Ein literarischer Jungstar in Tübingen: Benedict Wells veröffentlichte mit 23 Jahren seinen ersten Roman, der zum Bestseller wurde. Als „Ausnahmetalent in der jungen deutschen Literatur“ betitelte ihn das ZDF heute-journal. Was seine Motivation war und wie er seinen Traum verwirklichte, erzählte er im Gespräch bei Querfeldein am Montagabend im Ribingurumu.
Es war voll im Ribi, die guten Plätze waren schon einige Zeit vor Beginn belegt. Je näher die Veranstaltung rückte, je gedimmter die Lichter wurden, desto merklicher stieg die Spannung. Sie entlud sich in einem tosenden Applaus, als die zwei Moderatorinnen Sophie Glaser und Maren Hölscher ihren Gast auf die Bühne baten.
Nach einer allgemeinen Begrüßung und ein paar Schwierigkeiten mit den Mikrofonen, fragten sie ihn sogleich nach seiner Kindheit in Bayern, die er größtenteils in staatlichen Internaten verbracht hatte. „Ich war absurd“, sagte Wells über sich, da er der evangelischen Konfession angehörte und auf einem katholischen Internat war. Seiner bayerischen Herkunft sei es auch geschuldet – fügte er lächelnd und fast entschuldigend zu – warum er das „R“ seltsam ausspreche.
Leidenschaft vor Talent
Bereits mit sieben Jahren schrieb Wells seine erste kleine Geschichte: „Die Katze“. Querfeldein hatte sie aus dem Verborgenen geholt und las sie vor. Immer tiefer versank Wells da in der Couch, je weiter die Geschichte um die Katze Lucy voranschritt. Am Ende kommentierte es Wells, der zum Schluss grinsend auf dem Sofa lag, schlichtweg mit einem „Das war jetzt hart“. Das Publikum jedoch hatte viel zu Lachen: Es fängt wohl jeder mal klein an.
Mit dem Schreiben begann er aus Langeweile. Die Zeit bei seiner Mutter in der Schweiz und den lediglich drei Fernsehsendern ließen ihn nach einer anderen Beschäftigung suchen. Er betonte dabei, dass Leidenschaft für Schriftsteller wichtiger sei als das Talent. „Das wahre Talent ist der Wille“. Dieser Wille zog sich durch seine kommende Laufbahn.
„Das ist kein Mut, sondern Freiheit“
Wells zog mit 19 Jahren in eine kleine Bruchbude in Berlin. Ohne finanzielle Unterstützung wagte er es: Statt zu studieren, wollte er ein Buch schreiben. Und hatte nach drei Jahren Erfolg. In den ersten beiden Jahren sei er „einfach nicht gut genug“ gewesen. Wells beschloss, sich noch ein weiteres Jahr Zeit zu geben; danach könne er immer noch studieren. Bei seinen Schreibversuchen suchte er immer wieder Kritik und hatte schlussendlich Erfolg: Der ehrwürdige Diogenes Verlag verlegte 2008 seinen ersten Roman „Becks letzter Sommer“. Für ihn war klar: „Das will ich für immer machen“.
Auf die Frage ob es mutig war, einfach nach Berlin zu ziehen, ohne Geld und nur mit dem Plan, einen Roman zu schreiben, antwortete er knapp: „Das ist kein Mut, sondern Freiheit!“ In den Zwanzigern sei so eine Phase des Ausprobierens und des Sich-findens absolut legitim.
„Fast zu viel“
Als er das erste gedrucktes Exemplar von „Becks letzter Sommer“ in Händen hielt, konnte er es zunächst gar nicht glauben. Für Wells wirkte es surreal und war „fast zu viel“. Erst einige Zeit später wurde ihm bewusst, was er geschafft hatte. Er war der damals jüngste Autor, den der Diogenes Verlag unter Vertrag genommen hatte.
Als er anschließend eine Passage aus „Becks letzter Sommer“ vorlas, hing das Publikum wie gebannt an seinen Lippen. Wells sagte anschließend, dass er nach der Fertigstellung des Buchs seine Figur Beck vermisst habe, denn: „Ich habe ihn wirklich geliebt.“
Autobahn muss leer sein
Wells ist eine Nachteule par excellence. Nachts sei er hellwach und „einfach nicht müde“. Deswegen schreibe er meistens auch zu später Stunde. Nur da hätte man Zeit, ohne Störungen, ohne Newsfeed. „Nachts ist die Autobahn leer.“
Zum Schreibprozess sagte er, dass er bei „Becks letzter Sommer“ schon vor Schreibbeginn prägnante Szenen vom Anfang und Ende im Kopf gehabt habe. Die Charaktere veränderten und entwickelten sich bei ihm aber erst beim Schreiben selbst. Zu Beginn waren sie nur vage Ideen. „Ich teste gerne aus“, sagte Wells.
Oft überarbeitete er seine Texte komplett. Das Highlight des Abends war ein unveröffentlichtes „Outtake“, das aus „Becks letzter Sommer“ gestrichen wurde. Eine Passage also, die laut Wells vor dem Tübinger Publikum noch nie jemand zu hören bekommen hat.
„Eine schizophrene Sache“
Im vergangen Sommer wurde „Becks letzter Sommer“ verfilmt. Für den Film wünschte sich Wells von Beginn an Christian Ulmen in der Rolle des Beck, der sie dann auch bekam. Als er das Buch schrieb, hatte er hingegen niemand bestimmten im Kopf. Sind Buch und Film also voneinander entkoppelt? „Das war eine schizophrene Sache“, sagte er laut lachend.
Stimmung und Thematik seien in den beiden Medien gänzlich unterschiedlich und demnach seien auch zwei verschiedene Geschichten entstanden. Auf die letzte Frage des Abends, ob ein Roman die Welt verändern könne, antwortete Wells zielsicher: „Er kann eine Welt verändern, deine Welt oder meine Welt, aber nicht die ganze Welt.“
Anmerkungen: Im Februar nächsten Jahres wird sein vierter Roman erscheinen.
Fotos: Paul Mehnert