Studierst du noch oder lebst du schon? Eine hilfreiche Kurzbeschreibung von studentischem Freud und Leid – für alle, die sich bei dieser Frage nicht ganz sicher sind.
Das klirrende Geräusch des Weckers, das um 7:04 Uhr (um 07:15 Uhr fährt der Bus, fünf Minuten Bad, sechs Minuten Frühstück, reicht locker!) den (noch) friedlich schlafenden Studenten aus seinem kurzen, heißgeliebten Schlaf reißt. Allen Lesern sollte an dieser Stelle bekannt sein, dass es sich hierbei um die Spezies Student (vom Lateinischen: „studens“ strebend (nach)) handelt; eine Subspezies der Gattung Homo sapiens, die sich im 15. Jahrhundert entwickelte. Wesentliche nennenswerte Charakteristika sind chronische Müdigkeit, Phobien gegen Räume der Größe eines Saals, Sehnsucht nach (der wahren) Liebe und natürlich eine heiße Leidenschaft für gegorene Getränke. Da die besagte Uhrzeit im natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus dieser Wesen nicht existiert, reagiert dieses oft mit Hungerstreiks am Morgen („lieber fünf Minuten liegen bleiben…um 11:30 Uhr öffnet sowieso die Mensa“) und temporären Depressionen.
Der morgendliche Leidensweg
Aber wie man ja weiß, ist geteiltes Leid, halbes Leid! Angekommen im viel zu großen Hörsaal findet man meist seine lieben Kommilitonen vor, von denen manche einen besorgniserregenden Wachheitsgrad als Symptom einer akuten Koffeinvergiftung aufzeigen. Die Nerd-Brille aufgesetzt, Kulli in der Hand und eine latente Bereitschaft dem Dozenten zu folgen… Doch diese wird leider schnell von einem Kommilitonen gestört, der bereits nach zwei Minuten in die Tiefschlafphase gefallen zu sein scheint und entsprechende Geräusche von sich gibt. „Wieso kommt der denn überhaupt, wenn er nur schlafen will…Verdammt, wieso bin ICH dann eigentlich hier?“ Dieselbe Grundsatzfrage, die mindestens zwei, maximal 200 Mal pro Tag durch den Kopf eines jeden Studenten geht und die Sinnhaftigkeit des studentischen Daseins hinterfragt. Ein paar Blicke auf das Smartphone, ein bisschen mit dem Kumpel über die letzte Party gequatscht und schon sind die letzten zehn Minuten der Vorlesung erreicht, in der man sich bestenfalls eingesteht, wie schön das eigene Fach eigentlich doch ist.
Survival of the fittest
Der konstant niedrige Blutzuckerspiegel des Studenten äußert sich in einem kaum stillbaren Hungergefühl, weshalb der kluge Student schon um 11:30 Uhr mit seinem silbernen Tablett (naja, vielleicht doch eher gräulich) vor der Mensatüre steht, um sich lange Warteschlangen hungerbedingt aggressiver Studenten zu ersparen. Die Hoffnung heute etwas Leckeres zwischen die Zähne zu bekommen, legen die Meisten jedoch bereits nach den ersten Wochen als Ersti ab. Man ist an dieser Stelle stets dankbar, dass man genug Treibstoff für sein Gehirn deponiert, das am Nachmittag nämlich noch große Dienste zu leisten hat.
Verloren in Raum und Zeit
Endlich in der kuscheligen Bibliothek angekommen, die in Größe und Temperatur der natürlichen Nische des Studenten schon näher kommt. Studentenfutter knabbernd und in unverschämt dicken Schmökern stöbernd, fließen die Stunden vorbei. Kafka hatte also doch eine Ahnung, als er sagte: „Dass unsere Aufgabe genauso groß ist wie unser Leben, gibt ihr einen Schein von Unendlichkeit.“ Wahre Worte, mein Freund! Doch der Bann der Unendlichkeit wird schon bald gebrochen – von einem gegengeschlechtlichen Nischentier, das so verlockend gut aussieht, dass sofort ein jeder Reiz der spannendsten Lektüre verflogen scheint. Vielleicht sieht man ihn/sie ja nochmal auf der nächsten Party….(Sag mal hat er/sie mich eigentlich vorhin angelächelt?) Apropos Party – heute hat doch der Mitbewohner-Geburtstag, wie viel Uhr ist es eigentlich?
Panisch wird das Smartphone aus der überladenen Tasche gewühlt, das zum Bedauern des Studenten kein Akku mehr hat. Who cares?! Früher gab‘s auch nur Sonnenuhren. Also, Entscheidung à la Student: „Draußen ist es fast dunkel, ich bin müde, habe Hunger- ergo muss es schon ziemlich spät sein. Zeit für ein Feierabend-Bier!“ Na dann, ein Hoch auf die unersättliche studentische Gelassenheit!
Fotos: Paul Mehnert/ Universität Tübingen