbst sei undemokratisch gewesen.
Sogar die Piratin Julia Reda, selbst Mitglied des EU-Parlaments, erklärte vor der Abstimmung im Plenum: „Eine neue Generation, die dieses Jahr zum ersten Mal zur Europawahl geht, lernt gleich ihre Lektion. Eure Proteste sind nichts wert. Die Politik wird Lügen über euch auskippen und sich von Sachargumenten nicht beeindrucken lassen, wenn es um knallharte geopolitische Interessen geht“. Die Frage bleibt, wie klug diese Botschaft ist. Die EU ist so viel mehr als Artikel 13. Bräuchte es nicht eher ein Signal an junge Menschen, welches sie ermutigt, sich zu beteiligen?
In diesem Kommentar soll es explizit nicht um den Inhalt der EU-Urheberrechtsreform gehen – der spielt ausnahmsweise keine Rolle. Es geht darum, welche Schlüsse wir als junge europäische Öffentlichkeit aus dem gesellschaftlichen Diskurs der letzten Monate ziehen.
Seit September 2016 verhandelten Parlament und Rat bereits über den Vorschlag der Kommission. Gegenstand der öffentlichen Debatte wurde das Thema jedoch erst im Sommer letztes Jahr, nachdem das Parlament sich in der ersten Lesung mehrheitlich gegen und in der zweiten Lesung mehrheitlich für die Reform ausgesprochen hatte. Seitdem haben mehr als 5 Millionen Menschen die „Save the internet“-Petition unterschrieben und zehntausende waren letztes Wochenende in deutschen Städten gegen den umstrittenen Artikel 13, teilweise auch gegen Artikel 11 und 12 demonstrieren. Der Protest hat dazu geführt, dass die Zusammenarbeit der GroKo gekriselt hat, dass alle Leitmedien sich seit Wochen intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, dass eine ganze Generation an jungen Menschen politisiert wurde (und leider auch dazu, dass jemand wie Axel Voss nach Bomben- und Morddrohungen die Polizei einschalten musste).
Wie kann man da noch sagen, der Protest sei wirkungslos gewesen?
Im Gegenteil, der gesammelte Aktivismus der jungen Netzgemeinde führte wohl zur polarisiertesten Debatte über eine EU-Richtlinie seit – ja seit wann eigentlich? Kann man das überhaupt vergleichen?
Die Debatte um die Richtlinie war ein Kampf um Deutungshoheit und um Wahrheitsansprüche. Selten war das Framing so entscheidend für die Auslegung einer zunächst bürokratisch anmutenden Reform. Die eine Seite spricht von Zensur, vom Filtern und sogar vom Ende des Internets. Die andere Seite erklärt, es gehe um faire Regeln, um das Aufbrechen von Machtmonopolen und vor allem um eine Stärkung der UrheberInnen und der Kreativen.
In Brüssel stimmte das EU-Parlament über die Urheberrechtsreform ab.
Idiotische Bemerkungen, Populismus und Grenzüberschreitungen gab es auf beiden Seiten der Debatte. Die Kommission, zum Beispiel, hat die KritikerInnen der Reform in einem Blogartikel als „Mob“ bezeichnet. Mittlerweile ist der Artikel einer öffentlichen Entschuldigung gewichen. CDU-Abgeordnete sprachen wiederholt von Bots oder gekauften Demonstranten. Die Gegenseite aber schürte Ängste, reduzierte das Thema Urheberrecht auf „Artikel 13“ oder sogar nur auf „Uploadfilter“, ohne die in der Richtlinie festgelegten Ausnahmen oder den Maßstab der Verhältnismäßigkeit (Artikel 13, 4a) zu diskutieren.
5 Millionen Unterschriften sind viel – aber verglichen mit den 500 BürgerInnen der EU eben doch nur ein Bruchteil. Und sie kamen sehr spät, zu einem Zeitpunkt, an dem schon sehr viel legislative Arbeit in den Entwurf geflossen war. Es gibt wohl kaum Bewegungen, die innerhalb von weniger als einem Jahr die Ablehnung eines geplanten Gesetzes erreicht haben. Wir leben nun einmal in einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie, in der Parteien Hauptakteure politischen Handelns sind. Alle Abgeordnete im Europäischen Parlament sind demokratisch legitimiert und im Zweifelfall nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet (und das war schon immer so, nicht nur beim Thema Copyright). Wiederwählen müssen wir sie nicht, aber wenn wir diese Tatsache nicht akzeptieren, sprechen wir damit MitbürgerInnen ihre Mündigkeit ab.
Hier stattdessen ein Versuch, konstruktiven Schlussfolgerungen aus der Urheberrechts-Debatte zu ziehen:
- Deutschland ≠ Europa
Das haben selbst manche deutschen Mitglieder des EU-Parlaments immer noch nicht verstanden. Die Debatte um Artikel 13 war im Kern eine deutsche Debatte – in keinem anderen Land wurden junge Menschen auch nur ansatzweise gleich viel mobilisiert. Wenn wir das ändern möchten, dann bedeutet das auch:
- Wir brauchen eine stärkere europäische Öffentlichkeit.
Immer noch nutzen nationale PolitikerInnen europäische Themen nur für landesinterne, strategische Positionierungen. Wenn wir wirklich etwas in Europa verändern wollen, dann müssen sich AktivistInnen stärker vernetzen, Medienhäuser müssen sich über ihre Berichterstattung austauschen und vielleicht wäre dann sogar mal eine Talkshow mit Gästen aus ganz Europa denkbar, nicht nur mit Deutschen.
