„Als hätte Kafka eine Komödie geschrieben“, ruft Mortimer verzweifelt aus. Ein treffender Vergleich nicht nur für seine eigene missliche Lage, sondern auch für die Kriminalkomödie „Arsen und Spitzenhäubchen“, die diesen Freitag im Landestheater Tübingen ihre Premiere feierte. Regisseur Alexander Marusch beantwortet die Frage, was passieren würde, wenn die Addams-Family in einer Wohnung der 50er Jahre leben würde.
Das Stück beginnt mit einer Leiche auf der Bühne. Ein weiterer Dauergast im Hause Brewster, der in den Genuss des selbstgemachten Holunderweins von Abby und Martha (Franziska Beyer, Hildegard Maier) gekommen ist – auf vier Liter Wein ein Teelöffel Arsen, etwas Strychnin und Zyankali. Zunächst traut man den beiden älteren Damen kaum zu, gewissenlose Mörder zu sein, bis sie darüber zu diskutieren beginnen, ob dies nun der elfte oder zwölfte Gentleman sei, den sie im Keller bestatten würden.
Gräber im Keller ausheben
Mit ihnen unter einem Dach wohnen ihre beiden Neffen, der Theaterkritiker Mortimer (Lukas Umluft) und sein Bruder Teddy (Daniel Tille), der sich für Präsident Roosevelt hält. Durch seine Angewohnheit, im Keller regelmäßig den Panamakanal auszuheben – ein Loch in Form und Größe eines Grabes – macht er es den beiden Giftmörderinnen einfach, ihre Opfer zu entsorgen.
Slapstick und Kniefetisch
Die fragwürdige Harmonie wird gestört, als Mortimer schließlich eine der Leichen entdeckt. Gerade noch mit seiner Verlobung mit der Pfarrerstochter Elaine (Carolin Schupa) beschäftigt, befindet er sich plötzlich im Zentrum der Geschehnisse. Dass unerwartet auch noch sein lange verschollener Bruder Jonathan (Patrick Schnicke) mit einer weiteren Leiche auftaucht, macht für ihn die Sache nicht unbedingt leichter. Begleitet wird dieser von Dr. Einstein (Michael Ruchter), ein plastischer Chirurg mit ausgeprägtem Kniefetisch, der Jonathan auf seiner Flucht vor der Polizei immer wieder zu einem neuen Aussehen verhilft.
Lieblingsfigur des Dramaturgen Lars Helmer ist, trotz der schillernden Charaktere aus dem Hause Brewster, die vergleichsweise unschuldige Elaine: „Am Anfang fanden wir sie eigentlich recht langweilig. Wir haben uns dann dazu entschlossen, dass sie im Öffentlichen die brave Tochter ist, aber mit Mortimer allein zu einem richtigen Vamp wird.“
Geisteskrank: Gift in „Mäusebutter“
Schwarzer Humor und klassischer Slapstick: Mit Arsen und Spitzenhäubchen setzt das Landestheater Tübingen (LTT) seine Reihe der Kriminalkomödien nach dem Erfolg von 39 Stufen fort. Bühnenbild, Lichteffekte und das überzogene Schauspiel der Akteure erinnern an eine Sitcom aus den 60er-Jahren.
Dabei sind die Charaktere Abby und Martha Brewster von tatsächlichen Ereignissen inspiriert. Das sogenannte Münchhausen-Stellvertretersyndrom ist eine seltene, dafür aber umso gefährlichere geistige Erkrankung, bei der meist ältere Damen ihre eigenen Patienten erschaffen. Eine der ersten dokumentierten Fälle ist Gesche Gottfried, die 1831 für den Mord an ihrer Familie hingerichtet wurde. Mit von Arsen vergifteter „Mäusebutter“ pflegte sie über 30 Menschen in ihre Gräber.
Bowle ohne Beigeschmack
Insgesamt fiel die Resonanz größtenteils positiv aus. Dem Charme des überdrehten Mordspektakels konnten sich auch jene nicht entziehen, die vorher skeptisch in die Vorstellung gegangen sind.
„Mir hat der schwarze Humor gefallen. Richtig überzeugend“, so Julia Hofstätter, die mit ihrer Mutter die Vorstellung besuchte. Auf der anderen Seite gab es aber auch Kritik. „Mortimer war zwar gut gespielt, aber insgesamt war es mir zu viel Klamauk“, meinte hingegen Johann Theisden.
Nach dem Stück gab es dann anstatt Holunderwein noch Bowle, um den Erfolg der Premiere zu feiern. Auch die nächsten Vorstellungen sind bereits so gut wie ausverkauft. Wer sich für das Stück interessiert, kann sich auf der Webseite des LTTs www.landestheater-tuebingen.de Karten reservieren. Die Kriminalkomödie wird noch die gesamte Spielzeit aufgeführt.
Fotos: Sigmund / LTT