Die Tübinger Menschenrechtswoche steht an. Vom 19. bis zum 25. Juni bietet sich die Möglichkeit, sich eine Woche lang ausgiebig mit verschiedenen Aspekten der Menschenrechte auseinanderzusetzen. Die Idee dazu kam von Jessica und Juliane: Die beiden Politikwissenschaftsstudentinnen haben die Menschenrechtswoche 2015 ins Leben gerufen. Ein Gespräch.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“
– so beginnt Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. In 30 Artikeln stehen dort die Rechte festgeschrieben, die jedem Menschen zustehen – unabhängig von politischer oder sexueller Orientierung, Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Geburt. Was bedeutet dies konkret? Um diese abstrakten Regelungen anschaulich werden zu lassen und verschiedene Aspekte aufzuzeigen, haben Juliane und Jessica vor drei Jahren die Menschenrechtswoche in Tübingen gegründet. Diese ist eine Woche voller Veranstaltungen zu Menschenrechten – in unterschiedlichen Veranstaltungsformaten und komplett von Studierenden organisiert.
Dieses Jahr steht die Menschenrechtswoche zum ersten Mal unter einem Motto: „Menschenrechte leben. Demokratie stärken.“ Was hat es damit auf sich?
Juliane: Wir wollten dieses Jahr einen Fokus schaffen und den lokalen Bezug herstellen. Nicht nur immer sagen, dort und dort und dort auf der Welt passieren Menschenrechtsverletzungen. Sondern: Hier in Tübingen sind Menschenrechte auch relevant, auch hier konkret hat man im Alltag mit Menschenrechten zu tun.
Jessica: Menschenrechte sind nicht so ein Selbstläufer wie man immer denkt. An der Demokratie und unseren Werten muss man beständig arbeiten und sich dafür einsetzen.
„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Artikel 3
Und noch eine Neuheit gibt es dieses Jahr: den Menschenrechtspreis. Dieser symbolische Preis wird bei der Auftaktveranstaltung an einen der vier Nominierten verliehen. Wie kamt ihr auf diese Idee?
Jessica: Wir haben selbst bemerkt, dass man als Ehrenamtlicher jeden Tag aufs Neue so viel Kraft schöpfen muss. Man macht diese Arbeit ja nicht für sich selber, sondern aus irgendeinem Idealismus heraus (lacht), aber oft hilft man dadurch so vielen Menschen. Beim Menschenrechtspreis ging es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass es auch hier so viele Menschen gibt, die sich Tag für Tag für andere einsetzen. Wir wollten sagen: Wir finden das richtig gut!
Juliane: Und gleichzeitig auch darum, den Leuten einen kleinen Motivationskick zu geben nach dem Motto: Eure Arbeit verdient eine Auszeichnung.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz.“ Auszug aus Artikel 6
Warum ist die Menschenrechtswoche euch persönlich wichtig?
Juliane: Mir ist es wichtig, mich für Werte einzusetzen, die wir vielleicht als selbstverständlich hinnehmen. Denn in einer Demokratie ist es wichtig, dass Leute sich engagieren und ihren kleinen Teil dazu beitragen. Und das Tolle dabei ist natürlich, dass wir hier eine eigene Idee umsetzen konnten, die jetzt Realität ist.
Jessica: Ich möchte einen Mehrwert schaffen. Unser Ziel ist es auch, Engagement zu fördern. Ich glaube, es gibt viele Leute, die was tun würden, wenn man konkrete Möglichkeiten zeigt.
„Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Auszug aus Artikel 14
Wie viel Arbeitsaufwand ist es denn, eine solche Woche zu organisieren? Mit welchen Problemen saht ihr euch konfrontiert?
Jessica: (lacht) Das kann man nicht in Stunden fassen. Wenn man möchte, könnte man jeden Tag den kompletten Tag damit verbringen. Wir planen das jetzt seit November zusammen mit den anderen Organisatoren und Initiativen.
