Studentenfutter

„Und jetzt noch kochen?” — Nach einem anstrengenden Unitag bleibt wenig Energie, um über die eigene Ernährung nachzudenken. Trotzdem muss Essen nicht zum Problem werden, findet der Veganer Daniel. Bei einem Einkaufsbummel berichtet der Kunstgeschichte- und Medienwissenschaftsstudent, warum Essen für ihn keine Nebensache ist.
von Hannah Steinhoff

Mittwochmittag, die Glockenschläge der Stiftskirche tönen zwölfmal über den Rathausmarkt. Wer glaubt, für einen Markteinkauf müsse man früh aufstehen, irrt. Zwar fahren schon die ersten Lastwagen vor, um die Waren wieder einzuladen. Daniel Heyer lässt sich davon nicht beeindrucken. Kartoffeln, Champignons und Gemüse stehen auf seinem Einkaufszettel. An Wurst, Eiern und Käse geht er vorbei — Daniel ist Veganer.
Seit er in Tübingen studiert und lebt, kann er sich ohne Probleme vegan ernähren. Tübingen gilt schließlich als besonders ökofreundliche Stadt.

Vegan heißt nicht unbedingt teuer

Bis Daniel ganz auf tierische Produkte verzichtete, dauerte es  aber einige Jahre. Mit 16 beschloss er, sich vegetarisch zu ernähren. „Essen ist für mich keine Nebensache“, berichtet er. Sich bewusst ernähren — das bedeutet für ihn, sich darüber im Klaren zu sein, wie sich die eigene Ernährung auf Mensch und Umwelt auswirkt.
Außerdem fühlt Daniel sich auch viel gesünder, seit er vegan lebt. Als Jugendlicher hatte er starke Neurodermitis — die ist heute ganz verschwunden. Der Hauptgrund für Daniel, vegan zu leben, ist die Tierliebe: „Ich habe einfach ein besseres Lebensgefühl, weil ich weiß, dass für meine Ernährung keine anderen Lebewesen leiden müssen.“
Darauf zu achten, ob tierische Produkte in Lebensmitteln enthalten sind, klingt nach einer Menge Stress — doch Daniel gelang es schnell, herauszufinden, wo er am besten einkaufen kann. „Natürlich ist es eine Umstellung“, sagt er, „aber nicht unbedingt mehr Aufwand.“ Er plant nicht Tage vorher, was und wann er einkaufen will, sondern geht einfach los, wenn er nach der Uni noch Zeit hat. Wenn gerade nicht Wochenmarkt ist, geht er meist in asiatische Geschäfte oder Bio-Supermärkte wie Alnatura.
Die Waren dort richten sich nach höheren Bio-Standards als die, die man im normalen Supermarkt kaufen kann, denn das EU-Siegel bekommen Produkte dann, wenn sie zu 95 %aus  ökologischem Anbau stammen. Biomarken wie Bioland oder Demeter dagegen garantieren eine streng kontrollierte Bio-Qualität.
Für Daniel geht vegan aber vor bio. „Ich habe nicht immer das Budget, Bio-Produkte zu kaufen. Das Wichtigste für mich ist, dass nichts Tierisches enthalten ist.“ Andere Kriterien berücksichtigt er erst danach.
Die meisten Studierenden achten beim Einkauf sehr auf die Preise. Doch vegan heißt nicht unbedingt auch teuer: Die Grundnahrungsmittel Gemüse, Reis und Tofu sind meist günstiger als Milch, Fleisch und Eier. Vegane Aufstriche oder Süßigkeiten dagegen übersteigen ihre nicht-veganen Gegenstücke oft im Preis.
Es ist natürlich ein deutlicher Unterschied, ob man im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt einkauft. Statt Regalreihen lernt man hier auf dem Markt die Menschen kennen, die direkt an der Erzeugung der Waren beteiligt sind. Zum Einkauf gehört auch ein kleiner Plausch mit den Verkäufern. Diese freuen sich über die vielen Studierenden, die es auf den Wochenmarkt zieht. „Die kommen allerdings meist erst später“, erzählt die Verkäuferin lachend, als sie für Daniel Champignons abwiegt. „Sieben Uhr ist denen wohl zu früh!“
Fast jeden Donnerstags geht Daniel in die Prinz-Karl-Mensa. Ein vegetarisches Essen gibt es dort zwar jeden Tag, doch nur donnerstags bieten die Tübinger Mensen ein veganes Gericht an. Mit dem angebotenen Essen ist Daniel zufrieden, auch wenn er es vorziehen würde, wenn er mehr Auswahl hätte und nicht nur an einem Tag in der Woche in die Mensa gehen könnte.
Tierische Produkte vermisst Daniel überhaupt nicht. Die meisten Gerichte kann er auch vegan zubereiten: Zum Beispiel Spaghetti Bolognese mit Tofu oder Käsekuchen mit Sojamilch, Seidentofu und Maisstärke. Auch die asiatische Küche kommt bei vielen Gerichten ganz ohne Fleisch aus. In Tübingen haben viele indische Restaurants und Imbisse nicht nur vegetarische, sondern auch vegane Gerichte im Angebot.

