Auf dem Bundesparteitag der SPD am letzten Wochenende haben sich die Sozialdemokrat*innen eine neue Führungsspitze gewählt: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans übernehmen den Parteivorsitz. Wir haben Laura Winter, die stellvertretende Kreisvorsitzende der Jusos in Tübingen getroffen, um mit ihr über Spitznamen, den speziellen Wahlmodus und die Strategie der SPD zu sprechen.
Kupferblau: Laura, seit diesem Wochenende hat die SPD eine neue Parteispitze: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die sich mit 53,1 Prozent gegen das Kandidatenpaar Scholz/Geywitz durchgesetzt haben. Jetzt mal ganz ehrlich: Wie nennt Ihr Norbert Walter-Borjans intern?
Laura: NoWaBo
Kupferblau: Nicht Nobby oder Norbert?
Laura: (lacht) Nein NoWaBo
Kupferblau: Welches Kandidatenpaar habt ihr als Tübinger Jusos unterstützt?
Laura: Als Tübinger Jusos haben wir nicht eine einzige Meinung vertreten, weil wir viele verschiedene Ansichten bei uns haben, was so auch schön ist. Aber die Mehrheit war, glaube ich, doch eher für Geywitz/Scholz, als für NoWaBo/Esken. Das spielt aber jetzt überhaupt keine Rolle mehr, wir stehen trotzdem voll hinter NoWaBo/Esken. Das ist eine ganz große Chance und wir freuen uns auf das was kommt.
Kupferblau: Trotzdem hatte die Urwahl nur eine Wahlbeteiligung von 54,1 Prozent. Wie kannst Du Dir erklären, dass bei einem so langen Verfahren zum Finden einer Parteispitze nur so wenig Wahlbeteiligung erreicht wurde?
Laura: Ich glaube, dass viele Leute den Sinn dahinter nicht sehen und denken, dass ihre Stimme vielleicht nichts zählt. Das ist schade, weil dafür solche Verfahren überhaupt da sind: Um Jeder und Jedem eine Stimme zu geben. Ich hoffe, dass es jetzt wieder ein bisschen mehr Aufschwung gibt.
Kupferblau: Jan Böhmermann hatte sich auch ins Rennen um den Parteivorsitz eingeschaltet. Wie habt ihr seine Bewerbung wahrgenommen?
Laura: (lacht) Das war tatsächlich nie so ein großes Thema. Ganz lustig, aber man hat sich dann doch eher auf die beiden Wahlgänge fokussiert und hat sich damit auseinandergesetzt. Wir hatten zum Beispiel Public Viewings im Cafe Haag mit anschließender Diskussion.
Kupferblau: Hältst du es eigentlich für sinnvoll, dass die SPD jetzt wie die Grünen oder die Linken auch eine Doppelspitze im Parteivorstand haben?
Laura: Ja, ich finde es auch zeitgemäß. Es ist total wichtig, dass man Aufgaben noch mehr verteilt und dass mehrere Leute beteiligt sind.
„Ich glaube nicht, dass es so nachhaltig wäre, jetzt radikal da durchzupreschen“
Kupferblau: Das Kandidatenpaar NoWaBo und ich sage jetzt mal SaEs…
Laura: …das ist aber keine schöne Abkürzung!
Kupferblau: … galt ja vor der Wahl eigentlich eher als erklärter Gegner der GroKo. Und hat eigentlich auch immer wieder in Aussicht gestellt, dass sie die GroKo aufkündigen wollen. Im Leitantrag, der bei dem Bundesparteitag besprochen wurde, war davon aber nichts mehr zu lesen. Was würdest du sagen: Brechen die Beiden jetzt schon ihr Wort?
Laura: Ich glaube, so einfach kann man sich das nicht machen, das zu sagen. Ich meine, der Bundesparteitag ist nicht einmal eine Woche her, ich glaube nicht, dass es so nachhaltig wäre jetzt radikal da durchzupreschen. Es ist wichtig, dass man die gesamte Partei mit einbezieht, gerade bei so einer wichtigen Entscheidung. Und am Ende hängt das nicht nur an zwei Leuten, sondern das ist eine Frage des großen Ganzen.
Kupferblau: Ein besonders bedeutender Teil der SPD im Vergleich zu anderen Parteien sind die Jusos, die eine relativ starke Stimme haben. Die Juso HSG in Tübingen hat vor 6 Monaten in einem offenen Brief an der Seite von Kevin Kühnert das Ende der GroKo gefordert. Habt Ihr Eure Meinung geändert?
