Neckar und Ammer sind jedem Tübinger ein Begriff. Den Gutleuthausbach kennen dagegen nur die Wenigsten. Dabei hat das kleine Gewässer etwas ganz Besonderes zu bieten: einen Wasserfall.
Wenn der Sommer in Tübingen Einzug hält, hat das Freibad Hochkonjunktur. Auf dem Neckar tummeln sich die Stocherkähne und im Bota die flunkyballspielenden Studierenden. Mit der Ruhe ist es da nicht weit her. Die Sonne genießt man trotzdem. Wer sich jedoch nach etwas Abgeschiedenheit und Natur sehnt, der braucht dafür nicht weit zu fahren. Zauberhafte Orte liegen in Tübingen oft direkt vor der Haustür. Man muss sie nur entdecken.
Ein Stück Natur mitten in Tübingen
So etwa den Gutleuthausbach – ein kleines Gewässer, unweit der Waldhäuser Ost. Der Bach entspringt nahe der Kreuzung des Berliner Rings am Kinderhaus Ahornweg und fließt von dort aus 250 Meter südwärts durch die Täglesklinge. Das Tal ist aufgrund des großen Fließgefälles an etlichen Stellen von Abstürzen und Auswaschungen an den Uferböschungen geprägt. Auf Höhe des Sandweges endet das Gewässer oberirdisch in einem Hochwasserrückhaltebecken. Danach läuft es kanalisiert bis zur Köstlinstraße hinunter, wo es nach 1,6 Kilometern Gesamtlänge und 135 überwundenen Höhenmetern schließlich in die Ammer mündet. Seinen Namen bezieht der Bach übrigens aus dem Mittelalter: Das Gutleuthaus war einst ein Siechen- und Armenspital vor den Toren der Stadt. Heutzutage befindet sich auf dem Gelände das Pauline-Krone-Heim.
Ein abenteuerlicher Weg zum Wasserfall
Der Gutleuthausbach ist unbekannt, aber nicht unscheinbar. Die oberirdische Strecke des Gewässers beeindruckt mit ihrer naturbelassenen Atmosphäre. Knochige Wurzeln ragen aus der abgebrochenen Uferkante heraus. Quer über den Bach flechten sich herabgestürzte Bäume zu einem abstrakten Kunstwerk zusammen, gleich so, als würde die Natur Mikado spielen. Man befindet sich zwar im Tübinger Stadtgebiet, dennoch ist es still. Man vernimmt keinen Autolärm, sondern nur das Plätschern des Baches. Geht man diesem Plätschern nach, so führt der Weg über Stock und Stein. Wanderpfade sucht man vergeblich. Das Abenteuer beginnt. Man balanciert mühelos über Baumbrücken oder watet barfuß durch den Bach. Ab und zu braucht es einen beherzten Sprung oder den geschickten Griff nach festem Wurzelwerk, um schwierigere Hindernisse zu überwinden. Doch man kommt voran. Meter für Meter.
Indes wird das Plätschern immer lauter. Hinter jeder Ecke offenbart die Flora ein neues Bild. Der Bach gewinnt mehr und mehr an Wasser, bis man sich schließlich vor einem natürlichen Tosbecken wiederfindet. Im Hintergrund ergießt sich ein Wasserfall über eine massive Bruchkante. Der stete Tropfen frisst sich durch die Steine und formt sein Bett. Das Wasser ist klar und kühl. Es befindet sich keine Menschenseele in der Nähe. Nun ist man angekommen – abgeschieden in der Natur und das mitten in Tübingen.
Anfahrt und Ausrüstung: Vom Stadtzentrum aus fährt man am besten mit der Buslinie 2 in Richtung „Waldhäuser Ost“ und steigt an der Haltestelle „Sand Nordring“ aus. Danach durchquert man die Straßenunterführung und biegt rechts ab zum Hochwasserrückhaltebecken. Dort angekommen wendet man sich erneut nach rechts. Schon steht man vor einem Baumgeflecht, dass es zu überwinden gilt. Hierfür empfiehlt sich festes Schuhwerk, insbesondere wenn es regnet oder kürzlich geregnet hat. Außerdem kann man Badekleidung mitnehmen. So lässt sich auch das Tosbecken überwinden, um dem Wasserfall noch näher zu kommen.
Fotos: Paul Mehnert