Mit wem darf der StuRa zusammenarbeiten?

Heute Abend stimmt der StuRa über einen viel diskutierten Förderantrag ab. Der Streitpunkt: Die Referentin, deren Vortrag finanziert werden soll, gilt als ehemalige RAF-Sympathisantin. Außerdem soll die Antifa Reutlingen-Tübingen die Veranstaltung mitorganisieren. Darf der StuRa einen inhaltlich wichtigen Vortrag unter solchen Bedingungen fördern? Ihre Meinung dazu verraten zwei StuRa-Mitglieder im Interview, ein Befürworter und ein Gegner des Antrags.

Der Widerstand jüdischer Frauen zur NS-Zeit: Das soll das Thema des Vortrags sein, den die zwei Mitglieder zählende „Studierendengruppe für Kritik und Widerstreit“ vom StuRa finanzieren lassen möchte. Ein förderungswürdiges Thema, da sind sich die Hochschulgruppen einig. Aber ob auch die Referentin und die Mitveranstalter förderungswürdig sind, darüber gibt es kontroverse Diskussionen. Gerade die Liberale Hochschulgruppe (LHG) stört sich an der Antifa als Mitveranstalter. Was für die LHG ebenfalls problematisch ist: Die designierte Referentin Ingrid Strobl wurde vor 27 Jahren wegen Beihilfe zu einem Terroranschlag verurteilt.

Einige Mitglieder der Fachschaftenvollversammlung (FSVV) hingegen erwidern, Strobls Resozialisierungsprozess sei abgeschlossen und die Mithilfe der Antifa sei vom Inhalt des Vortrags zu trennen. In der FSVV-Sitzung einigte man sich jedoch noch nicht offiziell. Auch in der letzten StuRa-Sitzung wurde die Abstimmung vertagt – auf heute Abend. Welche Entscheidung sie sich wünschen, erzählen Jonathan Dreusch und Timothy Randall im Interview.

Pro: Warum sollte der StuRa den Antrag annehmen?

Jonathan Dreusch, StuRa-Mitglied für die Fachschaftenvollversammlung (FSVV)

Jonathan Dreusch, StuRa-Vertreter für die FSVV, stimmt dem Antrag zu.

Die FSVV wird ja erst am Abend vor der StuRa-Sitzung über eine gemeinsame Position abstimmen – argumentierst du also erst einmal für deine private Meinung?

Im Moment ist es natürlich meine private Meinung, dass ich den Antrag förderungswürdig finde. Im Gegensatz zu anderen StudierendenrätInnen will und kann ich meine private Meinung nicht im StuRa vertreten, aber ich hoffe, die FSVV wird sich dieser Meinung anschließen. Nicht alle lassen sich auf diese Hexenjagd von LHG-Seite ein: Als ob wir uns RAF-Propaganda ins Haus holen würden!  Das ist definitiv nicht der Fall.

Warum unterstützt du den Antrag?

Es geht ja in erster Linie um den Inhalt des Vortrags. Das Thema kommt auf jeden Fall zu kurz, und die Referentin hat sich schon lange mit dem Widerstand jüdischer Frauen beschäftigt. Unabhängig von ihrem Hintergrund kennt sie sich also sehr gut aus. Außerdem finde ich es super unterstützenswert, dass eine Studierendengruppe von nur zwei Leuten so etwas auf die Beine stellt. Dass man sich zu zweit Hilfe holt, finde ich verständlich – und offensichtlich kennen die beiden Studierenden Leute aus der Antifa. Mir ist bewusst, dass die Antifa sehr „interessante“ Maßnahmen für legitim hält, die ich nicht unterstütze. Gerade Gewalt und Sachbeschädigungen lehne ich ab. Aber indem ich diesen Vortrag unterstütze, unterstütze ich nicht die Antifa. Ich gebe nicht der Antifa Geld, und ich sage damit nicht, dass ich die Antifa toll finde. Ich finde es auch zu kurz gegriffen, pauschal alle Antifa-Gruppen als Verfassungsfeinde abzustempeln. Die Leute, die Flyer für den Vortrag austeilen würden, werden schon keine gesuchten Verbrecher sein. Und der Vortrag ist keine Propaganda-Veranstaltung für die Ideologie der Antifa.

Und findest du Ingrid Strobl als Referentin problematisch?