Laura: Ich finde das immer schwierig: Es zählt die Stimme jeder und jedes Einzelnen und dann ist es schwierig zu sagen, das sei eine einheitliche Entscheidung. Es gibt auch in der HSG Stimmen, die die GroKo nicht schlecht finden. Aber ich denke nicht, dass sich die Grundstimmung geändert hat, dass man die GroKo verlassen sollte – wenn es sinnvoll ist. Ganz wichtig ist, dass der Nutzen für die Gesellschaft da im Vordergrund steht.
Kupferblau: Kevin Kühnert ist mittlerweile stellvertretender Parteivorsitzender. Er ist ja doch eine sehr polarisierende Persönlichkeit, auch in der SPD. Denkst du, man hat ihn in den Parteivorstand gelassen, um ihn zu zähmen?
Laura: Du meinst, ob man ihn an Bord geholt hat, um ihn zu entschärfen? Das denke ich nicht. Er ist eine sehr wichtige Stimme, eine sehr wichtige Persönlichkeit und eine treibende Kraft. Ich finde es ist gut, dass man ihm die Chance gegeben hat, da mitzuwirken.
Kupferblau: Büßt er jetzt nicht diese Stellung als Oppositioneller ein Stück weit in der Partei ein, als Sprecher der jungen Wilden?
Laura: Man muss das trennen: SPD und Jusos sind nicht das Gleiche. Seine Position als Juso-Vorsitzender ist eine ganz andere als die des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden.
Kupferblau: Ich habe noch eine Statistik: 68 Prozent der Deutschen sind nicht zufrieden mit der Regierung in Deutschland. Nach Informationen der Bertelsmann Stiftung hat die GroKo aber schon jetzt 60 % ihrer Ziele umgesetzt oder angefangen diese umzusetzen. Wie passt das zusammen?
Laura: Es ist in der Politik normal, dass du Kompromisse finden musst, gerade bei Koalitionsregierungen. Ich glaube, dass viele Leute gefrustet sind von der Koalition, eine grundlegende Unzufriedenheit mitbringen und den Blick dafür verlieren, was eigentlich geleistet wurde.
Kupferblau: Besonders hohe Unzufriedenheit gab’s vor allem bei der Klimapolitik und bei der Digitalisierung, aber auch bei solchen Themen, die eigentlich eher die Kernthemen der SPD sind, also bezahlbarer Wohnraum, Rentenpolitik, Sozialpolitik…
Laura: …aber da passiert gerade auch sehr viel. Gerade jetzt, nach dem Parteitag mit der Abkehr von Hartz IV, der Kindergrundsicherung und dem Sozialstaatspapier. Es ist ein ganz großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Kupferblau: Würdest du sagen, dass es genau solche Dinge sind, die jetzt NoWaBo und Saskia Esken leisten müssen, damit sich etwas ändert, bei dieser Unzufriedenheit?
Laura: Das sind Themen, die man nach außen tragen muss – die man laut nach außen tragen muss – weil es Themen sind, die die Situation von allen verbessern, denen es aktuell eben nicht so gut geht. Ich finde es toll, dass da so viele gute Ideen dabei sind. Die gilt es jetzt umzusetzen, zu kommunizieren, dass sie umgesetzt wurden und auch von wem sie umgesetzt wurden.
„Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir die GroKo verlassen und lieber für unsere Ideale einstehen“
Kupferblau: Vielleicht, die Gretchenfrage: Denkst du, dass die SPD sich mit dieser „Schwarzen Null“ Politik und einem hart kritisierten, umstrittenen Klimapaket überhaupt in der GroKo erneuern kann?
Laura: Also möchtest du darauf hinaus, dass ich sage Ja GroKo, oder Nein GroKo?
Kupferblau: (lacht) Ja
Laura: Da kann ich nur für mich persönlich sprechen, weder für die HSG noch für die Kreisjusos. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir die GroKo verlassen und lieber für unsere Ideale einstehen, gegebenenfalls auch nicht mehr regieren. Aber authentisch nicht regieren.
Kupferblau: Auf einer Skala von 1 bis Schulz-Zug: Wie optimistisch siehst du die Zukunft der SPD und der zwei Parteivorsitzenden?
Laura: (lacht) Ich glaube, das muss man auch wieder trennen. Bei den Parteivorsitzenden würde ich eine vorsichtige Fünf geben, weil ich mir eigentlich andere gewünscht hätte. Dass sie aber eine andere Richtung einschlagen, motiviert aber glaube ich auch andere oder mehr Leute, wieder mitzumachen und bringt vielleicht frischen Wind. Bei der Zukunft der SPD würde ich vielleicht eine 6 geben.
Vielen Dank für das Interview!
Titelbild: Stefanie Bacher