- Achtung vor der Twitter-Blase!
In den Kreisen, in denen wir uns bewegen, gab es vermutlich vor allem Widerstand zur geplanten Reform. Aber Twitter und auch YouTube sind eben doch kein Spiegel der Gesellschaft, und das muss man sich immer wieder bewusst werden. Gerade die kleinen BefürworterInnen der Reform waren sehr leise auf diesen Plattformen.
- Lobbyismus gehört dazu – aber bitte transparent!
Es ist ein Fortschritt, dass das Parlament sich Ende Januar für mehr Lobby-Transparenz entschieden hat. Lobbyismus gehört zur Demokratie dazu, und die Vertreter der SavetheInternet-Kampagne zählen genauso als Lobbyisten wie der Verein europäischer Journalisten, die GEMA oder Google. Ein Problem entsteht, wenn die Bevölkerung nicht erfährt, wer mit wem gesprochen hat oder wenn PolitikerInnen sich nur mit bestimmten Interessensvertretungen treffen und andere ignorieren.
- Das Trilog-Verfahren ist verbesserungsfähig.
Der Trilog, also eine Verhandlung zwischen Parlament und Rat, moderiert von der Kommission findet dann statt, wenn sich die beiden ersteren Parteien auch nach zwei Lesungen nicht auf einen Kompromiss einigen konnten. Dieser Trilog passiert, ähnlich wie Kabinettssitzungen im Bundestag, in einem kleinen Kreis von VertreterInnen. Erst zum Schluss werden die Ergebnisse öffentlich gemacht, so auch im Falle der Copyright-Reform. Mehr Transparenz würde das Vertrauen der BürgerInnen in das Verfahren sicherlich stärken.
- Gesetze sind komplex, Richtlinien sind komplexer.
Bei der Reform des Urheberrechts handelt es sich um eine Richtlinie, keine Verordnung. Der Unterschied ist, dass eine Verordnung automatisch Bestandteil der nationalen Rechtsordnung wird, während eine Richtlinie Ziele vorgibt, die Mitgliedsstaaten in eigene Gesetze übertragen müssen. Dafür bleiben jetzt zwei Jahre. Trotzdem gibt es dafür von der Kommission noch genaue Anweisungen, wie einzelne Artikel und Erwägungen zu verstehen sind. Dass es bei der Copyright-Richtlinie noch Interpretationsspielraum gibt, ist nichts außergewöhnliches, sondern normal im europäischen Gesetzgebungsprozess. Selbst bei der Datenschutzgrundverordnung herrschen bis heute Unklarheiten.
- Nachhaltiger Protest ist das Ziel.
Aktivismus ist wichtig, aber eben nur ein Teil einer demokratischen Öffentlichkeit und es gibt gute Gründe, warum nicht alle Themen per Petition oder Volksabstimmung entschieden werden sollten (#Brexit). Wer nachhaltig Netz- oder Kulturpolitik betreiben möchte, der hat in den letzten Monaten schon sehr erfolgreiches Agenda-Setting geleistet. Trotzdem hilft es, Engagement zu institutionalisieren z.B. in Form von Vereinen, Verbänden, NGOs oder eben als Parteimitglied.
- Hass und Beleidigungen vergiften jede Debatte.
Leider sind soziale Medien sehr anfällig dafür, Öffentlichkeiten für Aussagen zu schaffen, die eigentlich lieber nur gedacht, nicht aber getippt und veröffentlicht hätten werden sollen. Harsche Kritik ist o.k.; PolitikerInnen entmenschlichen oder aber Demonstrierende als gekauft darzustellen ist es eindeutig nicht. Hier gilt: Eine Debatte ist nur so konstruktiv wie ihr gemeinster Kommentar.
Immerhin: Seit kurzem werden Stimmen laut, die nicht über Politikverdrossenheit, sondern über die EU-Wahlen im Mai sprechen. Und auch Julia Reda postete am Mittwoch: „#GehtWaehlen ist die richtige Antwort auf die Artikel-13-Abstimmung.“ Von daher: Geht wählen! Artikel 13 ist nicht das Ende der Demokratie, aber hoffentlich ein Weckruf und Mahnmal für eine konstruktivere Debattenkultur, die einfachen Wahrheiten und Schwarz-Weiß-Malerei trotzt.
#savethedialogue
Fotos: Clara Thier
„Lobbyismus gehört zur Demokratie dazu, und die Vertreter der SavetheInternet-Kampagne zählen genauso als Lobbyisten wie der Verein europäischer Journalisten, die GEMA oder Google.“
Klar gehört Lobbyismus irgendwie dazu, aber hier geht es um bezahlte Politiker, eine Geschäftsabwicklung mit Verlegern und einen handel der Gaspipline mit den Franzosen!
Gegner von Artikel 13 wurden nur dafür aufgerufen bzw. darüber aufmerksam gemacht etwas gegen diese Reform zu tun, sie wurden aber nicht dafür bezahlt!
Bezahlt wurden die Poltiker und das ist extremer Lobbyismus, der nicht zu tolerieren ist, wenn jeder von denen seinen Preis hat, was hat das dann mit Demokratie zu tun?