„Ich übernachtete auf einer Bank am Neckarufer“

Rund 3000 junge Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen rund um den Globus „verschlägt“ es Jahr für Jahr nach Tübingen – als internationale Studierende. Zeit, einmal genauer nachzufragen: Wie fühlen sie sich in der Stadt und an der Uni? Was haben sie Spannendes aus ihren Heimatländern zu erzählen?

kupferblau sprach mit fünf Studenten von fünf Kontinenten über Küsse auf offener Straße, Übernachtungen am Neckarufer und Safari in Nordkamerun.

Von Rena Föhr

kupferblau: Hazim, Guido, Lizzie, Maxim und James – aus allen Teilen der Welt seid ihr vor einiger Zeit nach Deutschland gekommen. Denkt einmal zurück an den Tag eurer Ankunft. Was war euer erster Gedanke, euer intensivster Eindruck?

Hazim, Maxim, Lizzie, Guido: ‚Die Straßen sind so sauber!‘

Maxim: Mein erster Gedanke über Tübingen war: ‚Eine hübsche kleine Stadt!‘ Der Blick von der Neckarbrücke gefiel mir besonders.

Hazim: Ich war begeistert vom deutschen Straßen- und U-Bahn-System, denn in Damaskus ist das einzige öffentliche Nahverkehrsmittel der Bus und es gibt oft Staus und Verkehrschaos. Außerdem war es für mich ganz komisch, als ich zum ersten Mal ein Paar sah, das sich in der Öffentlichkeit küsste. In meiner Heimat sieht man die Menschen höchstens Händchen halten.

Lizzie: Ich habe Tübingens historische Altstadt und die alten Fachwerkhäuser bewundert, denn in Amerika sieht man so etwas nur selten.

James: Tübingen wirkte wie ausgestorben, aber ein Deutscher beruhigte mich, dass es ab Oktober viel lebendiger würde, wenn die Studenten zurückkehrten – und so war es zum Glück dann auch.

kupferblau: Inwiefern unterscheidet sich die Studiumsstruktur in Tübingen zu der an eurer Heimatuni? Was könnten sich die Universitäten voneinander abschauen?

Maxim: Die Unis in Kamerun sind chaotisch: Überfüllte Hörsäle, nur teilweise Internetzugang. In Deutschland sind die Studienbedingungen wesentlich besser.

Hazim: Das Studium in Deutschland ist anspruchsvoller und aufwändiger. Das heißt aber auch, dass ich viele Dinge lernen muss, die ich im Beruf vermutlich nie mehr brauche. Womöglich ist das in Syrien genau so, aber in der Muttersprache merkt man das nicht so stark wie in einer Fremdsprache.

Lizzie: An der deutschen Uni muss man mehr Referate halten, in den USA Texte schreiben. Ich finde es hier zwar angenehm, nicht dauernd Texte verfassen zu müssen, aber ich vermisse Feedback von den Dozenten. Toll finde ich, dass man hier häufig in der Gruppe arbeitet – das hilft, neue Freunde zu finden.

James: In Tübingen muss man nur 600 Euro Studiengebühren pro Semester zahlen, in Australien kostest ein Studium mehr. Ich habe auch den Eindruck, dass deutsche Studenten einfach auswählen, was sie studieren wollen, und ich finde diese Freiheit toll.

Kupferblau: Euer lustigstes, schrecklichstes oder einfach schönstes Erlebnis hierzulande?

Hazim: Bei meiner Ankunft in Tübingen war es schon ein Uhr morgens, wegen einer Demonstration in Stuttgart hatte ich keinen früheren Zug bekommen. Als ich endlich in der Jugendherberge ankam, war dort schon geschlossen! Ich kannte niemanden und hatte keine Ahnung, wo ich hingehen sollte. Also legte ich mich auf eine Bank am Neckarufer und übernachtete dort. Zum Glück war Sommer…

Maxim: Am Anfang wohnte ich bei meinem Bruder. Ich benutzte sein Duschgel und cremte mich, so dachte ich zumindest, mit seiner Bodylotion ein. Trotzdem wurde meine Haut nach einigen Tagen sehr trocken und juckte. Als ich meinen Bruder um Rat fragte, erklärte er mir, dass ich mich mit Seife „eingecremt“ hatte…

