In Vincent Garenqs brisantem Politthriller „L’Enquête – Die Clearstream-Affäre“ deckt Vollblutjournalist Denis Robert die vermutlich größte Schwarzgeldaffäre Frankreichs auf. Auf der Suche nach Antworten scheint die Spur bis zur Spitze der politischen Elite zu führen. In seinem Film rollt Garenq die wahre Geschichte neu auf.

Mit Dreitagebart und legerer Kleidung widmet sich Kettenraucher Denis Robert (Gilles Lellouche) jeder journalistischen Aufgabe mit einer fast schon wahnhaften Hingabe. Er gehört zur Riege der Enthüllungsjournalisten, die mit ihrer intensiven Recherche politische Skandale aufdecken. Das gefällt nicht jedem: Entsprechend kostet ihn zu Beginn der Geschichte seine Berichterstattung über Korruption den Job bei der linksliberalen Tageszeitung Libération.

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Günter Wallraff wäre stolz

Robert kann einfach nicht anders. Trotz Entlassung setzt er seine akribischen Nachforschungen fort, die ihn zum in Frankreich bisher unbekannten Unternehmen Clearstream führen. Dieses fungiert als zentraler Verwahrer von Wertpapieren internationaler Kapitalmärkte. Der Sitz ist in Luxemburg. Bei dem Finanzdienstleister soll es diverse inoffizielle Konten geben, die als Schlupfloch für Transfers von Schwarzgeld genutzt werden. Ein gefundenes Fressen für den ambitionierten Journalisten – zumal das Ausmaß des Skandals eine Tragweite erreichen wird, die selbst Roberts kühnste Vorstellung übertrifft. Der Enthüllungsautor in spe setzt alles auf eine Karte und publiziert im Februar 2001 mit „Révélation$“ ein Buch über den Skandal – die Clearstream-Affäre ist geboren.

Roberts Leben gerät daraufhin aus den Fugen. Neben einem gefühlten Marathon an Gerichtsprozessen zwischen ihm und einer Armee an Anwälten, die das international agierende Unternehmen vertreten, beginnt er sich schleichend von seiner Familie zu entfremden. Als auch noch Renaud Van Ruymbeke (Charles Berling), ein Verbündeter Roberts, eine Datei mit vermeintlichen Besitzern der Konten von einer unbekannten Person zugespielt bekommt, können die beiden nicht glauben, auf was sie da gestoßen sind: Nicht nur prestigeträchtige Unternehmen wie Airbus stehen auf der Liste, sondern auch der damalige (und vermutlich bald erneute) Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy. Roberts innigster Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen …

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Garenqs Botschaft

Regisseur Garenq schafft es mit seinem Film „L’Enquête – Die Clearstream-Affäre“ gekonnt, eine Geschichte zu erzählen, die den realen Politskandal detailgetreu wiedergibt. Auch weil Lellouche viel Spielzeit bekommt, versteht es dieser, den einsamen Kampf des Journalisten gegen ein steriles Finanzsystem authentisch darzustellen. Gestik, Mimik und Stimme harmonisieren: Lellouche spielt die Rolle des Denis Roberts nicht – er lebt sie. Besonders hervorzuheben sind die Familienszenen jenseits der Hauptgeschichte, die einen Robert zeigen, der in seinem eigenen Zuhause zunehmend die Rolle eines Exilanten einnimmt: Der Journalist vergisst seine eigene Tochter auf einem Parkplatz und kommt seinen Pflichten als Vater nur schlampig nach.

Ein Spannungsbogen ist deutlich erkennbar, obwohl sich Garenq das ein oder andere Mal nicht entscheiden kann, ob sein Werk ein Thriller für Cineasten oder eine Dokumentation für Politikliebhaber sein soll. Ein Jahr vor den
entscheidenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich erinnert Garenq die „Grande Nation“ an einen längst verdrängten Skandal, der bis zum heutigen Tage unaufgeklärt ist.

L‘ENQUÊTE, Frankreich 2015 – Regie: Vincent Garenq. Buch: Vincent Garenq, Stéphane Cabel. Kamera: Renaud Chassaing. Mit: Gilles Lellouche. 106 Min.

Text: Robert Hansen (25) studiert Allgemeine Rhetorik und Politikwissenschaft im 7. Semester und liebt Frankreich schon allein wegen des Käses.

Diese Filmkritik entstand im Rahmen des FestivalTV der Französischen Filmtage im Filmkritikworkshop von Hanne Detel, Institut für Medienwissenschaft, Uni Tübingen.

Fotos: copyright Films Distribution

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