Wut als Weltmacht

Im Rahmen der 14. Tübinger Mediendozentur sprach Journalist Georg Mascolo über Fake-News und deren mögliche Folgen. Der Wahlhamburger zeigte aber auch Lösungsansätze auf.

Angela Merkel ist nicht in Hamburg geboren und auch nicht in der DDR aufgewachsen. Eine Person in ihrem engsten Umfeld ist in ein schweres Verbrechen verwickelt gewesen, aber dieser Fakt wird verschleiert. Anstatt den IS zu bekämpfen, ist sie in Wirklichkeit eine Mitbegründerin der islamistischen Terrormiliz. Und das Internet bestätigt all dies.

Jene Aussagen, räumte Mascolo schnell ein, entbehrten jeder realen Basis. Eindrücklich vermittelte er den Gästen im Festsaal der Neuen Aula so aber, wie Fake-News und absichtlich verbreitete Unwahrheiten die Gesellschaft und die ihr zugrundeliegenden Mechanismen treffen können. Für sein plakatives Beispiel hatte der renommierte Journalist lediglich die Namen der betroffenen Person verändert – eben diese Anschuldigungen waren in den USA bereits gegenüber Barack Obama und anderen Politikern vor Wahlen geäußert worden. Undenkbar in Deutschland? Im September steht eine Bundestagswahl an, und auch in unserem Land sind viele Menschen frustriert oder wütend.

„Wir beginnen zu verteidigen, was uns etwas bedeutet.“

Eine zu hohe Dosis an alternativen Fakten, so Mascolo, könne zum Ermüdungsbruch der Demokratie führen. In einer Zeit, in der sich Lügen so schnell verbreiten wie Recherchiertes, ist die Verteidigung gemeinsamer Werte eine große, aber lösbare Aufgabe. Der frühere Chefredakteur des Spiegel gab sich dabei optimistisch, dass die Gesellschaft diese Herausforderung meistern könne.

Janusgesicht Internet

Sympathisch und mit Witz analysiert er die aktuelle Situation in Bezug auf das Internet, wagt aber auch einen Blick zurück in die Tage der „Netzeuphorie“. Damals hatte das Internet gemeinhin noch als Werkzeug der Emanzipation des Einzelnen und der eigenen Mündigkeit gegolten.

Mascolo zog wie zahlreiche seiner Vorredner ein großes Publikum in den Festsaal der Neuen Aula.

Diese Rolle erfülle es auch heute noch, allerdings habe sich sein Charakter verändert. Nicht unbedingt zum besseren. Denn laut dem von Mascolo zitierten Timothy Ash sei das Internet auch „die größte Kloake der Welt“. Die freie Meinungsäußerung sei eines der größten Güter überhaupt, hielt Mascolo in diesem Zusammenhang fest. Den Mittelweg zwischen möglicher Regulierung und Meinungsfreiheit zu finden, scheine angesichts der heutigen Aufgabenstellungen aber enorm schwierig.

Er mahnt deshalb auch zu Trennschärfe. Die Debatte über das Thema der „Fake-News“ könne schnell der inflationären Nutzung dieses Wortes zum Opfer fallen. Man solle nicht jede kleine Lüge oder harmlose Falschmeldung unter diesem Begriff einordnen. Vielmehr gelte es, gezielte Verbreitung falscher Informationen und bewusste Lügen, in der Absicht etwas bestimmtes zu erreichen, als solche „Fake-News“ zu bezeichnen.

„Wir sind nicht die vierte Gewalt, das wäre eine ziemliche Anmaßung“

Mascolo machte auch auf mögliche Lösungen aufmerksam. Eine erhöhte Wertschätzung der journalistischen Arbeit und die Bereitschaft, wieder für Informationen zu bezahlen, stellten demnach einen möglichen Baustein dar. Anstatt kostenlose Angebote zu nutzen, könne der Einzelne beispielsweise durch den Kauf von Tageszeitungen im Kampf gegen die falschen Nachrichten mitwirken.

Auch Journalisten sind nicht unfehlbar, gestand der frühere Spiegel-Chefredakteur.

Er zeigte sich aber auch angenehm selbstkritisch und nahm ebenfalls den Journalismus in die Pflicht. Demut sei in dieser Branche eine wichtige Eigenschaft. Oft genug scheine die heute aber zu fehlen, wie er an verschiedenen Beispielen illustriert. Auch die Größe, eigene Fehler einzugestehen, sei gefragt. Er selbst machte sich dabei nicht von Fehlern in der Vergangenheit frei. Zu oft habe er besseren Wissens anders gehandelt.

Von Geduld und Wahrheit

Als weiteren Faktor in der aktuellen Problematik identifizierte Mascolo die stets fortschreitende Beschleunigung, die auch den Journalismus immer mehr erfasse. Dieser müsse sich die publizistische Arbeit aber wieder entziehen, wenn sie wieder erfolgreich sein wolle, wenn es nach ihm ginge. Für Wahrheit sei deshalb Geduld nötig. Am Ende seiner Rede formuliert der Leiter des Rechercheverbandes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung noch die aus seiner Sicht größte Herausforderung unserer Tage. Man müsse der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen, auch wenn es mühsam sei und lange dauern würde. Besonders, wenn es um eine große und gefährliche Lüge gehe. Aber es besteht Hoffnung. Denn, so Mascolo:

„Es ist keine einfache Zeit, aber es ist unsere Zeit“

Fotos: Paul Mehnert

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