Der zweite Abend der Veranstaltung „Hesse reloaded…“ zeigte uns Hesse als Lauscher, den kotzenden Goethe, die Bernoullischen Zahlen und bunte Hosen. Es gab Gedichte, die einen zum Lachen bringen, Erzählungen, die nachdenklich machen und Musik, durch die man Hesses Gedankenwelt ein Stückchen näher kommt.
von Nina Wittmann
„Schluck um Schluck ersauf‘ ich ein Stück blauen Poetenhimmel.“ Ganz in schwarz sitzt Sara Hauser da und liest diesen Satz aus Hesses Erzählung „Novembernacht“ vor. Der Text, unter dem Pseudonym Hermann Lauscher verfasst, berichtet von Hesses Tübinger Erinnerungen. Ein perfekter Einstieg in diesen Abend. Langsam kommen wir ihm näher, dem Literaturnobelpreisträger. Wir sehen seinen Wunsch etwas zu hinterlassen und gleichzeitig die Angst die Chance zu vergeben. Eine prägende Zeit hat Hesse hier in Tübingen erlebt.
So anscheinend auch Dr. Keith Armstrong, der einige seiner Gedichte über Hesse und vor allem auch über Tübingen vortrug. Etwas melancholisch wurde es, als er, um Hesse zu beschreiben, Oscar Wilde zitierte und sagte: „We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars.“. Doch Armstrong brachte den Zuhörer auch zum Schmunzeln, indem er von feucht-fröhlichen Abenden vergangener Zeiten im Boulanger erzählte und den berühmten Satz „Hier kotzte Goethe“ („Goethe puked here“)zitierte. Zwischen den Gedichten versetzte Peter Weiß den Zuhörer mit seinem Akkordeon an fantastische Orte. Die Musik vertiefte die Wirkung der Dichtkunst und die spontane Assoziation führte einen nach Frankreich, Paris und in den Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“. Was zunächst abwegig erscheint, mag in der Melancholie, die der Film und Hesses Gedankenwelt gemein haben, letztlich doch passen.
Auf jeden Fall war sich der Zuschauer am Ende beinahe sicher, dass es eine mysteriöse Verbindung zwischen dem Leben Hesses und dem von Herrn Weiß geben muss
Den humoristischen Höhepunkt bildete dann Peter Weiß mit seinem eigenen Auftritt. Es ging um Zahlen und Zufälle. Und Zahlenzufälle. Auf jeden Fall war sich der Zuschauer am Ende beinahe sicher, dass es eine mysteriöse Verbindung zwischen dem Leben Hesses und dem von Herrn Weiß geben muss. Peter Weiß begleitete sich selbst auf dem Klavier. Er verwandelte Zahlen in Buchstaben, diese in Töne und schuf somit eine „Hermann-Hesse-Melodie“. Die Begeisterung für Zahlen hat sich er sich noch aus seinem (abgebrochenen) Mathematikstudium erhalten. Hellhörig wurde er schon beim Namen von Hesses erster Frau Maria Bernoulli. Ja, sie gehört zu der Familie von Jakob Bernoulli, der die Bernoullischen Zahlen untersuchte. Für alle Nicht-Mathematiker empfiehlt sich hier Wikipedia. Oder man bestaunt, wie Peter Weiß daraufhin feststellt, dass Hermann Hesses Initialen H.H. sind, welche als Ziffern die Zahl 88 darstellen und -siehe da!- seine eigene Telefonnummer ist durch 88 teilbar! Ja, auch auf andere Assoziationen wurde kurz eingegangen, doch soll das nicht die Außerordentlichkeit dieses verblüffenden Zusammenhangs schmälern. Weitere Zahlenakrobatik, die sich aus Lebensdaten Hermann Hesses herleitete, ergab schließlich das Jahr, in dem „Peter und der Wolf“ geschrieben wurde. Peter und der Steppenwolf also. Diese geniale Komposition aus Musik, Mathematik und Humor stieß beim Publikum auf große Begeisterung. Hesses Leben wurde einem hier auf spielerische Art und Weise näher gebracht.
Die literarische Kunstfertigkeit von Florian Neuner, ließ einen zusammen mit Harry Haller und Hermann Lauscher am Tisch sitzen und die Gespräche gebannt verfolgen
Florian Neuner, ein Student aus Tübingen, führte uns mit enormer sprachlicher Gewandheit Hesses Seelenleben vor Augen. Er las selbstgeschriebene Prosa vor, ließ Hermann Lauscher in Tübingen mit Harry Haller sprechen und zeigte uns so die zahlreichen Facetten in Hesses Seelenleben – Sein Gefühl erst durch das Schreiben überhaupt zu existieren und gleichzeitig etwas für die Nachwelt zu hinterlassen. Die literarische Kunstfertigkeit von Florian Neuner, ließ das Publikum zusammen mit Haller und Lauscher am Tisch sitzen und die Gespräche gebannt verfolgen.
Den Abschluss bildete eine musikalische Darbietung der drei Tübinger Studenten Jörg Schwartz, Andreas Meiwes und Gregor Kübler. Die drei harmonierten nicht nur musikalisch perfekt miteinander, sondern ergänzten sich auch modisch ideal: jeder trug zu einem schwarzen Hemd eine andersfarbige, bunte Hose. Nach einem mitreißenden und facettenreichen Geigensolo von Jörg Schwartz, spielten die drei zusammen ein Stück von Schubert. Die Musik war auch für Hesse ein wichtiger Bestandteil seines Lebens und ein Mittel zur Selbsterkenntnis.
Der Abend bot eine perfekte Möglichkeit sich Hesse emotional zu nähern und sein Wesen besser zu verstehen. Vielleicht geht der ein oder andere Besucher demnächst ein Bier im Boulanger trinken und findet seinen ganz eigenen Zugang zu Hesses Werken.