Juliane: Sponsoring ist immer schwierig. Rückhalt und Unterstützung bei der Uni fehlt ein bisschen, es gibt nicht wirklich eine Kultur der Unterstützung.
„Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“ Auszug aus Artikel 15
Um noch auf die Ursprünge zu sprechen zu kommen: Wie kamt ihr darauf, die Menschenrechtswoche vor drei Jahren ins Leben zu rufen?
Juliane: Die Idee hat sich im Gespräch mit der World Citizen School entwickelt. Es gibt hier so viele verschiedene studentische Initiativen, die man alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann: Menschenrechte. Egal ob man sich für nachhaltiges Wirtschaften oder Entwicklungszusammenarbeit engagiert oder, wie wir in der UN-Hochschulgruppe, für globale Fragen und die Werte, die das UN-System zusammenhalten. Wir wollten gemeinsam etwas Größeres auf die Beine stellen.
Jessica: Es ging auch darum, einen Mehrwert zu schaffen. Wir wollten etwas machen, von dem mehr Leute profitieren.
„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ Auszug aus Artikel 18
Hattet ihr jemals persönliche Erfahrungen damit, dass Menschenrechte verletzt wurden?
Juliane: Aus unserem Standpunkt heraus ist das natürlich so eine Sache: Wir haben nicht alltäglich damit zu kämpfen, dass Menschenrechte verletzt werden – aber man bekommt natürlich aus den Medien davon mit, wo überall auf der Welt schlimme Menschenrechtsverletzungen passieren. Deshalb wollten wir hier in Tübingen im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv werden.
„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung“ Auszug aus Artikel 19
Mit zwölf Veranstaltungen fällt die Auswahl schwer. Auf was freut ihr euch dieses Jahr persönlich am meisten?
Juliane: Zum ersten auf unsere Eröffnungsveranstaltung, weil wir dort den Menschenrechtspreis verleihen werden und über das aktuelle Thema Populismus diskutieren werden. Auch auf das „Fest der Menschenrechte“ am Samstag, weil das auch was ganz Neues ist und wir da den Initiativen die Möglichkeit geben können, sich in einer schönen Atmosphäre vielen Menschen vorzustellen. Und das Besondere daran ist auch, dass wir Leute, die vielleicht zufällig auf dem Marktplatz sind, mit einbinden und erreichen können. Definitiv werde ich zu so vielen Veranstaltungen wie möglich gehen. Schade, dass manche Veranstaltungen gleichzeitig sind, weil man dann nicht zu allen hingehen kann.
Jessica: Wir haben die Initiativen dieses Jahr aufgefordert, kreative Ideen umzusetzen und vom normalen Format ein bisschen wegzugehen. Ich finde es witzig, dass es eine Kleidertauschparty geben wird und man auf eine solche Art mit Leuten ins Gespräch kommt. Dieses Jahr sind es allgemein eher weniger akademische Formate, sondern viele Workshops und eine Filmvorführung, außerdem ein „Stadtrundgang für Feminismus“, und eben die Kleidertauschparty. Das ist auch für uns richtig spannend zu erleben. Denn die Gruppen haben die konkreten Ideen ganz frei ausgearbeitet und auf die Beine gestellt.
Für den Menschenrechtspreis nominiert sind: Wohnungslosenhilfe Tübingen, Refugee Law Clinic Tübingen, Anklagen, Clara Böning und ihre Spielgruppe für Kinder von Geflüchteten
An der Menschenrechtswoche wirken mit: Amnesty International Hochschulgruppe Tübingen, Anti Corruption International, BAF e.V. Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württembergs, Global Marshall Plan Tübingen, Laute Europäer, Liberale Hochschulgruppe Tübingen, Mach Schule e.V., Neckarstudent.de, oikos Tübingen, ROCK YOUR LIFE!, Umsonstladen Sonnenblume, Studieren Ohne Grenzen Tübingen, UNICEF Hochschulgruppe Tübingen, United Nations Hochschulgruppe Tübingen, you-manity Tübingen e.V.
Titelfoto: Marko Knab