Lizzie: Ich musste meine Zimmerschlüssel vor 16 Uhr abholen. Doch manche Buslinien fuhren im September nicht, ich verirrte mich und lief mit meinen ganzen Koffern zu den verschiedensten Orten in Tübingen. Ich wurde immer verzweifelter, und es war schon nach 16 Uhr, als ich mich schließlich völlig erschöpft auf den Gehsteig setzte und weinte. Aber dann passierte etwas Wunderbares: Eine Frau sprach mich an und fragte, ob sie mir helfen könne. Zusammen holten wir meine Schlüssel ab, danach ging sie mit mir im Supermarkt einkaufen und gab mir für weitere Fragen und Probleme ihre Handynummer. Da wusste ich, dass ich an einem ganz guten Ort gelandet war.

Guido: Eine unangenehme Erfahrung waren die anfänglichen Sprachprobleme. Es war schlimm für mich, als ich in den ersten Tagen in der Uni fast gar nichts verstand. Aber zum Glück hat sich das schnell gebessert.

James: Seitdem ich hier bin, habe ich nur Spaß gehabt! Der Sprachkurs mit anderen Austauschstudenten, die Besuche auf dem Oktoberfest und dem Volksfest… Das vielleicht beste Wochenende in Deutschland war für mich die Wanderung zur Schwäbischen Alb mit StudIT. Das Thermalbad war das Highlight der Reise!

kupferblau: Habt ihr schon einen Lieblingsort in Deutschland ausfindig gemacht?

Maxim: Bevor ich hierher kam, habe ich in der Schweiz studiert, und ich meine, Lausanne ist eine wunderschöne Stadt. In Deutschland gefallen mir besonders Tübingen und Göttingen.

Hazim: Düsseldorf! Die Stimmung in der Innenstadt ist spitze!

Lizzie: Tübingen selbst mag ich sehr gern, aber mir gefallen auch große Städte, in denen viel los ist, wie München. Der Marienplatz und die Peterskirche sind einzigartig.

Guido: Auch wenn viele das Gegenteil sagen – ich finde Stuttgart wirklich schön! Das belebte Zentrum, die Museen, die Aussicht auf die Weinberge, die mich ein bisschen an Italien erinnerte…

kupferblau: Und welches Reiseziel könnt ihr uns in eurer Heimat empfehlen?

Maxim: In ganz Kamerun gibt es großen natürlichen Reichtum – Gebirge, Seen, Savannen… Im Norden empfehle ich einen Safaritrip. Ihr werdet es nicht bereuen.

Guido: Die meisten Deutschen kennen Italien schon gut, trotzdem kann ich einen Tipp geben: Nehmt euch genug Zeit für einen Ort! Wenn man nur zwei Stunden in einer Stadt herumrennt, kann man sie nicht schätzen lernen.

Lizzie: New York, Florida, Texas und Kalifornien sind beliebte Touristenziele, die auf jeden Fall sehenswert sind. Doch es lohnt sich auch, unbekannte Orte im Inland zu besichtigen.

Hazim: Den alten Teil von Damaskus. Was daran so besonders ist, kann ich als Einheimischer schwer beschreiben. Das müsst ihr selbst sehen und spüren.

James: Ich empfehle zwei ganz unterschiedliche Orte: In Byron Bay, wohin sehr viele deutsche Backpacker reisen, kann man unter anderem surfen, angeln und zu einer bestimmten Jahreszeit Buckelwale beobachten. In der Nähe von Brisbane gibt es ein paar Inseln, die sehr schön, aber kaum von Touristen besucht sind – besonders gut, wenn man gerade eine Woche in Byron Bay verbracht hat.

Die Interviewpartner

Guido, 23

Italien

Philosophie

September 2010 – März 2011

Elizabeth, 21

USA

Drama Studies with a minor in English and Comparative Literature; In Tübingen: Anglistik

September 2010 – Februar 2011

Maxim, 30

Kamerun

Geowissenschaften

Oktober 2010 – mindestens August 2012

Hazim, 30

Syrien

Psychologie

Seit 2006

James, 21

Australien

Deutsch als Fremdsprache

September 2010 – Juli 2011

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