Pazifismus in seiner konsequentesten Form

Veganismus hört jedoch nicht bei der Ernährung auf. Daniel achtet darauf, dass auch seine Kleidung ohne tierische Produkte hergestellt wird. „Die Schuhe hier zum Beispiel sind ganz ohne Leder“, erklärt er und zeigt auf seine Stiefel.
Wenn Daniel erzählt, dass er vegan lebt, sind die Reaktionen oft heftig. Ernährung ist ein Thema, das jeden betrifft und zu dem jeder eine Meinung hat. Für viele gehört der Fleischkonsum zur Lebenseinstellung dazu — zum Beispiel, wenn man sich als schwäbisch identifiziert. Denn was ist die schwäbische Küche ohne Herrgottsbescheißerle?
„Viele fühlen sich persönlich angegriffen“, sagt Daniel, während er sich in der Marktauslage eine Paprika aussucht. „Die meisten Gespräche verlaufen nicht besonders positiv. Ich werde gefragt, ob das gesund ist und ob ich nichts vermisse. Wenn ich alle Einwände beseitigt habe, bleibt nur noch das letzte Argument: der Geschmack.“
Deshalb hält er sich auch zurück und erzählt nur dann etwas über seine Ernährung, wenn er gefragt wird. Ein missionarischer Eifer liegt ihm fern. Für Daniel ist Veganismus Pazifismus in seiner konsequentesten Form — deshalb bemüht er sich auch, mit anderen Menschen friedlich umzugehen.

„Wichtige Entscheidung“

An Veranstaltungen wie dem Vegan Street Day beteiligt er sich jedoch gern — am Pfingstsonntag ging es dabei in Stuttgart auf dem Markt- und dem Schillerplatz um vegane Ernährung und Lebensweise, dazu gab es Vorträge und Live-Musik.
„Natürlich glaube ich, dass die Welt besser wäre, wenn alle vegan leben würden“, sagt er. „Aber ich versuche nicht, die Leute zu überzeugen. Es ist eine wichtige Entscheidung, von der viele andere Lebewesen betroffen sind. Aber jeder muss diese Entscheidung aus  der eigenen Initiative heraus treffen.“
Die Kirchturmuhr schlägt einmal — der Markt ist jetzt offiziell vorbei, auch wenn einige Nachzügler jetzt immer noch etwas bekommen. Doch Daniel hat seinen Einkauf erledigt: Champignons, Kartoffeln, Broccoli, eine Aubergine und eine Paprika befinden sich in seiner Einkaufstüte. Ausgegeben hat er dafür nicht mehr als im Supermarkt — dafür weiß er, dass die Produkte aus der Region stammen.

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