Die Kanzel von Hohentübingen

Ein sonst verschlossenes Kleinod ist die Schlosskirche auf Hohentübingen. Am Internationalen Museumstag am Sonntag öffnete Christine Siegl vom Lehrstuhl für Praktische Theologie die Pforten und zeigte, wo Studierende das Predigen üben.

Eine halbe Stunde vor Beginn der Führung tummelten sich Interessierte vor der verschlossenen Tür der Schlosskirche. Nahezu Jeder suchte Schutz vor der Mittagshitze im Schatten der wuchtigen Mauern von Schloss Hohentübingen.

Die Schlosskirche war ursprünglich im Nordflügel des Schlosses untergebracht, erst später wurde sie an den jetzigen Standort im Südflügel verlagert. Wider allen Erwartungen ging es aber nicht sofort in den kühlen Kirchenraum, sondern in den „Pausenhof“. Siegl führte die Gruppe aus dem Tor hinaus und links in den wunderschönen Garten. Am hinteren Ende konnten nun alle einen Blick auf die ursprünglichen Rundfenster der Schlosskapelle werfen. Wegen dieser Fenster vermuten Historiker, dass die Kirche in dem Nordflügel untergebracht war.

Daniel Hertenziz im Pausenhof, mit Blick auf die alten Rundbogenfenster
Die Kirche und das Drumherum:  alte Rundbogenfenster zeugen vom früheren Standort.

Älteste unter den Alten

Die erste urkundliche Erwähnung erfährt die Schlosskirche im Jahr 1188, sie ist somit die älteste erhaltene Kirche in Tübingen. Auch die Jakobuskirche beansprucht diesen Titel. Jedoch wird in ihrem Fall rein vom Material ausgegangen, das älter als jenes der Schlosskirche ist. „Aber für uns zählt natürlich nur die erste urkundliche Erwähnung“, berichtet Siegl lächelnd.

Für einige Jahrzehnte war die Schlosskirche sogar Pfarrkirche, doch verlor sie diesen Status ziemlich schnell. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts brachte Herzog Ulrich von Württemberg den Protestantismus nach Tübingen, modernisierte das Tübinger Schloss und verlagerte die Schlosskirche in den Südflügel. Die verheerenden Jahre des Dreißigjährigen Krieges zehrten an den Tübingern. Es herrschte Hunger und Elend. Der Südostturm von Schloss Hohentübingen wurde in dieser Zeit von den Franzosen zerstört. Heute erinnert nur noch der dort neu erbaute Fünfeckturm daran.

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Auch der Ausblick lässt sich sehen. Vom einen zum anderen Ende Tübingens.

Stilmix der Jahrhunderte

Nun endlich ging es vom Innenhof die steilen und schmalen Stufen hinauf zur Orgel der Schlosskirche. „Die Stadtführer liegen komplett falsch, wenn sie behaupten, dass hinter der verschlossenen Tür nichts Wichtiges verborgen ist!“, gibt  Siegl den Anwesenden mit auf den Weg. Oben angekommen, hat sie nicht zu viel versprochen. Als erstes fällt das Tonnengewölbe aus dunklem Holz ins Auge. Eingerahmt wird der Raum von grüner Wandmalerei. Am anderen Ende steht ein kleiner Altar und darüber die Kanzel.

Im Innenraum herrscht ein wilder Stilmix verschiedener Jahrhunderte. „Die Decke ist aus dem 17. Jahrhundert, die vier großen Ölgemälde aus dem 18. und die einem Wandteppich nachempfundene Wandmalerei aus dem 19. Jahrhundert.“, erläutert Siegl. Hier vermischen sich Elemente der Neogotik und der Neoromantik. „Man wollte damals wohl doppelt modern sein“, sagt Siegl und lacht.

Abgerundet wurde die Führung durch ein kleines Orgelkonzert, gespielt von Jonathan Hiese. Danach wurden die Teilnehmer noch dazu eingeladen, ein Lied von Friedrich Silcher zu singen. Beherzt griffen viele zu den ausgelegten Liedstrophen und stiegen in den Gesang mit ein.

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Der etwas andere Chor am Ende der Führung.

Hochzeit für Alle!

Heute ist die Schlosskirche äußerst beliebt für Trauungen. „Auch hier liegen die Stadtführer falsch. Sie ist nicht nur den Angehörigen der Uni vorbehalten. Jeder kann dort heiraten, wenn er möchte!“. Natürlich wird sie auch für uniinterne Gottesdienste genutzt, wie beispielsweise am Dies Universitatis.

Der am meisten beanspruchte Raum aber ist der Seminarraum, der durch eine dunkle Holztür mit der Kirche verbunden ist. Hier finden viele Lehrveranstaltungen des theologischen Nachwuchses statt. Auf der Doppelkanzel üben sie das Predigen. „Im 19. Jahrhundert, nach Gründung des Predigervereins, hat man Kinder mit ein paar Pfennigen bestochen, damit sie den Predigten lauschten. Schließlich brauchte man zum Üben auch das entsprechende Publikum“, berichtet Siegl.

Das Ende der knapp einstündigen Führung ist erreicht. Einige kommen der Aufforderung nach, doch einmal selbst auf die Kanzel zu steigen. Die Aussage der Stadtführer, dass hinter der verschlossenen Tür nichts wichtiges liege, kann man somit getrost als falsch und Untertreibung abtun. Die Schlosskirche ist ein schmuckes Kleinod, das selbst viele Geschichten zu erzählen hat.

Jonathan Hiese, Orgelspieler
Jonathan Hiese füllte den Raum der Schlosskirche mit Orgeltönen.

Fotos: Marko Knab

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