Ingrid Strobl hat eine belastete Vergangenheit und ist verurteilt worden – allerdings unter eher dubiosen Umständen. Sie soll einen Wecker gekauft haben, den irgendjemand in eine Bombe eingebaut hat. Aber was wichtiger ist: Das war Anfang der 90er. Sie hat diese Strafe abgesessen und ihre Bewährung hinter sich gebracht. Nach meinem Rechtsverständnis ist jemand damit rehabilitiert. Es lässt auf ein grauenhaftes Rechtsverständnis bei der LHG schließen, wenn sie glaubt, dass früher einmal verurteilte Leute direkt von Veranstaltungen auszuschließen sind. Wir haben unterschiedliche Strafen, weil wir der Meinung sind, dass mit der Abgeltung der Strafe die Schuld zumindest für den Rechtsstaat getilgt ist. Ich finde es daher nicht richtig, dass Ingrid Strobl als „Gegnerin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ dargestellt wird. Es ist schade, dass so ein Vortrag unter ideologischen Erwägungen zu leiden hat.

„Nicht alle lassen sich auf diese Hexenjagd von LHG-Seite ein“

Gäbe es nicht andere Gruppen als die Antifa, die als Mitveranstalter infrage kämen?

Sicherlich, aber das ist ja nicht der Punkt. Jetzt zu sagen „Wir veranstalten den Vortrag, aber ohne die“, das fände ich unhöflich. Es ist billige Politik, sich den Vortrag selbst auf die Fahne schreiben zu wollen. Um uns von ihrer Meinung zu überzeugen, ist die LHG sogar in die FSVV gekommen. Grundsätzlich begrüße ich es, Gäste in der FSVV zu haben, aber in diesem Zusammenhang wurde ein Schreckgespenst von einem linksradikalen Hintergrund aufgemalt. Nach dem Motto: Wir holen uns den Untergang des Grundgesetzes ins Haus. Ich denke, ohne den Besuch der LHG wäre in der FSVV schon abgestimmt worden – und zwar für den Antrag.

Sollte man Inhalt und Organisatoren von Veranstaltungen immer getrennt voneinander sehen?

Man kann beides natürlich nicht komplett trennen. Aber es ist ja kein Vortrag der Antifa zum Thema „Wie baue ich Reifenblockaden?“ oder „Wie zünde ich Polizeiwagen an?“. Es ist doch klar, dass wir nichts Verfassungsfeindliches unterstützen, sondern eine studentische Initiative zu einem interessanten Thema.

Wie beeinflusst eine Kooperation mit der Antifa die öffentliche Wahrnehmung vom StuRa?

Die LHG hat das Thema jetzt in die Öffentlichkeit getragen – natürlich beeinflusst das das Bild vom StuRa. In der Elefantenrunde vor der vorletzten Wahl hat der RCDS bemängelt, es würden nur linke Projekte gefördert. Dazu muss ich sagen: Der StuRa fördert diejenigen, die die Initiative ergreifen. Ich verstehe es eher, wenn man das Logo der Antifa auf den Flyern kritisch sieht. Aber solange nichts gegen die Antifa Reutlingen-Tübingen vorliegt, finde ich einen Abdruck des Logos in Ordnung. Wir drucken auch sonst die Logos von allen Veranstaltern auf die Flyer. Es wäre ja Blödsinn, uns die ganze Organisationsarbeit selbst auf die Fahne zu schreiben. Wenn sich Leute vom Antifa-Logo abgeschreckt fühlen, finde ich das sehr schade. Potenziell könnte das Thema Leute aus jeder ideologischen Richtung interessieren, auch wenn die Veranstalter natürlich weit links sind. Letztlich muss man selbst wissen, ob man offen genug ist, zu so einer Veranstaltung zu gehen.

Kontra: Warum sollte der StuRa den Antrag ablehnen?

Timothy Randall, StuRa-Mitglied für die Liberale Hochschulgruppe (LHG)

Timothy Randall, der im StuRa die LHG repräsentiert, ist gegen den Antrag.

Sprichst du mit deiner Meinung als Vertreter der LHG oder nur als Privatperson?

Ich spreche im Namen der Liberalen Hochschulgruppe. Dass wir den Antrag ablehnen, das ist bei uns Konsens. Im StuRa hat jeder gewählte Vertreter der LHG grundsätzlich ein freies und kein imperatives Mandat, und ist somit seinem Gewissen verpflichtet – aber wir sind alle gegen den Antrag.

Was an dem Antrag ist für dich problematisch?

Die Kombination aus der Vergangenheit der Referentin und der Zusammenarbeit mit der Antifa. Zum einen hat die Autorin eine kontroverse Biografie: Sie hat sich nie öffentlich von der RAF distanziert. Zum anderen hat sie kein Problem damit, offen mit einer Gruppierung zusammenzuarbeiten, die sich gegen unsere Rechtsordnung stellt. Im Internet ruft die Antifa Reutlingen-Tübingen zum Beispiel in Bezug auf G20 in Hamburg zu Gewalt auf. Es werden offen Aussagen wie „Das Ziel ist es, die Logistik des Kapitals zu zerstören“ getroffen und es wird daran appelliert, dass Menschen ihre Wut in Hamburg auch anders als durch Tanzveranstaltungen zum Ausdruck bringen. Das ist für mich ein klarer Aufruf zur Gewalt.

