Sex, Blut und Scherben: Mit dem Drama „De l’ombre il y a – Mirinda“ gibt Nathan Nicholovitch einen Einblick in die Schattenwelt des Rotlichtmilieus von Phnom Penh. Trotz aller Brutalität erfüllt den Film ein Schimmer von Menschlichkeit.
Fragil und doch muskulös, biegsam, kräftig, zwiespältig, verführerisch, mysteriös – das komplexe Filmnarrativ lässt sich bereits am Körper des Hauptdarstellers David D’Ingéo ablesen. Der französische Transvestit namens Mirinda lebt von Prostitution in einem Kambodscha, das von der Kriminalität der Roten Khmer zerrissen ist. Mirinda muss sehr auf ihr Aussehen achten und die seltsamsten Wünsche ihrer Kunden erfüllen. Doch selbst in dieser miserablen, gewaltsamen Lebenswelt findet sich ehrliche Liebe und Zärtlichkeit.
Ein gefährlicher Beruf
Trotz des Elends und der Gewalt findet Mirinda Gefallen an ihrem Beruf. Mit dunkler, lockiger Perücke und im Abendkleid schreitet sie mit ihren meterlangen Beinen in ein hell erleuchtetes Hotel. Sie wirft ihre Haarpracht zur Seite und blickt lasziv auf den Kunden, der ihr gierig hinterher trabt. Plötzlich erstarrt sie. In einer Ecke des Rezeptionssaals gekauert sitzt ein kleines Mädchen und hält sich mit beiden Händen den Bauch. Blut fließt an ihren Fingern herunter. Mirinda läuft mit steifem Schritt in ihre Richtung, dreht sich noch einmal um, nimmt ein Geldbündel aus ihrem BH und reicht es dem Kunden: für ein Tuk Tuk. Dann packt sie das Mädchen und steigt hastig die Treppen hinauf. Sie verarztet es liebevoll und duscht es ab. Beim Abtrocknen murmelt sie ihr mit sanfter Stimme beruhigende Worte ins Ohr: „Ça va aller.“ – „Alles wird gut.“ Das Mädchen verbirgt sich verängstigt in ihrer Stummheit.
Mirinda hat nach der Ermordung ihres geliebten Freundes für das Mädchen eine Art väterliche Verantwortung übernommen. Sie hat es aus einem Mädchenlager eines Menschenhändlers befreit. Nach und nach entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen, doch die Kleine bleibt dennoch still. Erst am Ende erzählt sie im Voice Over in ihrer Muttersprache die rätselhafte Geschichte vom Mädchen, vom Alten und vom Phantom.
Eine nebelhafte Welt
Die geheimnisvolle, schattenhafte Atmosphäre wird durch ein brillantes Lichtspiel betont. Dämmrige Lampen, die die Bars und Nachtclubs abwechselnd in rotes und blaues Licht eintauchen lassen, tragen dazu bei. Montage und Kameraführung irritieren zuerst und sind gewöhnungsbedürftig, denn es wird sehr nah am Körper gefilmt. Doch dann wirkt die Magie des Films: ästhetische Großaufnahmen von Gesichter lassen die Blicke sprechen. Nur sehr wenige Dialoge sind nötig, um die Dramaturgie herzustellen. Einige Bilder im Regenwald oder am Hafen wirken wie kunstvolle exotische Gemälde. Sie geben den Eindruck einer methodischen Inszenierung, wirken manchmal fast theatralisch.
Eine sehr laute, die Stimmen übertönende Geräuschkulisse sowie die Menge an Sex und Blut auf der Leinwand könnten den Film leicht ins Übertriebene umschlagen lassen. David D’Ingéo schafft es jedoch, in der hervorragenden Verkörperung seiner Rolle die Vulgarität zu umgehen. Alle Protagonisten haben ein komplexes inneres Seelenleben, sie sind in der Schattenwelt allesamt Opfer der Gewalt und müssen sich gegen ihren Willen unterwerfen. Trotzdem verlieren sie nicht ihre Menschlichkeit – und somit auch nicht ihre Würde. Der Film verabschiedet sich von den traditionellen dramaturgischen Codes und lässt die Tür offen zu einem unbekannten, konfusen und nebelhaften Universum. Nathan Nicholovitchs Kunstwerk verspricht verwirrende Poesie.
DE L’OMBRE IL Y A, Frankreich 2015 – Regie: Nathan Nicholovitch. Buch: Nathan Nicholovitch, David D’Ingéo und Clo Mercier. Kamera: Florent Astolfi. Mit: David D’Ingéo, Panna Nat, Viri Seng Samnang, Ucoc Lai, Clo Mercier. 105 Min.
Text: Pauline Menghini (19) studiert Empirische Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft im dritten Semester und liebt die filmische Kunst, weil sie intensive Erlebnisse ermöglicht und damit das Leben bereichert.
Diese Filmkritik entstand im Rahmen des FestivalTV der Französischen Filmtage im Filmkritikworkshop von Hanne Detel, Institut für Medienwissenschaft, Uni Tübingen.
Fotos: copyright Nathan Nicholovitch