Hits im Hinterhof

Am Dienstagabend verwandelte der Tübinger Singer-Songwriter Anil Altintas den biederen Hinterhof des Willis zur intimen Konzertbühne. Folk und Hip Hop, Gitarre und Geige, Deutsch und Türkisch, die Mischung der ersten Hinterhof-Session war vor allem eines: außergewöhnlich.

Frischer Kaffegeruch, süße Backwaren, Kleider und Möbel aus zweiter Hand – Das Innere des Tübinger Willis ist den meisten bekannt. Dass sich aber dahinter, zwischen Häuserwand und botanischem Garten, ein kleiner Hinterhof versteckt, wissen außer dem Barpersonal bisher wohl nur die Anwohner. Das änderte sich aber am Montag, bei der ersten Hinterhof Session mit musikalischem Gast. Nachdem Sänger exBird im März das erste Konzert im Willi gab, übernahm der Tübinger Singer-Songwriter Anil Altintas die Premiere unter freiem Himmel in ungewohnter Backyard-Atmosphäre.

Was auf Facebook als „melodische Gitarrentunes mit smoother Stimme“ beschrieben wird, ist live im Hinterhof vor allem eines:  außergewöhnlich. Zum einen, weil sich Anil Altintas zur Unterstützung Geiger Daniel Axtmann an die Seite gestellt hat, zum anderen wegen der intimen Atmosphäre. Wie intim der Abend wird, das merken die gut 200 Zuhörer schon bei den ersten Tönen. Nicht wie sonst in kompletter Bandbesetzung, nein, ohne Verstärker, ohne Mikros, nur die soulige Stimme Altintas, die von Geige und Gitarre akustisch in Szene gesetzt wird. Unplugged in seiner reinsten Form. Da muss man schon genau lauschen, wenn man auch die feinen Nuancen heraushören will. Kein Problem aber für das Tübinger Publikum. Denn auch, wenn Sänger und Politikstudent Altintas mal vor einem Lied um Ruhe bittet, so ist alles, was dann während seiner Stimme und den zurückgenommenen Klängen zu hören ist, eine vereinzelte Stimme aus dem botanischen Garten oder ein Auto von der Wilhelmstraße. Das Publikum im Hinterhof lauscht andächtig.

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Geige, Gitarre und Kerzenschein – Antilas im Hinterhof

Äppelwoi und Rollrasen

Den ein oder anderen kritischen Blick sieht man dann doch. Der geht aber nicht zur Bühne, sondern nach oben, gen Himmel. Doch im Gegensatz zu dem Konzert von Bob Dylan in der Vorwoche, hält das Wetter – und richtig kalt wird es trotz herbstlichen Temperaturen auf Picknickdecken, Rollrasen oder den zahlreichen Stühlen nicht. Von hinten wärmt die Häuserwand, von innen der extra für den gebürtigen Hessen angebotenen Apfelwein (hessisch: Äppelwoi), von vorne handgemachte Gitarrenmusik, die von der Geige gekonnt veredelt wird. Hits im Hinterhof. Von tristem Hinterhof-Ambiente oder biederem Parkplatz-Flair keine Spur.

Hip Hop und türkische Hochzeit

Cover Songs, wie sie auf Anil Altintas‘ Youtube Kanal zu finden sind, gibt es heute nicht. Alles ist selbstgemacht. Musikalisch irgendwo zwischen Folk und Soul, zwischen John Legend und Mighty Oaks, wagt der junge Musiker auch mal Ausflüge in andere musikalische Sphären. „Eigentlich komme ich vom Hip Hop“, sagt er und rappt im nächsten Song in bester Ed Sheeran-Manier über rhythmische R’n‘B Gitarre. Auch seine „echte Heimat“ versteckt er nicht und singt ein Lied in der Sprache seiner Vorfahren. Stimmungsabfall wegen deutsch-türkischer Sprachbarriere? Keineswegs. Um was es denn in dem Song ging, fragt dann doch einer der Zuhörer im Hinterhof. „Um eine zerbrochene Liebe“, antwortet Anil etwas wehmütig, schiebt aber sofort nach: „Normal spielen wir das mit der ganzen Band und orientalischen Instrumenten, dann denken alle, es geht um eine türkische Hochzeit.“

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Der Hinterhof vom Willi war bis hinten gefüllt.

Zugabe im Kerzenschein

Ein Manko gibt es dann doch: die Bühne und das Publikum trennen gut drei Meter. Dazwischen ein frisch angelegtes Beet, auf dem Teelichter thronen und sich vereinzelt Pflänzchen durch die nasse Erde kämpfen. Distanz kommt trotz dieser Entfernung aber nie auf. Gegen Mitte des Konzerts stehen die Menschen fast bis zum Museum. Da wird in bester Unplugged-Manier mal mitgeschnippt, mal mitgesungen, mal ein Songwunsch geäußert, zum Schluss nach Zugaben verlangt. „Wir haben eigentlich keine Lieder mehr“, sagt Anil verlegen. Aus der Not wird die Tugend: Kurzerhand wird „Lost“, ein Song, den er zuvor alleine gespielt hat, zur Spielwiese für die Geige. Danach ist Schluss und die ersten merken erst jetzt, wie frisch es doch geworden ist. Wer Anil Altintas im Hinterhof verpasst hat, der bekommt an diesem Wochenende eine neue Chance. Am Samstag, den 27. Juni, tritt er im Rahmen der Menschenrechtswoche im Café Haag auf.

Fotos: Lisa Paul Media https://www.facebook.com/lisapaulmedia

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