Geht es dir also um die Gesinnung von Referentin und Organisatoren? Oder doch eher um das öffentliche Bild vom StuRa?

Das öffentliche Bild ist natürlich auch ein wesentlicher Faktor. Ich war in der letzten FSVV-Sitzung anwesend, weil ich die Fachschaften davon überzeugen wollte, gegen den Antrag zu stimmen. In dieser Sitzung ging es auch um den Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung – wie es zum Beispiel wirke, wenn das Antifa-Logo auf Flyern zum Vortrag neben dem StuRa-Logo gedruckt würde. Aus der FSVV kam dann der Antrag, im Falle einer Förderung das Logo nicht abzudrucken. Dieser Antrag wurde aber zurückgezogen – man wollte die Kooperation mit der Antifa nicht verschleiern. Viele in der FSVV sehen in Berührungspunkten mit der Antifa also kein Problem, was ich bedenklich finde.

Würdest du es generell ablehnen, Referenten mit Vorstrafen zu fördern?

Nein – es war auch in der FSVV ein Argument, dass nach einer Strafe optimalerweise ein Resozialisierungsprozess stattfindet. Natürlich sollte man den Menschen Straftaten nicht ihr Leben lang vorhalten. Aber in Kombination mit allen Faktoren kann man die Vergangenheit der Referentin nicht ganz ausblenden. Zur konkreten politischen Ausrichtung von Frau Strobl kann ich natürlich nichts sagen, aber es spricht für sich, dass eine ehemalige RAF-Sympathisantin zur Antifa Kontakt hat. Die Antifa macht sich gemein mit Gruppen wie der „Interventionistischen Linken“ oder „Ums Ganze“, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und somit klar dem linksextremen Spektrum zugeordnet werden können. Unter anderen Umständen wäre das Argument der Resozialisierung für mich schlagkräftiger, in diesem Fall aber bin ich skeptisch.

„Die FSVV ist auf dem linken Auge blind“

Sind Organisatoren und Inhalt von Veranstaltungen für dich zu trennen?

Die neu gegründete Studierendengruppe „Kritik und Widerstreit“, die beim StuRa vorstellig geworden ist, besteht aus zwei Leuten. Die Gruppe hat keinen Website-Auftritt und keine Facebook-Seite. Eine neu gegründete Gruppe kann natürlich genauso vom StuRa finanziert werden wie andere Gruppen – aber in Kombination mit den anderen Umständen finde ich es schon problematisch, dass die Informationen über diese Gruppe nicht transparent sind. Man weiß über sie nur, dass sie mit der Antifa kooperieren wollen.

Mit wem darf der StuRa zusammenarbeiten? Nur mit Gruppen, die sich innerhalb des politischen Spektrums im StuRa selbst befinden?

Die Grenze ziehe ich da, wo gegen die geltende Rechtsordnung verstoßen wird und wo man sich nicht zu unserem Grundgesetz bekennt. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist aber bei den Kooperationspartnern der zu fördernden Studierendengruppe nicht gegeben. Der StuRa bzw. die FSVV ist scheinbar auf dem linken Auge blind. Aber es gibt keine gute und keine schlechte Gewalt – Gewalt und Verstöße gegen unsere Rechtsordnung sind immer schlecht, egal von welcher Seite sie kommen. Wir stellen uns klar gegen jeden politischen oder auch religiös motivierten Extremismus. Für Gewalt von rechts sind wir mehr sensibilisiert, was nachvollziehbar ist. Dennoch sollten wir uns als Demokraten vor Augen führen, dass jeder Extremismus schlecht ist.

Steht euer Plan noch, als LHG einen Vortrag zum gleichen Thema zu organisieren?

Ja, das ist unser Angebot. Wir sind uns der Relevanz des Themas bewusst – gerade angesichts der Gefahren von rechts in Deutschland und in ganz Europa. Die Erinnerungskultur ist wesentlich, um die Menschen für Extremismus zu sensibilisieren. Wir sind daher nach wie vor bereit, den Vortrag mit seriösen Referenten zu selbigem Thema auszurichten. Leute mit offensichtlichen Verbindungen ins extreme Milieu dürfen nicht die Möglichkeit bekommen, dieses Thema zu instrumentalisieren. Im Antrag steht, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ins Themengebiet der Antifa fällt, und die Kooperation daher nur logisch sei. Da muss man sich auch fragen, was die Antifa für eine Vorstellung von unserem Land hat. Leben wir etwa in einer Diktatur? Man verharmlost die Gräueltaten des Nationalsozialismus, wenn man Parallelen zwischen damaligem und heutigem Widerstand zieht.

Fotos: Marko Knab

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